Zahnräder greifen ineinander

CA-Interview zu Recht, Technik und Wirtschaft

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11.11.2024 Fachinformation

Eine Frage der Sicherheit: Konformitätsbewertung zwischen Recht, Wirtschaftlichkeit und Technik

Konformitätsbewertung basiert auf Normen und stellt sicher, dass ein Produkt oder eine Dienstleistung diese Normen erfüllt. Dabei geht es um die Technik, doch reicht es nicht, Konformitätsbewertung nur aus dieser Perspektive zu betrachten.

Welche betriebswirtschaftlichen Überlegungen stecken dahinter, ein Produkt sicher zu machen, und welche rechtlichen Konsequenzen hat es, wenn dem nicht so ist? Diese und weitere Fragen diskutieren wir mit WP, StB, Diplombetriebswirtin Stefanie Voit, Rechtsanwalt und Professor an der Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen der Hochschule München Dr. Thomas Wilrich und Dipl.-Ing. FH Raymond Puppan.

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Raymond Puppan

Das erwartet Sie in diesem Artikel:

  • Warum die Begriffe „Konformitätsbewertung“ oder „Risikobeurteilung“ in der Rechtsprechung kaum eine Rolle spielen.
  • Warum Konformitätsbewertung auch immer eine Frage der Kosten ist.
  • Warum bei der Analyse oftmals Informationen zu möglichen Risiken fehlen.
  • Was die „Flucht der Richter aus der Technik“ mit Wissenslücken zu tun haben.

Konformität ist auch immer eine Frage der Kosten

DKE: Konformitätsbewertung ist ein sperriger Begriff, hinter dem sich viel praktischer Nutzen verbirgt. Machen wir einen Elevator Pitch: Wie würden Sie auf die Schnelle erklären, worum es geht?

Wilrich: Als Jurist sehe ich die Konformitätsbewertung zunächst als eine gesetzliche Pflicht. Schauen wir kurz ins Compliance Management, wo es für ein Unternehmen darum geht, die Einhaltung aller Rechtsvorschriften zu organisieren. Analog dazu muss ich bei der Konformitätsbewertung Entscheidungen treffen und Maßnahmen ergreifen – wirtschaftlicher, technischer, organisatorischer, juristischer Art –, um die Übereinstimmung bzw. Konformität mit bestimmten Vorgaben zu erreichen. Im Produktbereich ist das die Erfüllung des geltenden Produktsicherheitsrechts.

Voit: Compliance oder Konformität sind Begriffe, die sich bei allen gesetzlichen Regeln durchziehen. Egal, um was es geht, es sind Regeln einzuhalten. Um dies zu tun, werden in Unternehmen Prozesse oder Richtlinien implementiert, die mit Kosten verbunden sind. Dabei ist nicht vorgeschrieben, wie die Prozesse aussehen, sondern nur, was das Ergebnis sein muss.

Was wie im Unternehmen umgesetzt wird, ist somit eine betriebswirtschaftliche Entscheidung, mit der grundlegende Fragen verbunden sind: Was soll das Ganze kosten, wie viel Konformität will ich mir leisten? Bin ich immer bei 100 Prozent, oder bin ich bei 90 oder 80 Prozent? Wie hoch sind die Mehrkosten, um diesen Gap füllen? Das ist für einen Betriebswirt die Diskussion, um die es geht.

Puppan: Ich schaue mir die einzelnen Begriffe an. Wir haben Konformität, und wir haben Bewertung. Zu Konformität gibt es normativ wie gesetzlich Definitionen. Ich bediene mich alternativ gerne des Begriffs Übereinstimmung, und so stellt sich die Frage, womit: Muss das Produkt sicher sein, schnell, langsam, verträglich? Die Antwort darauf hängt davon ab, woher die Anforderung kommt. Bewertung bedeutet, dass ich in einer systematischen Art und Weise feststelle, ob das, was ich bewerte, den Anforderungen entspricht.


Containerfrachtschiff im Ozean
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Konformitätsbewertung: Freier Warenfluss weltweit

Der Begriff „Konformitätsbewertung“ (engl. „Conformity Assessment“) ist weitläufig bekannt, in vielen Fällen jedoch nicht greifbar. Im Wesentlichen sorgt Konformitätsbewertung für einen freien Warenfluss innerhalb eines oder auch zwischen verschiedenen Märkten der Welt. Zur Bewertung von Produkten, Verfahren und Dienstleistungen gelten sowohl nationale Gesetze als auch internationale Richtlinien und Verordnungen. Unser Fachbeitrag zur Konformitätsbewertung fasst die wichtigsten Aspekte zusammen und gibt Antworten auf häufig gestellte Fragen.

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Der Abgleich zwischen Vorgaben und Rechtsrealität ist das Spannendste

DKE: Und was reizt Sie persönlich am meisten an dem Thema?

Wilrich: Ich vertrete als Rechtsanwalt meistens Unternehmen bei der Abwehr von Schadensersatzansprüchen nach Unfällen und verteidige Mitarbeitende in Unternehmen nach einem Unfall bei Angriffen von Staatsanwälten. Ich bin aber auch Hochschullehrer und forsche in dem Bereich, veröffentliche Urteilsanalysen und Grundlagenbücher. Für mich ist das mit Abstand Spannendste der Abgleich der rechtlichen Vorgaben, wie sie gelten und diskutiert werden, mit der Rechtsrealität. Sie kann hier, wie wahrscheinlich in jedem rechtlichen Bereich, stark vom gewollten Ideal abweichen.

Das ist im wahrsten Sinne des Wortes aufregend. Manchmal kann man die Urteile, die Ermittlungsergebnisse und Einstellungsentscheidungen von Staatsanwaltschaften, in denen die Rechtswirklichkeit zum Ausdruck kommt, nicht wirklich erklären. Darin spielen die von uns gerade diskutierten Fachbegriffe wie Konformitätsbewertung oder Risikobeurteilung kaum eine Rolle. Das schockiert manchmal, aber es ist ein Befund, den ich mehr als zwanzig Jahren zur Kenntnis nehme.

DKE: Kurze Zwischenfrage – warum ist das so?

Wilrich: Es geht in diesen Verfahren um Technik. Technik ist schwer zu verstehen. Juristen können in den jeweiligen Themen also keine Experten sein. Somit lösen Sie den Fall mit den ihnen bekannten Fachbegriffen wie Verkehrssicherungspflicht, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Zumutbarkeit und dergleichen. Begeben sie sich zu sehr auf die technische Ebene, so steigt die Wahrscheinlichkeit, Fehler zu machen.

Bei der Analyse fehlen oft Informationen zu möglichen Risiken

DKE: Frau Voit, kommen wir zurück zur Frage, was so spannend ist an Konformitätsbewertung & Co. Was reizt Sie daran?

Voit: Ich komme aus der betriebswirtschaftlichen Sicht, also der Risiko-Kosten-Analyse aus Unternehmensperspektive. Jeder Unternehmer überlegt sich, wie viel er in Konformität und Sicherheit investieren kann bzw. muss. 

Nehmen wir zum Beispiel die Haftpflichtversicherung. Trägt der Unternehmer selbst ein hohes Risiko und implementiert wenig Sicherheit, wird die Versicherungsprämie recht hoch sein, weil das individuelle Risiko hoch ist. Das nimmt er in Kauf, wenn er der Auffassung ist, dass die Versicherungsprämie günstiger ist als die Implementierung höherer Sicherheitsstandards. Wäre die Versicherungsprämie höher, würde er eher in Sicherheit investieren.

Der Unternehmer analysiert also, welche Risiken es gibt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Risiko tatsächlich eintritt, was ein eintretender Schadensfall kostet und wie hoch die Investitionen sind, um die Risikowahrscheinlichkeit und/oder die Risikokosten zu vermeiden. Das ist meine Welt. Dabei geht es den Betriebswirten ähnlich wie den Juristen. Sie sind im Unternehmen unendlich weit weg von den technischen Anforderungen und Prozessen der Produktentwicklung bzw. Produktion. Für eine vollständige sachgerechte Risikoanalyse fehlt ihnen das Prozess- und Technikverständnis.

Aus diesem Grund kann es sein, dass bei der Analyse Informationen zu den Risiken fehlen, so dass sie betriebswirtschaftlich nicht richtig bewertet werden. Meine Motivation ist, mehr Transparenz für den Gesamtprozess zu schaffen, damit die betriebswirtschaftliche Einschätzung sachgerecht erfolgen kann.

Puppan: Mein Antrieb ist Bewegung, ich mag keinen Stillstand. Konformitätsbewertung steht aus meiner Sicht für Bewegung. Das wusste ich 2007/2008 noch nicht, als ich in der Automobilindustrie bei einem Stuttgarter Sportwagenhersteller, der für schnelle Bewegung steht, damit in Berührung kam. Ich hatte damals eine Lackieranlage aus Sicht der Konformitätsbewertung zu projektieren, so dass sie in Betrieb gehen konnte. Unweigerlich wurde ich mit der CE-Kennzeichnung konfrontiert, das Ganze lief ganz gut für mich und den Hersteller.

Tatsache ist, ergänzend zu Thomas Wilrich und Stefanie Voit, dass der Präventivvoraussetzung, die durch die Konformitätsbewertung geschaffen wird, aus beiden Perspektiven nicht die Bedeutung geschenkt wird, die ihr geschenkt werden sollte. Wir urteilen aber nicht in Bezug auf Prävention, sondern auf die Nichterfüllung von Vorgaben, die aus diesen Präventionsanforderungen entstehen. Wenn sie nicht erfüllt sind, geht es in Richtung Haftung und Schadensersatz.

Wilrich: Da möchte ich noch einmal einsteigen, mit Blick auf meine Ausführungen zur Rechtswirklichkeit vorhin. In den USA wird das Problem der fehlenden Technikkenntnisse von entscheidenden Juristen viel offener diskutiert als bei uns. Man nennt das dort die „Flucht der Richter aus der Technik“. Sie lösen den Fall mit den ihnen bekannten Rechtsfiguren, die im technischen Bereich nicht bekannt sind, und versuchen dadurch, unbekanntes Terrain wie Konformitätsbewertung zu vermeiden. Das wird aber nicht verschwiegen, sondern man ist sich dessen bewusst.


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Um Wissenslücken zu schließen, muss mehr passieren – auch im Hochschulbereich

DKE: Herr Puppan, in der Praxis wird Konformitätsbewertung oft nur aus der technischen Perspektive betrachtet. Mit Blick auf das, was wir gerade gehört haben, können Sie erklären, warum dieser Blickwinkel nicht ausreicht?

Puppan: Vor meiner Tätigkeit bei der DKE war ich dreizehn Jahre lang weltweit in der Prozessberatung aktiv und komme aus der technisch-organisatorischen Perspektive. Ich habe in dieser Zeit beobachtet, dass sich oftmals technisch mitarbeitende Personen auf Projektebene mit Konformität befassen müssen. Das ist aber ein Zusatzthema, das sie in ihrer Kerntätigkeit bearbeiten müssen, ohne zusätzliches Zeitbudget. Das Ergebnis ist Überforderung, da diesen Menschen eine Allzuständigkeit aufgebürdet wird.

Konformität allerdings richtet aus meiner Sicht ihre Anforderungen an das Unternehmen selbst, also an die Führung des Unternehmens. Ohne werten zu wollen, dass sich die Managementebene selten mit haftungsrelevanten Themen befasst, muss man die Frage stellen, warum das so ist. Vermutlich ist es so, weil man oft sequenziell vorgeht, also einen kleinen Schritt vor den anderen setzt, anstatt drei oder vier Schritte vorauszudenken wie beim Schachspiel. Vielerorts wird Wert auf Sicherheit und Konformität im Unternehmen gelegt, aber nicht aus einer intrinsischen Motivation heraus, sondern wegen des Zwangs von außen, durch Gesetze oder einen unbequemen Anlass – das muss aber nicht so sein.

DKE: Wie könnte es denn besser laufen?

Puppan: Was für eine Unternehmensführung immer relevant ist, ist die Frage, mit welchem Aufwand welcher Ertrag unter Beachtung des Unternehmensrisikos erreicht werden kann. Rein nüchtern und sachlich gesprochen ist das die einzig messbare Grundlage, um in Sachen Konformitätsbewertung zu überzeugen. Somit brauchen wir drei Perspektiven, die zusammenarbeiten, das ist die betriebswirtschaftliche, die rechtliche und die technisch-organisatorische. Und wir brauchen sauber definierte, sauber gelebte und sauber überwachte Prozesse, um Konformität zu implementieren.

Wilrich: Wenn ich da kurz einhaken darf – ich hatte vorhin von der „Flucht der Richter aus der Technik“ gesprochen, Stefanie Voit davon, dass der Betriebswirt unendlich weit weg ist von den technischen Details. Gleichzeitig sehe ich aber auch, dass technisch mitarbeitende Personen, von denen Raymond Puppan gerade sprach, die juristische und betriebswirtschaftliche Seite besser kennen müssten. Raymond und ich haben genau das viele Jahre lang geschult, dass diese Personen sich auch mit den harten und gesetzlichen Sicherheitsanforderungen auseinandersetzen müssten. Da muss viel mehr passieren, auch im Hochschulbereich, um Wissenslücken zu schließen und Unwissen zu heilen.


Redaktioneller Hinweis:

Hier endet die erste Gesprächsrunde zum Thema Konformitätsbewertung. In Teil 2 (ab 18.11.) geht es im Detail darum, welche Risiken Hersteller bei der Produktentwicklung zu berücksichtigen haben und warum brauchbare Illegalität eher der Realität entspricht als 100-prozentige Sicherheit.

Wir bedanken uns für dieses Interview bei

Portraitfoto Stefanie Voit

Stefanie Voit

Wirtschaftsprüferin, Steuerberaterin und Diplombetriebswirtin, TS advisory

Portraitfoto Stefanie Voit

Wirtschaftsprüferin, Steuerberaterin und Diplombetriebswirtin, TS advisory

Portraitfoto Thomas Wilrich

RA Prof. Dr. Thomas Wilrich

Professor an der Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen, Hochschule München

Rechtsanwalt u. a. für Produktsicherheit, Produkthaftung, Arbeits-, Technik- und Umweltrecht

Portraitfoto Thomas Wilrich

Professor an der Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen, Hochschule München

Rechtsanwalt u. a. für Produktsicherheit, Produkthaftung, Arbeits-, Technik- und Umweltrecht

Raymond Puppan - Portrait

Dipl.-Ing. FH Raymond Puppan

Principal Expert Conformity Assessment und Projektmanager Digitalisierung, DKE

Raymond Puppan - Portrait

Principal Expert Conformity Assessment und Projektmanager Digitalisierung, DKE


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