Gruppe junger diverser Medizinstudenten mit VR-Brillen beim Studium der menschlichen Skelettanatomie
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04.12.2023 Fachinformation

Wie Virtual Reality die medizinische Versorgung verändert

Von der Ausbildung von Medizinstudierenden bis hin zur Unterstützung von Chirurginnen und Chirurgen, die bei Operationen die neuesten Technologien verwenden, Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) definieren die Grenzen in der medizinischen Versorgung neu.

Für die erforderliche technische Sicherheit sorgen auf internationaler Ebene Expertinnen und Experten bei der IEC, die in verschiedenen Gremien an Normen arbeiten und Anforderungen beschreiben.

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Dr. Renate Förch
Zuständiges Gremium
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Ausbildung zur Chirurgin bzw. zum Chirurgen

Der wachsende Bedarf an besserer medizinischer Ausbildung ist einer der wichtigsten Faktoren, die die Branche antreiben. AR- bzw. VR-Technologien bieten Ärztinnen und Ärzten sowie Patientinnen und Patienten mehr Möglichkeiten zur Teilhabe, was zu einer Verbesserung der Ergebnisse beitragen kann. „Schulung und Simulation sind ein großer Teil dessen, woran Krankenhäuser arbeiten, um die Herausforderungen in Bezug auf Personalfluktuation zu meistern und eine bessere Möglichkeit zu finden, Operationsteams zu schulen”, erklärt Maayan Wenderow, VP of Marketing eines Anbieters von chirurgischer Ausbildung, der von der American Association of Orthopaedic Surgeons und dem Royal College of Surgeons of England anerkannt ist.

Analysten von Frost & Sullivan zufolge beschleunigt Virtual Reality den Erwerb von Fähigkeiten und die Anwendung von Medizinprodukten, indem „die Lernkurve geglättet“ wird. Inzwischen ist der Einsatz von VR weit verbreitet, um Fälle vor einer Operation zu prüfen. Dr. Rafael Grossmann, hauptberuflich praktizierender Arzt für Allgemeinchirurgie, Traumachirurgie, fortgeschrittene laparoskopische und robotergestützte Chirurgie, der in den USA praktiziert, erklärt: „Mit Hilfe von Virtual Reality können Sie Bilder von bestimmten Organen einer Patientin bzw. eines Patienten sehen und Sie können wie auf einer Karte den Weg navigieren, den Sie mit den OP-Instrumenten gehen werden. Wenn Ihr VR-System mit entsprechender Haptik ausgestattet ist, erwerben Sie auch ein Muscle Memory, das Sie in den Operationssaal mitnehmen.“

Chirurgische Simulationen werden von Chirurginnen und Chirurgen seit Jahrzehnten verwendet, aber Virtual Reality geht einen Schritt weiter als an Modellen oder Humanpräparaten zu üben. Kinästhetische haptische Produkte, wie sie von Wenderows Unternehmen entwickelt wurden, imitieren das physische Empfinden während eines chirurgischen Eingriffs und simulieren präzise, wie sich Knochentexturen, Muskeln und Weichteile anfühlen. „Sie können bestimmte Operationen, bei denen Haptik im Spiel ist, wie zum Beispiel das Bohren von Knochen oder eine Injektion ins Auge, so lange üben, bis Sie sie beherrschen, bevor Sie sie an einem Menschen durchführen“, erklärt Grossmann.

Virtual Reality wird auch dazu genutzt, Patientinnen und Patienten dabei zu helfen, den Eingriff zu verstehen, dem sie sich unterziehen werden. „Virtual Reality ist ein Mittel, um den Prozess der informierten Einwilligung zu verbessern“, sagt Grossmann. „Patientinnen und Patienten haben weniger Angst, wenn Sie ihnen in der virtuellen Realität zeigen können, was Sie tun werden.“


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Großes Potential zur Linderung von Schmerzen

Die Nutzung von Virtual Reality bzw. Augmented Reality ist auch bei bestimmten Behandlungsformen weit verbreitet. Studien im Chelsea and Westminster Hospital NHS Foundation Trust haben gezeigt, dass VR-Anwendungen besonders gute Ergebnisse bei der Linderung von Angst und Schmerzen bei Kindern, die auf Unfall- bzw. Notfallstationen behandelt werden, erzielt haben. „Wir haben auch eine Verbesserung bei der Schlafqualität von Patientinnen und Patienten auf der Intensivstation gesehen sowie positive Effekte auf Angst, Stress und Schmerzen bei Herzpatientinnen und -patienten“, erzählt Tom Carlisle, Digital Innovation Fellow bei CW+, der Stiftung des Chelsea and Westminster Hospital NHS Foundation Trust.

Das Krankenhaus weitet die Anwendung von VR als Mittel zur Ablenkung und Alternative zur Schmerzlinderung aus. Beispielsweise werden hierfür Headsets verwendet, um Frauen zu unterstützen, die ihr Kind in einem frühen Stadium der Schwangerschaft verlieren: Sie können sich Bilder eines Orts ansehen, der sie entspannt, oder einer geführten Meditation folgen, während sie sich einer manuellen Vakuumaspiration unterziehen. Dies kann die Angst mindern. „Es gibt so viel Potential“, sagt Carlisle. „Wir können uns eine Welt vorstellen, in der VR bei Onkologie-Patientinnen und -Patienten in der ambulanten Chemotherapie zur Ablenkung und Schmerzlinderung zum Einsatz kommt. AR könnte genutzt werden, Patientinnen und Patienten zu informieren und schnellere und effektivere Ferndiagnosen zu stellen.“

Simulierte Umgebungen können Menschen dabei helfen, soziale Angststörungen zu überwinden. Eine solche Therapie erhalten Patientinnen und Patienten beispielsweise im Rahmen von wöchentlich stattfindenden halbstündigen Sitzungen. Die Teilnehmenden setzen ein VR-Headset auf und werden von einem virtuellen Coach begrüßt, der sie auffordert, eine Reihe von Aufgaben auszuführen, beispielsweise mit dem Bus zu fahren, Lebensmittel einzukaufen oder zum Arzt zu gehen. Diese Situationen sind häufig Trigger für Menschen mit sozialen Angststörungen. „Das immersive Wesen von VR bietet eine großartige neue Möglichkeit, Teilnehmende einzubinden und ihnen dabei zu helfen, Vertrauen wiederzugewinnen, sich sicher zu fühlen und Trigger-Situationen zu meistern“, erklärt June Dent, Direktorin von Clinical Partnerships.

Die sogenannte „Social-Engagement-Therapie“ wird vom staatlichen Gesundheitsdienst (NHS) in Großbritannien genutzt, wobei sie auch von mehreren privaten Gesundheitsdienstleistern in Großbritannien angeboten wird. Weitere VR-gestützte klinische Studien beschäftigen sich mit der Behandlung von Menschen mit Höhenangst oder der Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS), von Depressionen und Zwangsstörungen (OCD).

Der vielleicht wichtigste Aspekt dieses Ansatzes ist die Tatsache, dass die Therapie komplett automatisiert ist. Es muss demnach keine ausgebildete Ärztin bzw. kein ausgebildeter Arzt anwesend sein. Die Sitzung kann von Mitarbeitenden abgehalten werden, die geschult wurden, das VR-Headset einzurichten.


Automobildesign eines E-Cars, Prototyp
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Eine holografische Zukunft

Holografie ist für viele Menschen eine der spannendsten Technologien der Zukunft: Objekte können visualisiert und dann von allen Seiten betrachtet werden. Auch die Möglichkeit, seinen Gesprächspartner beim Telefonieren nicht nur auf einem kleinen Bildschirm, sondern viellecht sogar in menschlicher Größe vor sich zu haben, ist eine aufregende Vorstellung. International legen verschiedene Normungsgremien hierfür die Grundlagen.

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Nutzung von Augmented Reality leistet Pionierarbeit in der Chirurgie

Neurochirurgen des Johns Hopkins Hospitals haben 2020 die ersten Operationen mit Augmented Reality an lebenden Personen durchgeführt. „Bei der Nutzung von Augmented Reality im Operationssaal ist es, als hätte man auf natürliche Weise ein GPS vor den Augen, sodass man nicht auf einen separaten Bildschirm blicken muss, um den CT-Scan seines Patienten zu sehen“, erklärt Timothy Witham, M.D., Direktor des Johns Hopkins Neurosurgery Spinal Fusion Laboratory, der die Operation zur Wirbelsäulenversteifung leitete.

Ein in London ansässiges Start-up hat vor kurzem eine Art intelligente Brille auf den Markt gebracht. Diese sogenannten „Smart Glasses“, die sich durch ihr geringes Gewicht auszeichnen, ermöglichen es medizinischem Personal, eine Ich-Perspektive bei offenen Operationen und minimal-invasiven Eingriffen zu teilen. Durch die Ich-Perspektive erhalten diejenigen, die aus der Distanz zusehen, ein viel genaueres Bild der Operation, wodurch die Möglichkeit gegeben wird, Ratschläge zu erteilen bzw. von Operationstechniken zu lernen.

Dem Unternehmen zufolge wurden letztes Jahr in den USA und UK Pilotprojekte mit Chirurginnen und Chirurgen, die seine AR-Brillen tragen, bei Dickdarm-, HNO-, orthopädischen und urologischen Operationen durchgeführt. „Die Tatsache, dass sie wenig wiegen und intuitiv sind, macht ihre Nutzung während der Durchführung von Operationen für alle Beteiligten einfacher und bequemer, und das bereits bei erstmaliger Nutzung“, sagt Stella Vig, Consultant General und Gefäßchirurgin, Croydon University Hospitals NHS Trust. „Das Gesundheitssystem versucht herauszufinden, wie mit weniger Mitteln mehr erreicht werden kann, und Technologien wie diese liefern uns neue Möglichkeiten, um Patientinnen und Patienten zu versorgen.“

Emergen Research zufolge sieht sich der Markt mit mehreren Hürden konfrontiert, wozu die nach wie vor hohen Kosten von AR- und VR-Geräten, das Fehlen technologischen Wissens bei Gesundheitsdienstleistern und Bedenken bezüglich der Datensicherheit gehören. Zudem können aufsichtsrechtliche Vorschriften und ein Fehlen von Standardisierung bei AR- und VR-Anwendungen im Gesundheitsbereich die Marktexpansion behindern.

Hier kommt die IEC ins Spiel. Mehrere Technische Komitees bei IEC entwickeln Normen für AR- und VR-Geräte. IEC/TC 100 (DKE/K 742) erarbeitet Normen für Audio-, Video- und Multimediageräte. Ziel ist die Normung zukunftsweisender Technologien wie haptische Systeme oder sogar das Metaverse. Das Komitee hat vor kurzem einen technischen Bericht veröffentlicht, um das konzeptionelle Modell haptischer Systeme in Multimediasystemen zu erklären, und hat eine Gruppe eingerichtet, um Normen für Multimediageräte mit Bezug zum Metaverse zu erstellen.

IEC/TC 110 (DKE/K 742) veröffentlicht Normen für elektronische Bildschirme. Eine seiner Arbeitsgruppen hat die erste Ausgabe von IEC 63145-20-20 erarbeitet, die Messbedingungen für die Festlegung der Bildqualität von Brillen-Bildschirmen festlegt. Die IEC hat zudem ein gemeinsames technisches Komitee mit ISO eingerichtet, JTC 1, das Normen für Informationstechnologien erarbeitet. Eines seiner Subkomitees veröffentlicht Dokumente, die die Anforderungen an Virtual Reality und Augmented Reality festlegen. 

Mit dem richtigen regulatorischen Rahmen und entsprechenden Normen haben AR- und VR-Technologien ein nahezu unbegrenztes Potential im Bereich der Gesundheitsversorgung.


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