- Projekte zur Entwicklung von Zügen mit Wasserstoffantrieb
- Elektrolyse als „CO2-arme“ Alternative durch erneuerbare Energien
- Internationale Zusammenarbeit in der Normung als Schlüssel zum Erfolg
Alle einsteigen in den Wasserstoffzug
Es steht außer Frage, dass Züge zu den nachhaltigeren Verkehrsmitteln zählen. Der Internationalen Energieagentur (IEA) zufolge befördern Züge acht Prozent aller Passagiere und sieben Prozent aller Güter weltweit, verbrauchen aber nur zwei Prozent des gesamten Energiebedarfs des Verkehrssektors. Tatsächlich fahren über 85 Prozent der Personenzüge und 55 Prozent der Güterzüge elektrisch, was bedeutet, dass sie kein CO2 ausstoßen.
Der elektrische Schienenverkehr hat allerdings auch ein paar Nachteile, vor allem die Kosten für elektrische Leitungen und Unterwerke, die in Regionen mit geografischen Herausforderungen, wie Bergregionen, extrem hoch sein können. Hier bieten Züge mit Wasserstoffantrieb eine vielversprechende Lösung, um die noch im Schienenverkehr verursachten Emissionen weiter zu senken. Sie benötigen weniger Infrastruktur und können bereits mit einer Tankladung hohe Reichweite erzielen.
Enrico Morelli, Experte für Wasserstofftechnologien und Convenor verschiedener Arbeitsgruppen innerhalb von IEC/TC 9, dem Technischen Komitee für Schienenverkehr der IEC, zufolge legte der weltweit erste Wasserstoffzug eine Rekorddistanz von 1175 km zurück, ohne zwischendurch betankt werden zu müssen. Das ist deutlich weiter als ein durchschnittlicher Zug mit Batterieantrieb zurücklegen kann. „Wasserstoff ist eine gute Option für Fernzüge und Züge in Regionen, in denen es viele geografische Herausforderungen wie Tunnel und Brücken gibt, welche die Kosten für die Elektrifizierung der Strecken in astronomische Höhen steigen lassen“, erklärt Morelli.
Infolgedessen gibt es überall auf der Welt, vorwiegend in Industrieländern, eine zunehmende Zahl an Projekten zur Entwicklung von Zügen mit Wasserstoffantrieb.
2018 wurden die weltweit ersten kommerziellen mit Wasserstoff betriebenen Züge in Deutschland, genauer gesagt in Niedersachsen, in Betrieb genommen. 2022 wurden nach mehrjähriger Testphase 14 Züge mit Wasserstoffantrieb offiziell in Betrieb genommen, was die deutsche Regierung mit 85 Millionen Euro unterstützt hat. Inzwischen sind in der Region Frankfurt 41 weitere mit Wasserstoff betriebene Züge im Einsatz.
In Frankreich hat das Eisenbahnunternehmen SNCF zwölf mit Wasserstoff betriebene Züge bestellt, die voraussichtlich noch in diesem Jahr getestet werden und ab Ende 2025 Passagiere befördern sollen.
In Italien hat das Ministerium für Infrastruktur und Verkehr 300 Millionen Euro für ein neues Programm zugesagt, das darauf ausgerichtet ist, landesweit die Dieselzüge durch mit Wasserstoff betriebene Züge zu ersetzen.
In Japan wird aktuell der erste japanische Wasserstoff-Hybrid-Zug namens Hybari getestet. Dieser soll spätestens 2030 kommerziell in Betrieb genommen werden. Andere Länder wie Chile und Indien planen ebenfalls, in Zukunft Züge mit Wasserstoffantrieb einzusetzen. China nutzt bereits seit einiger Zeit mit Wasserstoff betriebene Straßenbahnen.
Auch Hochgeschwindigkeitszüge mit Wasserstoffantrieb sind in Planung. Ein Konsortium aus zehn spanischen Unternehmen ist gerade dabei, ein Hochgeschwindigkeitsbahnsystem zu entwickeln, das durch Wasserstoffbrennstoffzellen und Batterien angetrieben wird.
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Umstieg auf CO2-armen Wasserstoff
In den vergangenen Jahren geriet die Herstellungsweise von Wasserstoff allerdings zunehmend in die Kritik, da ein Großteil des verwendeten Wasserstoffs durch Extraktion aus Kohlenwasserstoffverbindungen, wie Gas, Kohle und Erdöl, gewonnen wird. Dieses Verfahren ist alles andere als umweltfreundlich, denn dabei werden 830 Millionen Tonnen Kohlendioxid jedes Jahr ausgestoßen.
Elektrolyse stellt eine „CO2-arme“ Alternative dar. Hierbei wird in einer Anlage, die als Elektrolyseur bezeichnet wird, Wasser mit Hilfe von Strom in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten. Wenn der hierfür verwendete Strom aus erneuerbaren Energiequellen erzeugt wird, sind die Emissionen sogar noch geringer.
Außerdem könnte sich der IEA zufolge, bei sinkenden Kosten für erneuerbare Energien, wie Solar- und Windenergie, CO2-armer Wasserstoff am Ende auch als die kostengünstigste Option erweisen. Das sind gute Neuigkeiten für den Planeten und die Menschheit, aber noch sind wir nicht soweit. Neue Technologien wie diese erfordern hohe Investitionen.
Die Regulierungsstellen haben diese Notwendigkeit erkannt. In der EU haben 22 Länder plus Norwegen ein Abkommen unterzeichnet, das als „Important Projects of Common European Interest“ (IPCEI), also als wichtige Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse, bzw. im Wasserstoffsektor als IPCEI Hy2Tech, bekannt ist. Im Jahr 2022 wurden mehr als zehn Milliarden Euro an öffentlichen Mitteln für etwa 50 Projekte bereitgestellt. Dadurch sollten Erwartungen zufolge zusätzliche private Investitionen in Höhe von 15 Milliarden Euro mobilisiert werden.
Normungsroadmap Wasserstofftechnologien
Die Normungsroadmap verfolgt das Ziel, den Markthochlauf von Wasserstofftechnologien durch Normen und technische Regelsetzung zu unterstützen. Bearbeitet wurden dabei fünf Themenfelder: Erzeugung, Infrastruktur, Anwendung, Qualitätsinfrastruktur und Weiterbildung, Sicherheit, Zertifizierung. Beteiligt waren sieben Projektpartner und mehr als 600 Expert*innen aus Industrie, Wirtschaft und Politik.
Zusammenarbeit ist der Schlüssel zum Erfolg
Ein weiterer wesentlicher Faktor sei Zusammenarbeit, betont Julien d’Arbigny, IEC Convenor der JWG 51, der gemeinsamen Arbeitsgruppe des Technischen Komitees IEC/TC 9, die sich mit Brennstoffzellensystemen für Anwendungen im Schienenverkehr auseinandersetzt.
„Teilbereiche des Verkehrssektors würden davon profitieren, wenn die bestehenden isolierten Einheiten aufgebrochen werden, um auf ein gemeinsames Ziel, wie die Entwicklung von Lösungen zur Betankung, hinzuarbeiten. Dies könnte zum Aufbau von Tankstellen führen, die auch andere mit Wasserstoff betriebene Fahrzeuge wie Lastwagen oder Busse nutzen können“, erklärt er.
„In Deutschland beispielsweise bietet der Industriepark Höchst in Frankfurt eine Wasserstofftankstelle, an der wasserstoffbetriebene Busse und Schienenfahrzeuge tanken können. Ein derartiges Ökosystem, das sämtliche Verkehrsmittel einbezieht, ist notwendig, um Innovationen und Investitionen in die Wasserstoffwirtschaft zu fördern.“
Internationale Normen spielen für die Zusammenarbeit und weltweite Harmonisierung eine wichtige Rolle. Sie führen internationale Best Practices zusammen, um Zuverlässigkeit, Leistung und Sicherheit zu gewährleisten. Außerdem bieten sie eine Plattform für Innovationen. Durch die Ermöglichung von Interoperabilität können sie wertvolle Instrumente zur Beschleunigung des Wachstums in dem Sektor sein.
Für Elektro- und Dieselzüge gibt es international harmonisierte Anforderungen an beispielsweise die Sicherheit und Leistung, für Wasserstoff fehlen diese jedoch. Das bedeutet, dass viel Zeit und Energie darauf verwendet wird, Tests und Bewertungen anhand verschiedener Kriterien durchzuführen, um sicherzustellen, dass Komponenten und Systeme zweckmäßig und sicher sind.
IEC/TC 9 arbeitet an einer Normenreihe, um diese Lücke zu schließen. IEC 63341‑1 legt Anforderungen an die Gestaltung von Brennstoffzellensystemen fest, während sich IEC 63341‑2 mit Wasserstoff-Kraftstoffsystemen, inklusive der Speicherung und Verteilung von Wasserstoff in einem Zug, auseinandersetzt. Die dritte Norm der Reihe, IEC 63341‑3, beschreibt Leistungsanforderungen und Prüfverfahren. Die Normenreihe greift auf viele andere IEC-Normen zu Brennstoffzellen und Wasserstoff-Speichertechnologien mit zusätzlichen spezifischen Anforderungen an Anwendungen im Schienenverkehr zurück.
Die Normen sind ein guter Anfang, aber es braucht noch viele weitere. Aus diesem Grund haben internationale Fachleute aus den Bereichen Schiene (IEC/TC 9) und Wasserstoff (ISO/TC 197/SC 1) zwei gemeinsame Ad-hoc-Gruppen gegründet, JAHG 52: Kraftstoffbehälter für Schienenverkehrsmittel und JAHG 53: Kraftstoff-Systemkomponenten für Schienenverkehrsmittel, um festzulegen, welche Normen benötigt werden und um eine Roadmap für ihre Erarbeitung zu erstellen.
Unabhängig davon, ob Wasserstoff aus fossilen Brennstoffen gewonnen wird oder nicht, bleibt er ein leicht entzündliches Gas und erfordert deshalb einen sicheren und effizienten Umgang. Seit seiner Einführung befasst sich IECEx (IEC System for Certification to Standards Relating to Equipment for Use in Explosive Atmospheres), eines der vier IEC-Konformitätsbewertungssysteme, mit der Zertifizierung von Geräten, Dienstleistungen und Mitarbeiterkompetenzen in Bereichen, in denen Wasserstoff genutzt wird. IECEx überwacht die Einhaltung internationaler Normen zu Sicherheit, Leistung und Interoperabilität von Wasserstoff. Die IECEx-Zertifizierung bleibt ein wertvolles Instrument zur Erleichterung des wasserstoffbezogenen Handels auf nationaler sowie internationaler Ebene.
IECEx arbeitet mit anderen internationalen Organisationen zusammen, darunter ISO, mit der IECEx eine formelle Partnerschaft in Bezug auf Prüfung und Zertifizierung im Bereich von Wasserstofftechnologien gegründet hat. Seit 2023 stellt sie Zertifikate zu Wasserstofftankvorrichtungen und -anlagen aus. Auch das System zur Zertifizierung von Mitarbeiterkompetenzen (CoPC) wurde um zusätzliche Kompetenzeinheiten erweitert, die auf die Sicherheit von Wasserstoff ausgerichtet sind.
Redaktioneller Hinweis:
Der englischsprachige Originalartikel erschien erstmals auf etech.iec.ch in der Ausgabe 02/2024.
Zu finden unter: https://etech.iec.ch/issue/2024-02/all-aboard-the-hydrogen-train
Die im Text aufgeführten Normen und Standards können Sie beim VDE VERLAG erwerben.
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