Schwebender Magnet

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23.09.2024 Fachinformation

Bei Hochtemperatur-Supraleitern lauern alle auf den Durchbruch

Quasi verlustfreie Stromübertragung, leistungsfähige und kompakte Magnete für Fusionsreaktoren und Anwendungen in der Medizintechnik: Supraleiter könnten in vielen Bereichen für Durchbrüche sorgen, wenn die aktuellen Herausforderungen rund um Herstellung und Kühlung gelöst werden. Welche Rolle die Normung dabei spielt, was Normungsarbeit so interessant macht und warum echtes Feuer keine Sternchen braucht?

Dr. Klaus-Peter Weiss, Leiter des Labors Cryogenic Materialtests – CryoMaK am Institut für Technische Physik in Karlsruhe, und Dr. Minja Adamov, Qualitätsmanagerin beim Münchner Unternehmen THEVA Dünnschichttechnik stehen Rede und Antwort.

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Stromübertragung, Strahlentherapie und Wasserstofftransport

DKE: Frau Dr. Adamov, Sie sind Physikerin, beschäftigen sich seit 2012 für den Münchner Spezialisten THEVA Dünnschichttechnik mit Supraleitern und sind in der Normung aktiv. Wo sehen Sie aktuell die Anwendungen mit dem größten Potential?

Adamov: Aus Sicht von THEVA gibt es drei wesentliche Anwendungen. Einmal haben wir die Stromübertragung beispielsweise in Großstädten, wozu Supraleiter einen wesentlichen Beitrag leisten können, weil sie quasi verlustfrei arbeiten. In München läuft das Superlink-Projekt, für das wir ein Testkabel für die Übertragung von Strom in einem Hochspannungsnetz mit 110 kV geliefert haben. Der Startschuss soll die kommenden Wochen fallen, und wenn wir erfolgreich sind, dann werden in München 12 km Stadtnetz mit Supraleitern ausgestattet.

Dann haben wir das Thema Fusionsreaktoren, die in Zukunft eine saubere Stromversorgung sicherstellen können. Dabei spielen Magnete aus supraleitenden Bändern wegen der höheren Magnetfelder eine Rolle. Zu guter Letzt gibt es die Medizintechnik, denn auch in der MRT sind zum Beispiel Magnete aus Supraleitern gefragt, da sie einfacher und kompakter moderate Magnetfelder erzeugen können. Da soll 2025 der Startschuss zur Entwicklung von Geräten fallen, die in den Markt eingeführt werden können.


Gut zu wissen: Verlustfrei Strom übertragen

Supraleitfähigkeit zeigt sich bei Materialien, die unterhalb einer charakteristischen Temperatur keinen Widerstand aufweisen. Je nach Material liegen die dafür notwendigen Temperaturen zwischen -273 bis -143 Grad Celsius. Im Gegensatz zu Kupferleitungen kann somit Strom ohne Widerstandsverlust transportiert werden.


DKE: Herr Dr. Weiss, Sie forschen am Institut für Technische Physik in Karlsruhe an neuen Materialien für die Kühlung von Supraleitern und leiten seit 2019 das Normungsgremium DKE/K 184 Supraleiter. Bewerten Sie das ähnlich wie Frau Adamov?

Weiss: Ich möchte gerne noch einen Schritt zurückgehen. Wenn wir uns Supraleiter anschauen, haben wir aus meiner Sicht ein Dilemma: Bei den Tieftemperatur-Supraleitern ist die Herstellung kostengünstig, die Kühlung aufwendig. Bei den Hochtemperatur-Supraleitern ist die Herstellung aufwendig, die Kühlung einfach. Um die Technologie in die Praxis zu bringen, muss man diese Widersprüche auflösen oder ein stimmiges Paket schnüren. 

Dass das möglich ist, zeigen konkrete Einsatzfelder in der Medizin- und Energietechnik, wie Minja schon sagte. In der Forschung halte ich die Kombination von Supraleitern und Wasserstoff für sehr spannend, denn flüssiger Wasserstoff als Energieträger hätte in dieser Form eine Temperatur von -253 °C quasi cryo for free an Bord und würde für eine einfache Kühlung sorgen. Die Verbindung von Strom- und Wasserstoff-Transport in einem Supraleiter-Kabel könnte eine Vision sein, die es in sich hat.

Viel Drive rund um die Welt

DKE: Die Normung schafft für neue Technologien einheitliche Rahmenbedingungen, so dass eine Markteinführung erfolgreich sein kann. Ein kurzer Blick in die Welt: Wo stehen das Thema Supraleiter und die Normung international?

Weiss: Innerhalb von IEC/TC 90 Superconductivity (Spiegelgremium: DKE/K 184) legen wir mit internationalen Partnern aus Forschungseinrichtungen und Industrie über die Normenreihe IEC 61788 gemeinsame Regeln fest. Dabei charakterisieren wir offensichtlich supraleitende Eigenschaften wie beispielsweise den Stromtransport, aber auch sehr empfindliche Sensoren, die ebenfalls realisierbar sind. So dienen supraleitende Josephson-Kontakte zur Festlegung des Spannungsnormals in Eichämtern. 

Insgesamt muss man wieder unterscheiden. Die Tieftemperatur-Supraleiter haben etablierte Nischenmärkte, da ist das Interesse geringer. Bei den Hochtemperatur-Supraleitern hingegen lauern alle auf den großen Durchbruch, denn es steckt enormes Potenzial darin. Es gibt sehr viele Prototypen und Proofs of Concept in verschiedensten Bereichen. Dazu zählt die Energietechnik, wo zum Beispiel supraleitende kompakte Transformatoren oder Strombegrenzer gebaut werden. Sie ermöglichen bei einem Kurzschluss in einem Stromnetz, das betroffene Verteilernetz effektiv ab- und später wieder zuzuschalten. Allerdings müssen Deutschland und Europa dranbleiben, um nicht abgehängt zu werden. Da haben einige Länder aktuell einen anderen Drive und mehr Volumen.

Adamov: Das kann ich nur bestätigen. In Asien spürt man den Wunsch voranzugehen, von dort kommen sehr viele New Work Item Proposals in die Normung. Es gibt viele Unternehmen in dieser Region, die Supraleiter herstellen und an konkreten Anwendungen arbeiten. Das gilt übrigens auch für die USA, wo das Thema eine hohe Präsenz hat.


Gut zu wissen: Materialaufwand reduzieren

Supraleiter weisen eine sehr hohe Stromtragfähigkeit auf, was dazu führt, dass der Leitungsquerschnitt im Vergleich zu beispielsweise Kupfer deutlich kleiner ist. Aus diesem Grund lassen sich sehr kompakte Hochfeldmagnete, Transformatoren, Generatoren und Motoren entwickeln, die mit viel weniger Material auskommen als bisher.


Risiken minimieren und Wege vereinfachen

DKE: Sie arbeiten beide im Gremium DKE/K184 Supraleiter, dem deutschen Spiegelgremium zu IEC/TC 90 Superconductivity. Welche Fragestellungen beschäftigen Sie gerade am meisten?

Weiss: Man spürt einen großen Push bei den Hochtemperatur-Supraleitern. Es gibt starke Partner in der Industrie und auf der akademischen Seite, die das Thema voranbringen wollen. Derzeit arbeiten wir in Deutschland an der grundlegenden Charakterisierung der elektrodynamischen oder thermophysikalischen Eigenschaften, künftig werden uns die Komponenten mehr beschäftigen.

Adamov: Dass das notwendig ist, kann ich aus der Praxis bestätigen. Wir müssen für unsere Kunden immer noch in jedem Einzelfall genau ermitteln, unter welchen Bedingungen Supraleiter verwendet werden und wie wir die gewünschte Charakterisierung liefern können, da es noch keine einheitlich definierten Anforderungen für bestimmte Anwendungen gibt. Für unsere Kunden geht es dabei um die Minimierung von Risiken. Für uns als Hersteller wäre die Normung die Basis dafür, den Weg dahin zu vereinfachen. Es wird aber noch eine Weile dauern, bis wir für jede Industrie durch sind.

Kostendruck und Personalnot als Bremsklotz

DKE: Das heißt, der Schritt von der allgemeinen Charakterisierung hin zur konkreten Anwendung ist aktuell die zu schließende Lücke?

Weiss: Das ist korrekt. Wenn wir uns die Normung anschauen, dann ist die Forschung für die grundsätzliche Methodik zuständig, der Hersteller für das Produkt und der Kunde für die konkrete Anwendung. Am Ende sind die Schlüsselfragen: Was braucht der Anwender in der Industrie? Wie können wir Vertrauen in die Technologie schaffen? Welche Fragestellungen muss ich berücksichtigen, und wie muss ich spezifizieren?

Adamov: Meine Sorge ist derzeit allerdings, dass für nachhaltige Lösungen in der Normung zu wenig Leute an den Themen arbeiten. Die Kapazität in der Grundlagenforschung ist da, aber in der Industrie wird zu wenig investiert. Dabei ist es doch so, dass wir damit die Anschlussfähigkeit unserer Innovationen an den internationalen Markt sicherstellen –  somit sorgt Normung für einen klaren Wettbewerbsvorteil.

Weiss: Da kommt wieder das Risiko ins Spiel, das Du vorhin angesprochen hast. Die Technologie ist reif, es gibt Kabel, Transformatoren, Magnete. Aber ein Energieversorger möchte natürlich wissen, ob die Produkte in zwanzig oder dreißig Jahren noch funktionieren – da muss sich eine junge Technologie beweisen. Kostendruck und Personalnot wirken demgegenüber manchmal wie ein Bremsklotz.


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Wissen, was läuft durch Normungsarbeit

DKE: Hand aufs Herz: Sie haben sicher in Ihren jeweiligen Jobs genug zu tun. Warum arbeiten Sie zusätzlich ehrenamtlich in der Normung? Was motiviert Sie?

Adamov: Ich bin erst seit drei Jahren dabei. Für mich persönlich ist es zentral, Teil der Kommunikation zu sein und mitzubekommen, was läuft. Ich lerne auch sehr viel darüber, wie Versuche durchgeführt werden, und kann weltweit Kontakte knüpfen. Als Mitarbeiterin von THEVA möchte ich natürlich bei Themen, die für uns wichtig sind, Einfluss haben und die Richtung mitbestimmen, in die es geht.

Weiss: Aus akademischer Sicht ist mir sehr wichtig, über Kontakte zur Industrie und zu anderen Forschungspartnern Einblicke in die gesamte Wertschöpfungskette zu gewinnen. Das Lernen, das stetige Verbessern und das gemeinsame Vorantreiben auf internationalem Level, das Ringen um das „Wie wird es richtig gemacht?“ – das ist einzigartig in der Normung. Natürlich steht am Ende unter einer Norm nicht der Name einer einzelnen Person wie bei einem wissenschaftlichen Paper, aber darum geht es auch nicht. 

Warum echtes Feuer keine Sternchen braucht

DKE: Das heißt, wer im Rampenlicht stehen möchte und nicht für sein Thema brennt, ist in der Normung fehl am Platz?

Weiss: Ich wäre nicht da, wo ich heute bin, wenn ich keine Begeisterung für meine Themen hätte – und dieses Feuer reicht auch für das Ehrenamt (lacht, Anm. d. Red.). Zumal das, was wir in der Normung tun, ganz eng mit dem täglichen Geschäft zusammenhängt. Ich kann die Qualitätssicherung in meinem Labor nach dem aktuellen Stand der Norm aufsetzen. Damit ist es keine Einbahnstraße, sondern ein Wechselspiel mit viel Gewinn für die Forschung.

Adamov: Wir brauchen keine Sternchen für unsere Arbeit (schmunzelt, Anm. d. Red.), unser Antrieb ist das große Interesse für unsere Technologie. Noch sind Supraleiter eine Nische, in der ich als Physikerin aktiv bin, weil ich sehr gerne daran arbeite. Es macht mich jedes Mal glücklich, wenn wieder ein Schritt in die richtige Richtung geschafft ist.

Mitwirken am großen Sprung

DKE: Wenn Sie in einem Elevator Pitch einen jungen Experten oder eine junge Expertin für die Mitarbeit im Gremium DKE/K 184 gewinnen müssten, was würden Sie sagen?

Adamov: Du möchtest an spannenden Themen arbeiten und nette Menschen kennenlernen? Dann mach mit. Das war jetzt ein bisschen wie ein Werbeslogan, aber im Ernst: Supraleiter sind eine neue Technologie mit viel Potenzial, die immer noch ihren Platz auf dem Markt sucht. Normen sollen dabei unterstützen, die Kommunikation zwischen Herstellern und Anwendern zu verbessern und zu erleichtern. Wenn sich niemand mit Normung beschäftigt, kommen wir gar nicht oder zumindest nicht so schnell voran.

Weiss: Supraleiter sind Enabler für verschiedenste Technologien. Es geht um die Kombination unterschiedlicher Forschungsfelder für innovative Anwendungen in der Energietechnik, in der Mobilität oder der Medizin. Daran kannst Du in direktem Kontakt mit nationalen und internationalen Playern und den relevanten Personen mitwirken.


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DKE: Zum Schluss noch ein kleines Gedankenspiel: Hätten Sie einen Wunsch frei, was würden Sie sich für die Zukunft der Supraleiter-Technologie wünschen?

Adamov: Mein größter Wunsch ist, dass die Fusion funktioniert und wir saubere Energie erzeugen können. Supraleiter können für den großen Sprung sorgen, den wir brauchen, damit Fusion zum Standard in der Energieversorgung werden kann. Außerdem müssen wir mit dem steigenden Stromverbrauch immer mehr Strom transportieren – auch hier wünsche ich mir, dass wir mit Supraleitern die Lücke schließen können.

Weiss: Dem kann ich mich nur anschließen. Ich wünsche mir eine stärkere Durchdringung auch in den etablierten Bereichen und mehr Drive dahingehend, Supraleiter weiter zu entwickeln. Der eingangs angesprochene Widerspruch zwischen Herstellung und Kühlaufwand bei Tief- und Hochtemperatursupraleitern soll sich auflösen – vielleicht ja durch ein neues Material, das wir in unserem Labor entwickeln. Aus dem Pflänzchen Supraleiter kann in jedem Fall etwas richtig Großes werden.

DKE: Wollen wir hoffen, dass diese spannenden Einblicke den einen oder die andere vom Engagement für Supraleiter überzeugt haben. Ihnen beiden vielen Dank für das Gespräch.

Redaktioneller Hinweis:

Sie möchten sich aktiv in die Normungsarbeit zu Supraleitern einbringen? Wenden Sie sich gerne direkt an Dr. Tim Brückmann (siehe Kontakt).

Die im Text aufgeführten Normen und Standards können Sie beim VDE VERLAG erwerben.

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