- Schwerpunktbereiche des Market Strategy Board
- Balance zwischen Sorgfalt und Beschleunigung
- Beitrag zu Vertrauen, Inklusion und Zusammenarbeit
Market Strategy Board: Dr. Ian Oppermann blickt als neuer Vorsitzender in die Zukunft
Interview mit Dr. Ian Oppermann
e-Tech: Was ist Ihre Vorstellung bezüglich der Schwerpunktbereiche des MSB?
Oppermann: Die Welt verändert sich in rasender Geschwindigkeit, genauso wie die Technologiebereiche, in denen wir tätig sind. Das hat dazu geführt, dass sich verschiedene Technologiebereiche zunehmend überschneiden. Aufgrund dieser gegenseitigen Annäherung werden Bereiche, in denen die IEC bisher eher weniger involviert war, nun relevant, da sie elektrifiziert werden.
Ich bin überzeugt, dass die IEC über ihre traditionellen Schwerpunktbereiche – Sicherheit und Leistung von Elektro- und Elektronikgeräten – hinaus die Verantwortung hat, Normen für sich schnell entwickelnde Technologien wie KI, Digital Twins, Cybersecurity und das Internet der Dinge (IoT) zu entwickeln. Besonders da der strategische Fokus der IEC auf einer komplett elektrifizierten Welt, und letztendlich einer weitgehend digitalen Welt, liegt. Es ist ein ehrgeiziges Projekt, auf das wir uns einlassen.
Das MSB sollte sich auf die Identifizierung und Untersuchung wesentlicher Technologietrends und Marktbedürfnisse mit Blick auf mindestens die nächsten 10 Jahre fokussieren. Dieser zukunftsorientierte Ansatz ist wichtig, um ein Modell für die Welt zu entwickeln, das Annahmen enthält, die der IEC und Partnern wie ISO Orientierung bei der Navigation durch diese dynamische Landschaft geben.
Wenn sich diese zugrundeliegenden Annahmen ändern, sollte das MSB als eine Art „Frühwarnsystem“ für die IEC sowie als „frühzeitiger Chancenerkenner“ dienen, der potenzielle neue Bereiche für die IEC und die erweiterte Normen-Community erkennt und nutzt.
e-Tech: Wie plant das MSB in den kommenden Jahren mit den sich schnell verändernden Sektoren Schritt zu halten?
Oppermann: Hätten Sie mir diese Frage vor fünf Jahren gestellt, hätte ich damals schon geantwortet, dass es eine schwierige Herausforderung ist. Jetzt denke ich „Oh, mein Gott!“ Die Antwort liegt jetzt in Partnerschaften.
Die im MSB tätigen Personen sind gut vernetzte Führungspersönlichkeiten aus der Industrie, die wissen, was in der Welt geschieht. In der Vergangenheit hat das MSB sog. Thought Leadership Papers, die auf dem zusammengefassten, wohlüberlegten Wissen dieser Personen basieren, erstellt.
Heute müssen wir auch lernen, wie wir von unserer sich verändernden Welt lernen können. Das heißt: „Wie übertragen wir Marktbewusstsein und Trends in eine Welt, die für uns Sinn ergibt?“ Wenn wir das verstanden haben, kommt die noch größere Herausforderung „Wie setzen wir diese Erkenntnisse um?“ Wir müssen beweglich sein und uns ständig selbst hinterfragen, um zu sehen, ob wir uns in die richtige Richtung bewegen oder nicht. Wir reagieren auf die Welt um uns herum, indem wir Normen entwickeln, und wir müssen in der Lage sein, schneller zu reagieren.
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e-Tech: Wie kann eine Normungsorganisation die Balance finden zwischen sich Zeit für gründliche Arbeit zu nehmen und den Normungsprozess zu beschleunigen?
Oppermann: Wir sind bereits dabei, den Prozess zu beschleunigen, indem wir Werkzeuge wie die Online-Normung und die Entwicklung von sog. smarten Normen (SMART Standards) nutzen.
Aber ich glaube, wir müssen auch neu darüber nachdenken, wie wir reagieren und welche Lösungen wir liefern. Ich versuche es mal so zu erklären: Stellen wir uns eine Norm vor, die dem Maß aller Dinge entspricht, die gut konzipiert und zweckdienlich ist, aber eventuell fünf Jahre zu spät für den Markt kommt. Diese Art von Norm ist vielleicht weniger nützlich als eine abgespeckte Norm, die eher Mittelmaß ist, aber schneller erarbeitet, eingesetzt und angepasst werden kann.
Bei einer Organisation, die seit über einem Jahrhundert auf traditionelle Herangehensweisen für die Lieferung hochwertiger Arbeit setzt, machen sich die Menschen manchmal Sorgen über Veränderungen wie die Erstellung von smarten Normen. Fakt ist aber, dass es auch in den letzten hundert Jahren immer mehr oder weniger große Veränderungen gegeben hat, die uns vorangebracht haben, sodass wir unsere weltweite Relevanz aufrechterhalten konnten. Heute sehen wir uns allerdings mit einer beispiellosen Geschwindigkeit von Veränderungen konfrontiert. Die Welt verändert sich so schnell, dass wir Gefahr laufen, an Relevanz zu verlieren. Um die Bedürfnisse des Markts zu erfüllen, müssen wir etwas Gas geben. Wir müssen die Wirksamkeit unserer Kernelemente sicherstellen, die sich nach wie vor langsam entwickeln können. Aber wir müssen uns in einigen anderen Bereichen deutlich schneller bewegen, um weiterhin relevant zu bleiben.
e-Tech: Gibt es irgendwelche Erkenntnisse aus ihrer Erfahrung in der Industrie, die sie beim MSB mit Blick auf die Zukunft einbringen wollen?
Oppermann: Bei Normungsorganisationen muss man bedenken, dass Normen zwar Zeit brauchen, aber Vertrauen schaffen, und auf diesem Vertrauen können wir weiter aufbauen. Aber stellen wir uns mal vor, dass wir unsere Arbeit mittels entsprechender Technologien mit agileren Methoden verbinden könnten. Zum Beispiel wäre es großartig, wenn maßgefertigte Algorithmen die Arbeit der Kategorisierung oder Erstellung des ersten Entwurfs übernehmen könnten oder sogar dabei helfen, in Zukunft neue Lösungen zu finden.
Natürlich bräuchte es auch dann eine Kontrolle durch den Menschen, aber wir könnten die Technologie nutzen, um bestimmte mühselige Arbeiten schneller zu erledigen. Das scheint immer noch in weiter Ferne zu liegen, aber ich glaube generell, dass wir uns eine Haltung des Experimentierens, Prüfens und Lernens zu eigen machen sollten, um agiler in unserer Denkweise zu werden.
e-Tech: Welchen Beitrag leistet das MSB zu den anderen Säulen des strategischen Schwerpunkts der IEC, der Förderung von Nachhaltigkeit und dem Einnehmen einer führenden Rolle im Hinblick auf Vertrauen, Inklusion und Zusammenarbeit?
Oppermann: Die Unterstützung einer All Electric Society entspricht in vielerlei Hinsicht eher der Arbeit der IEC, die entsprechende Normen und Rahmenwerke erstellt. Der Teil mit der „Förderung“ ist schwieriger. Wir müssen die Wirkungspfade zwischen den Normen, die wir entwickeln, und dem, was tatsächlich in der realen Welt passiert, besser verstehen. Ein besseres Verständnis der Wirkungspfade bringt mehr Klarheit bezüglich der Elemente dieser nachhaltigen Welt. Wir können diese entweder selbst beeinflussen, anderen ermöglichen, sie zu beeinflussen, oder sie durch entsprechende Überzeugungsarbeit beeinflussen.
Dieselbe Einstellung hilft uns auch, Erkenntnisse dazu zu gewinnen, wie die IEC im Hinblick auf Vertrauen, Inklusion und Zusammenarbeit eine führende Rolle einnehmen kann. Das Nachdenken über reale Ergebnisse zwingt uns, zu hinterfragen, wie wir arbeiten, was wir ermöglichen und wie wir zusammen lernen. Egal ob es um die Steigerung von Effizienz oder eine inklusivere und effektivere Zusammenarbeit mit Partnern in unserem Umfeld geht, wir müssen lernen. Wir müssen experimentieren und lernen. Ich freue mich darauf, diese Einstellung im MSB einzubringen, damit die Arbeit der IEC noch wirkungsvoller wird.
Redaktioneller Hinweis:
Der englischsprachige Originalartikel von Priyanka Dasgupta erschien erstmals auf etech.iec.ch in der Ausgabe 05/2024 unter:
https://etech.iec.ch/issue/2024-05/we-need-to-experiment-and-learn