Autoschlüssel auf einer Holzbar
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07.11.2022 Fachinformation

Alkohol-Interlocks verhindern Trunkenheitsfahrten und machen Straßen sicherer

Neuwagen müssen in der EU ab dem Jahr 2024 den Anschluss von Alkohol-Interlocks einfacher ermöglichen als in der Vergangenheit. Die Normen EN 50436-7 und EN 50436-4, die bis Juli 2022 novelliert wurden, liefern die technische Grundlage für die EU-Gesetzgebung.

Internationale Fachleute haben unter Leitung der DKE maßgeblich daran gearbeitet, dass die Normenreihe den breiten Einsatz von Alkohol-Interlocks in Europa unterstützt. In Deutschland besteht ein politischer Handlungsbedarf, Alkohol-Interlocks zumindest für Berufskraftfahrer verbindlich vorzuschreiben. 

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Jürgen Schütz
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Jeder 17. Verkehrstote durch Trunkenheitsfahrer

2020 wurden 15.647 Personen bei alkoholbedingten Unfällen verletzt, 159 starben. Damit ging jeder 17. Getötete im Straßenverkehr auf das Konto eines betrunkenen Autofahrers. Zwar sinken die Zahlen der Verkehrstoten seit Jahren; zwischen 2019 und 2021 um weitere 16 Prozent. Grund dafür war aber vor allem, dass aufgrund von Corona auch die Verkehrsleistung insgesamt abnahm. Im ersten Halbjahr 2022 stiegen die Unfallzahlen wieder deutlich an.

Im europäischen Vergleich positioniert sich Deutschland in den Unfallstatistiken im Mittelfeld. 2021 wurden 31 Verkehrstote pro eine Million Einwohner registriert. Das ist zwar deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 44 Verkehrstoten pro eine Million Einwohner. Es geht aber noch besser: Den mutmaßlich sichersten Verkehr in der EU organisiert Schweden mit 18 Verkehrstoten pro eine Million Einwohner.

Schweden ist Vorreiter beim Einsatz von Alkohol-Interlocks

Ein Grund dafür könnten Alkohol-Interlocks sein. In einigen europäischen Ländern kommen sie – mit Schweden als Vorreiter – bereits zum Einsatz. Seit 2003 setzt das skandinavische Land Alkohol-Interlocks in Behördenfahrzeugen verpflichtend ein. In Schweden sind Ausschreibungen für Dienstfahrzeuge, inkl. Lastwagen und Busse, praktisch flächendeckend so gestaltet, dass Hersteller nur mit installierten Interlocks zum Zuge kommen. Sekundärpräventiv und auf freiwilliger Basis kommen sie bei auffällig gewordenen Autofahrern zum Einsatz (Trunkenheitsfahrerprogramme), die ihren Führerschein schneller zurückbekommen wollen.

Europaweit gute Erfahrungen ermutigen EU zum Handeln

Finnland hat seit 2019 ein Alkohol-Interlock-Gesetz. Bei Fahrzeugen mit mehr als acht Plätzen für den Schultransport, die in der Regel von Berufskraftfahrern gesteuert werden, sind sie verpflichtend. Speditionen sollen sie freiwillig nutzen. Mehrfachauffällige können mit der Alkohol-Wegfahrsperre den Führerschein früher zurückerhalten. Dänemark, Frankreich, Belgien, Polen und Österreich setzen Alkohol-Interlock-Programme sekundärpräventiv nach ersten Auffälligkeiten teilweise in Kombination mit sozialpsychologischer Begleitung ein.

Nach den guten Erfahrungen einzelner Länder hat nun die EU-Kommission gehandelt mit dem Ziel, den Einbau in immer komplexeren Fahrzeugen zu vereinfachen und auch zukünftig zu sichern: Seit Juli 2022 müssen die Automobilhersteller für die Typgenehmigung eine Schnittstelle, im Gesetz „Vorrichtung zum Einbau einer alkoholempfindlichen Wegfahrsperre“ in Kraftfahrzeugen genannt, nachweisen. Dadurch können Alkohol-Interlocks einfacher und unproblematisch in Fahrzeugen installiert beziehungsweise nachgerüstet werden.

Ab Juli 2024 dürfen in der EU nur noch Neuwagen zugelassen werden, die über eine solche Schnittstelle verfügen.

Funktionsweise von Alkohol-Interlocks

Verwendung von Alkohol-Interlocks

Atemalkoholtest

| Drägerwerk AG & Co. KGaA

Alkohol-Interlocks bestehen aus einem Handgerät mit Mundstück zur Atemalkoholkontrolle und einer elektronischen Steuereinheit. Nach der klassischen Einbauvariante wird die Steuereinheit zwischen die Zündung und den Anlasser geschaltet und verhindert so zunächst das Starten des Motors. Bei einer digitalen Schnittstelle erfolgt dies nur noch generisch. Vor Fahrtantritt muss der Fahrer bzw. die Fahrerin in das Mundstück pusten. Dort ermittelt das Gerät den Alkoholgehalt in der Atemluft. Abhängig von den länderspezifischen Grenzwerten wird das Starten des Fahrzeugs blockiert. Erst nach Unterschreiten der Grenzwerte wird das Starten des Fahrzeugs freigegeben.

Die meisten Fahrzeughersteller weigerten sich aus zum Teil auch nachvollziehbaren Gründen bisher, die Schaltpläne und weitere notwendige Details für die Installation offenzulegen. Dadurch konnten die Hersteller von Alkohol-Interlocks ihre Geräte in solchen Fahrzeugen nur unter zunehmend hohem Aufwand und den damit verbundenen Kosten nachrüsten. Die EU-Verordnung (EU 2019/2144) sorgt nun für eine technisch und rechtlich sichere Rahmenregulation – im Zentrum dabei: die europäischen Normen EN 50436-7 und EN 50436-4.

DKE treibt Novellierung der Norm EN 50436 voran

Dieser Schritt der EU wurde flankiert durch die Einbaunorm für die Alkohol-Interlocks. Die europäische Normenreihe EN 50436 basiert auf der seit Anfang der 1990er Jahre von der DKE und DIN erarbeiteten DIN VDE 0405 „Ermittlung der Atemalkoholkonzentration“, die zuletzt 2017 komplett überarbeitet wurde. Darin definiert wurden ein Prüfverfahren sowie zentrale gerätetechnische Anforderungen an den Betrieb beweissicherer Messgeräte zur Atemalkoholbestimmung.

Die Normenreihe EN 50436 „Alkohol-Interlocks - Prüfverfahren und Anforderungen an das Betriebsverhalten“ wurde seit dem Jahr 2003 vom Komitee CLC/BTTF 116-2 „Alcohol-Interlocks“ des Europäischen Komitees für elektrotechnische Normung (CENELEC) erstellt und kontinuierlich weiterentwickelt. Unter der Leitung von Dr. Stefan Morley, von der DKE entsandter Convenor und Physiker bei der Drägerwerk AG, und Jürgen Schütz, von der DKE entsandter Sekretär, wurde die Normenreihe EN 50436 seit 2016 grundlegend überarbeitet. Seit Juli 2022 liegt nun auch die novellierte Norm EN 50436-4 vor und vervollständigt die Regeln für das Zusammenwirken von Automobil- und Alkohol-Interlock.

Norm legt Basis für die Interoperabilität von Fahrzeugen und Alkohol-Interlocks

Die bisher sieben Teile der Norm wurden gestrafft und an die technischen Möglichkeiten sowie die Anforderungen der Industrie angepasst. Sie umfasst nun sechs Teile. Die ersten beiden Teile legen Prüfverfahren und Anforderungen an das Betriebsverhalten der Alkohol-Interlocks-Geräten fest.

Teil 7 definiert den Inhalt und das Layout eines Einbaudokuments, das für einen sachgerechten Einbau eines Alkohol-Interlocks in ein Fahrzeug benötigt wird. In diesem Sinn beschreibt die EN 50436-7 die Kopplung oder die Schnittstelle zwischen Alkohol-Interlock und Fahrzeug. Um die Anforderungen nach EN 50436-7 zu erfüllen, muss das Dokument den Anforderungen der Norm genügen und die geforderten Funktionalitäten beschreiben. Damit ist sie zusammen mit Teil 4 die maßgebende Grundlage für die Automobilhersteller für die Gestaltung der Schnittstelle.

Drei Optionen für die Schnittstellenbereitstellung

Dabei können die Fahrzeughersteller für die Gestaltung der Schnittstelle eine von drei Optionen auswählen, die technisch in Teil 7 definiert sind:

  1. Klassische Schnittstelle: Das Alkohol-Interlock wird als Relais zwischen die Startersteuerung vom Zündschloss und den Anlasser eingefügt, um so die Stromzufuhr zum Anlasser-Relais des Fahrzeugs freizuschalten oder zu blockieren.
  2. Semi-digitale Schnittstelle: Die Fahrzeugelektronik wird mit dem Alkohol-Interlock mit festen Signalleitungen verbunden. Über diese Signale kommuniziert das Motorsteuergerät mit dem Alkohol-Interlock. 
  3. Digitale Schnittstelle: Diese bietet die Möglichkeit, auf einem Datenbus des Fahrzeugs Informationen zwischen dem Fahrzeug und dem Alkohol-Interlock auszutauschen. Hier setzt auch der vierte Teil der Reihe an, der zuerst im Februar 2019 veröffentlicht und zuletzt erweitert wurde, um neben dem LIN Bus (Local Interconnect Network) auch den CAN Bus (Controller Area Network) zu nutzen. Solche digitalen Kopplungen sind insbesondere dort unabdingbar, wo es keine klassischen kabelgebundenen Verbindungen zwischen Starter und Zündschloss oder Starttaste mehr gibt und ebenso bei Elektrofahrzeugen, die keinen klassischen Starter besitzen.

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EN 50436-7 schafft technische und rechtliche Sicherheit für Hersteller

EN 50436-7 und EN 50436-4 liefern erstmals eine Lösung für das größer werdende Problem der Einbaufähigkeit der Alkohol-Interlocks in moderne, komplexe Fahrzeuge. Simples Kabelschneiden führte häufig zu Einträgen in den oder die Fehlerspeicher des Fahrzeugs oder gar zu nachhaltigen Störungen der Fahrzeugelektronik.

Die novellierte Normenreihe ebnete wohl auch der EU-Kommission den Weg, dem Verfügbarkeitswunsch vieler Mitgliedsländer mit der neuen Verordnung stattzugeben. Damit schafft die EN 50436-7 erstmals für Automobil- und Interlockhersteller Klarheit, wie Alkohol-Wegfahrsperren ab 2024 in jedes neu zugelassene Fahrzeug integriert werden können. Dies vereinfacht die Nachrüstung beispielsweise dadurch, dass das früher übliche Reengineering einzelner Fahrzeugkomponenten durch die Hersteller von Alkohol-Interlocks entfällt. Zuvor war dies immer häufiger erforderlich, um den problemlosen Einbau der Geräte zu ermöglichen. Die Nachrüstung wird zusätzlich durch die Verwendung der EN 50436-4:2022 erheblich erleichtert. Das könnte Fahrzeughersteller dazu motivieren, Alkohol-Interlocks für Firmenkunden bereits ab Werk anzubieten. Schließlich stellen Fuhrparkbetreiber das größte Kundensegment im Bereich Nutzfahrzeuge und gehören auch bei Pkw zu den wichtigsten Einzelabnehmern. 

Einsatzgebiete von und Anwendungsfälle für Alkohol-Interlocks

Alkoholmessgerät

Alkoholmessgerät

| Drägerwerk AG & Co. KGaA

Fuhrparkmanager können das Unfallrisiko verringern, wenn sie ihren Kraftfahrer*innen vor Fahrtantritt oder auch während längerer Touren einen Alkoholtest abverlangen. Die Systeme sind manipulationsgeschützt. Jeder Test wird protokolliert. So werden alkoholbedingte Fahrunterbrechungen dokumentiert und lassen sich dafür nutzen, den Fahrer oder die Fahrerin zu ermahnen. Vor allem der sehr oft unterschätzte Restalkohol wird sicher aufgedeckt. Gerade bei Schulbusfahrern bedeutet der obligatorische Atemalkoholtest morgens einen Sicherheitszugewinn für ihre Fahrgäste und deren besorgte Eltern.

Neben diesen primärpräventiven Einsatzgebieten sind Alkohol-Interlocks in den USA und Australien und mittlerweile auch in einigen europäischen Ländern bewährte Strategien in der Sekundärprävention. Dort können verurteilte Alkoholsünder nach freiwilliger Installation eines Alkohol-Interlocks ihre Fahrerlaubnis wieder erhalten. Studien aus den USA und Schweden zeigen, dass die Rückfallquote zu Fahrten unter Alkoholeinfluss signifikant sinkt. 

Versicherer, Behörden und Juristen sprechen sich für Alkohol-Interlocks aus

In Deutschland ist wegen des komplexen Fahrerlaubnisrechts, das im Straf- sowie im Verwaltungsrecht und der Fahrerlaubnisverordnung geregelt ist, die Einführung von Alkohol-Wegfahrsperren bisher schwierig. Allerdings sprach sich der 57. Verkehrsgerichtstag 2019 für ein Alkohol-Interlock-Programm (AIP) aus. Juristen empfehlen einen Pilotversuch in Deutschland, der aus einer Kombination mit Alkohol-Interlock-Geräten und einer verkehrspsychologischen Begleitmaßnahme bestehen sollte. Bereits 2014 sprach sich das Bundesamt für Straßenwesen dafür aus, dass die „Einführung von AIP plus einer begleitenden Rehabilitationsmaßnahme das bisherige Maßnahmenspektrum des Deutschen Fahrerlaubnissystems sinnvoll ergänzen kann. Allerdings bedarf es für die Einführung eines Programms in Deutschland einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage.“

Auch die Unfallforscher der Versicherer machen sich für AIP stark. In ihrem Forschungsbericht Nr. 65 aus 2019 schrieben sie: „Nichtsdestotrotz scheint die Ausstattung aller Fahrzeuge mit AIP die effektivste Maßnahme, um Alkohol am Steuer zu verhindern und folglich die Verkehrssicherheit zu verbessern.“ Auch der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) 2020 setzt sich für den AIP-Einsatz ein: „Aufgrund des Gefahrenpotentials von Alkoholmissbrauch im Straßenverkehr fordert der DVR einen primärpräventiven verpflichtenden Einbau von Alkohol-Interlock-Systemen in allen neuen Kraftfahrzeugen, die der Personenbeförderung (EU-Fahrzeugklasse M) oder Güterbeförderung (EU-Fahrzeugklasse N) dienen. Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich für eine europaweit einheitliche Regelung einzusetzen.“

Fazit: Regulation für Alkohol-Interlocks ist überfällig

Schon die letzte Bundesregierung wollte eine gesetzliche Grundlage für den Einsatz von Alkohol-Interlocks schaffen. Den öffentlichen Ankündigungen folgten jedoch keine Taten. Die neue Bundesregierung äußerte sich im Koalitionsvertrag von 2021 zu dem Thema nicht. Gleichwohl besteht mit der EU-Verordnung EU 2019/2144, der Normenreihe EN 50436 sowie der zahlreichen Forderungen aus der Fachwelt nun Handlungsdruck für den Gesetzgeber.

Redaktioneller Hinweis:

Die im Text aufgeführten Normen und Standards können Sie beim VDE VERLAG erwerben.

Zum VDE VERLAG

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