Dem Schutz gegen elektrischen Schlag liegt folgendes Konzept zugrunde:
Im fehlerfreien Zustand dürfen Teile der elektrischen Anlage, die eine gefährliche elektrische Spannung führen, nicht berührbar sein. Sollte jedoch ein Fehler auftreten, muss das Risiko eines elektrischen Schlages durch eine geeignete Schutzmaßnahme minimiert werden.
Diese Forderung ist auf Einzelfehlerbedingungen bezogen, die in den Basisgrundnormen beschrieben sind und wie folgt lauten:
Einzelfehler müssen berücksichtigt werden, wenn ein berührbares leitfähiges Teil
- durch Fehler der Basisisolierung gegen einen Körper eines elektrischen Betriebsmittels zu einem spannungsführenden Teil wird, z. B. durch mechanische oder thermische Beschädigung der Aderisolierung einer Leitung,
- durch einen mechanischen Fehler einer Umhüllung, z. B. durch einen Körperschluss, zu einem berührbaren gefährlichen aktiven Teil wird,
- zu einem spannungsführenden Teil wird, z. B. weil ein Fehler durch Überschreiten der Begrenzung von Beharrungsberührungsstrom oder Ladung entsteht.
Eine Schutzmaßnahme für den Schutz gegen elektrischen Schlag muss aus
- einer geeigneten Kombination von zwei unabhängigen Schutzvorkehrungen, nämlich einer Basisschutzvorkehrung und einer Fehlerschutzvorkehrung, oder
- einer verstärkten Schutzvorkehrung, die sowohl den Basisschutz als auch den Fehlerschutz bewirkt,
bestehen.
Die Schutzvorkehrung für den Basisschutz verhindert das direkte Berühren unter Spannung stehender aktiver Teile der elektrischen Anlage, z. B. durch Isolierung oder ein Gehäuse.
Bild 1: Basisisolierung am Beispiel einer Aderleitung mit Isolierung
Bild 2: Basisisolierung am Beispiel eines SK I-Betriebsmittels mit einem Gehäuse (Abdeckung, Umhüllung)
Die Schutzvorkehrung für den Fehlerschutz verhindert, dass im Fehlerfall eine gefährliche Berührungsspannung auftritt bzw. bestehen bleiben kann.
Geeignete Kombinationen von Basis- und Fehlerschutzvorkehrungen für verschiedene Anwendungsfälle führen zu folgenden, für den Schutz gegen elektrischen Schlag allgemein und gleichwertig anwendbaren Schutzmaßnahmen:
Automatische Abschaltung der Stromversorgung (Abschnitt 411)
Diese Schutzmaßnahme gestattet als Basisschutzvorkehrung das Vorsehen einer Isolierung (Basisisolierung) sowie die Anwendung von Abdeckungen oder Umhüllungen.
Für die Fehlerschutzvorkehrung werden Schutzeinrichtungen verwendet, die das automatische Abschalten der Stromversorgung innerhalb festgelegter Zeiten bewirken. Schutzeinrichtungen und Systeme nach Art der Erdverbindung (TN-System, TT-System oder IT-System) müssen miteinander koordiniert werden.
Die Anwendung dieser Schutzmaßnahme erfordert außerdem die Erdung des Schutzleiters und das Herstellen eines Schutzpotentialausgleiches über die Haupterdungsschiene nach DIN VDE 0100‑410 (VDE 0100‑410):2018-10, Abschnitt 411.3.1.
Ergänzt wird dies durch die Forderungen in DIN VDE 0100-540 (VDE 0100-540):2012-06, Abschnitt 542.4.1.
In jeder Anlage, in der ein Schutzpotentialausgleich ausgeführt ist, muss eine Haupterdungsschiene vorgesehen sein, mit der folgende Leiter verbunden sein müssen:
– Schutzpotentialausgleichsleiter;
– Erdungsleiter;
– Schutzleiter;
Funktionserdungsleiter, falls zutreffend.
Hierzu werden im Abschnitt 411.3.1.2 „Schutzpotentialausgleich“ die Anlagenteile, die nicht zu der elektrischen Anlage gehören, eine gefährliche Potentialdifferenz verursachen können und deshalb mit der Haupterdungsschiene durch einen Schutzpotentialausgleichsleiter verbunden werden müssen, beispielhaft aufgeführt.
Weitere Beispiele sind Metallteile, bei denen eine unabsichtliche leitende Verbindung gegen Erde bestehen kann und die damit eine gefährliche Potentialdifferenz verursachen können. Hierzu gehören auch innerhalb eines Gebäudes und raumübergreifend geführte metallene Zentralheizungs- und Klimasysteme. Üblicherweise werden Treppengeländer, Fensterrahmen, Türzargen usw. nicht einbezogen.
Das Einbeziehen von Kabel- und Leitungsführungssystemen in den Schutzpotentialausgleich ist nicht gefordert, da Kabel- und Leitungsführungssysteme (z. B. Kabelrinnen, -pritschen, -leitern) Bestandteil der elektrischen Kabel- und Leitungsanlage sind und somit per Definition kein „fremdes leitfähiges Teil“ sind.
Eine Einbeziehung in einen Funktionspotentialausgleich kann in anderen Normen gefordert werden, (z. B. bei Verhindern von statischen Aufladungen; zum Zwecke des Blitzschutzpotentialausgleichs; bei zu erwartenden Staubexplosionen).
In neu zu errichtenden Gebäuden ist unabhängig vom Netzsystem eine Erdungsanlage nach DIN 18014 zu errichten.
Bei Anwendung der Schutzmaßnahme „Schutz durch automatische Abschaltung der Stromversorgung sind weitere Anforderungen an den Fehlerschutz festgelegt.
Die Fehlerschutzvorkehrung sieht jetzt vor, dass in Wechselstromsystemen folgende Anlagenteile zusätzlich mit einer Fehlerstrom-Schutzeinrichtung (RCD) mit IΔn ≤ 30 mA zu versehen sind:
a) Allgemein (auch für Laien) zugängliche Steckdosen mit einem Bemessungsstrom bis einschließlich 32 A,
b) Stromkreise mit fest angeschlossenen ortsveränderlichen Betriebsmitteln mit einem Bemessungsstrom bis einschließlich 32 A, die für eine Verwendung im Außenbereich vorgesehen sind,
c) Beleuchtungsstromkreise innerhalb von Wohnungen (dies schließt Einfamilienhäuser ein).
Bild 3: Schutzeinrichtungen als Fehlerschutzvorkehrung
Doppelte oder verstärkte Isolierung (Abschnitt 412)
Für diese Schutzmaßnahme wird für die Basisschutzvorkehrung der Schutz durch Isolierung aktiver Teile angewendet. Die Fehlerschutzvorkehrung wird durch eine zusätzliche Isolierung erreicht. Alternativ kann eine verstärkte Isolierung, die den Basisschutz und den Fehlerschutz gleichermaßen erfüllt, angewendet werden.
Bild 4: doppelte oder verstärkte Isolierung am Beispiel einer Mantelleitung
Schutztrennung (Abschnitt 413)
Als Basisschutzvorkehrungen gestattet die Schutzmaßnahme das Vorsehen einer Isolierung (Basisisolierung) sowie die Verwendung von Abdeckungen oder Umhüllungen wie bei der Schutzmaßnahme „Schutz durch automatische Abschaltung der Stromversorgung“.
Die Fehlerschutzvorkehrung beinhaltet die Anwendung einer Stromquelle mit mindestens einfacher elektrischer Trennung sowie die Erdfreiheit des Stromkreises. Diese Schutzmaßnahme ist nur bei Verwendung eines einzelnen Verbrauchsmittels allgemein zugelassen.
Kleinspannung mittels SELV oder PELV (Abschnitt 414)
Diese Schutzmaßnahme ist anwendbar, wenn die Nennspannung von 50 V Wechselspannung oder 120 V Gleichspannung nicht überschritten wird und der zu schützende Stromkreis aus einer Sicherheitsstromquelle versorgt wird. Außerdem müssen bei SELV- oder PELV-Stromkreisen weitere besondere Anforderungen erfüllt werden.
Unter bestimmten Umgebungsbedingungen und in besonderen Räumlichkeiten ist in Gruppe 700 der Reihe DIN VDE 0100 (VDE 0100) der Wert der Kleinspannung auf einen Wert kleiner als AC 50 V bzw. DC 120 V begrenzt.
Zu den Basis- und Fehlerschutzvorkehrungen kann ein zusätzlicher Schutz festgelegt sein, der unter bestimmten Bedingungen von äußeren Einflüssen und in besonderen Räumlichkeiten berücksichtigt werden muss. Entsprechende Festlegungen enthalten z. B. die Errichtungsbestimmungen für Anlagen und Räume besonderer Art nach DIN VDE 0100 Gruppe 700 (VDE 0100 Gruppe 700).