Roboterarme in einer Autofabrik, gelb rot
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11.06.2024 Fachinformation

Gleichstrom als Gamechanger für die Industrie

Die vierte industrielle Revolution, getrieben durch die Digitalisierung, stellt neue Anforderungen an die Energieversorgung in der Produktion. Gleichstromnetze bieten hierbei einige wesentliche Vorteile gegenüber der Wechselstromversorgung.

Eine Übersicht zu Potenzialen von Gleichstrom für die Industrie und ein Überblick zu aktuellen Entwicklungen.

PS: Wer mehr über das Potenzial von Gleichstromanwendungen in der Industrie erfahren möchte, den laden wir ganz herzlich zum DKE Innovation Campus 2024 nach Hanau ein. Am 2. Juli werden wir nämlich darüber diskutieren, ob Gleichstrom eine Schlüsselkomponente für eine nachhaltige Gesellschaft ist.

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Henriette Boos

Das erwartet Sie in diesem Artikel:

  • Vorteile von DC-Netzen in der Industrie
  • Pilotprojekte und Praxisbeispiele zu DC-Netzen
  • Technische Lösungen zur Beherrschung von Lichtbögen
  • Normungsarbeit zum Einsatz von DC-Anwendungen in der Industrie

In der modernen Industrielandschaft gewinnen Industrie 4.0 und das Industrial Internet of Things (IIoT) zunehmend an Bedeutung. Die Vernetzung von Maschinen, Sensoren und Steuerungssystemen ermöglicht eine hocheffiziente und flexible Produktion. Doch diese Entwicklung stellt gleichzeitig neue Herausforderungen an die Energieversorgung. Traditionell setzen Industriebetriebe auf Wechselstrom (AC); doch Gleichstrom (DC) bietet in vielen Bereichen Vorteile.

Gleichstromanwendungen können den Energieverbrauch senken, die Netzstabilität verbessern und die Integration erneuerbarer Energien erleichtern. Allerdings bringt der Einsatz von Gleichstrom auch spezifische Herausforderungen mit sich.

Energieeffizienz durch Gleichstrom

Einer der größten Vorteile von Gleichstrom liegt in der höheren Energieeffizienz. Viele industrielle Geräte und Maschinen, insbesondere im Bereich der Elektronik und Automatisierung, benötigen DC für ihren Betrieb. Bei der Verwendung von AC muss der Strom zunächst umgewandelt werden, was zu Energieverlusten führt. Durch den direkten Einsatz von DC entfallen diese Umwandlungsverluste, wodurch der Gesamtenergieverbrauch gesenkt wird.

Studien im Rahmen des Forschungsprojekts „DC-INDUSTRIE“ haben gezeigt, dass durch den Einsatz von DC in industriellen Anwendungen bis zu zehn Prozent Energie eingespart werden können. In Modellanlagen konnte sogar eine Reduzierung der Einspeiseleistung um bis zu 80 Prozent erreicht werden. Diese Ergebnisse verdeutlichen das enorme Potenzial von DC zur Steigerung der Energieeffizienz in der Industrie. 

Neben der direkten Energieeinsparung ergeben sich durch DC auch indirekte Effizienzvorteile. So können beispielsweise kleinere Kabelquerschnitte verwendet werden, da bei gleicher Leistung geringere Ströme fließen. Dies reduziert den Materialeinsatz – vor allem beim wertvollen Kupfer – und die Installationskosten. Zudem entfällt bei DC die Blindleistungskompensation, was den Aufwand für die Netzplanung und -auslegung verringert.

Ein weiterer Aspekt der Energieeffizienz ist die Möglichkeit der Rückspeisung von Bremsenergie – beispielsweise aus Elektromotoren. In vielen industriellen Anwendungen, wie beispielsweise in der Fördertechnik oder bei Werkzeugmaschinen, treten häufig Bremsvorgänge auf. Bei AC-Systemen wird die Bremsenergie meist in Wärme umgewandelt und geht verloren. Mit DC-Systemen kann die Bremsenergie durch Rekuperation jedoch effizient in das Netz zurückgespeist oder in Energiespeichern zwischengespeichert werden. Dadurch lässt sich der Energiebedarf weiter reduzieren und die Gesamteffizienz der Anlage steigern.

Verbesserte Netzstabilität und Einbindung erneuerbarer Energien

Ein weiterer Vorteil von Gleichstrom liegt in der verbesserten Netzstabilität. In AC-Netzen können Oberschwingungen und Blindleistung zu Problemen führen, die die Netzqualität beeinträchtigen. DC-Netze sind weniger anfällig für diese Störungen und bieten eine stabilere Energieversorgung. Zudem lassen sich erneuerbare Energiequellen, wie Photovoltaik und Windkraft, die natürlicherweise Gleichstrom erzeugen, leichter in DC-Netze integrieren. Dadurch können Industriebetriebe ihren Anteil an grüner Energie erhöhen und ihre CO2-Bilanz verbessern.

Das Systemkonzept DC-INDUSTRIE zeigt auf, wie offene industrielle Gleichstromnetze technisch realisiert werden können, um erneuerbare Energien effizient zu integrieren und den Energiebedarf zu reduzieren. Es ist geplant, die Systembeschreibung aus dem Projekt im kommenden Herbst 2024 als VDE SPEC 90037 zu veröffentlichen.

Die verbesserte Netzstabilität und die Einbindung erneuerbarer Energien tragen nicht nur zur Nachhaltigkeit bei, sondern erhöhen gleichzeitig auch die Versorgungssicherheit. Durch die Nutzung lokaler Energiequellen und die Entkopplung von öffentlichen Netzen können Industriebetriebe ihre Abhängigkeit von externen Stromlieferanten verringern und sich gegen Versorgungsunterbrechungen absichern.

Optimierte Steuerung von Sensoren und Aktoren

DC-Netze bieten auch Vorteile für die Steuerung von Sensoren und Aktoren in der Industrie und dem IIoT. Viele dieser Geräte arbeiten intern mit Gleichspannung und benötigen bei Versorgung mit AC zusätzliche Komponenten zur Stromrichtung. Durch den Einsatz von DC entfallen diese Komponenten, was die Komplexität reduziert, und die Zuverlässigkeit erhöht. Zudem ermöglicht DC eine präzisere Steuerung und schnellere Reaktionszeiten. Bei AC können die Nulldurchgänge der Sinusspannung zu Verzögerungen führen, die bei zeitkritischen Anwendungen problematisch sein können. DC bietet hingegen eine konstante Spannung ohne Nulldurchgänge, was eine kontinuierliche und verzögerungsfreie Ansteuerung von Sensoren und Aktoren ermöglicht. 

Ein weiterer Vorteil von Gleichstrom für die Sensorik und Aktorik liegt in der einfacheren Anbindung an Batteriesysteme und Energiespeicher. Viele Sensoren und Aktoren in der Industrie und dem IIoT sind batteriebetrieben oder verfügen über einen Energiespeicher zur Überbrückung von Versorgungsunterbrechungen. Da Batterien und Speicher ebenfalls mit Gleichspannung arbeiten, lassen sie sich direkt an DC-Netze anschließen, ohne dass eine Wandlung erforderlich ist. Die optimierte Steuerung von Sensoren und Aktoren durch DC trägt dazu bei, die Leistungsfähigkeit und Flexibilität von industriellen Automatisierungssystemen zu steigern.

Schnellere Reaktionszeiten, höhere Präzision und eine verbesserte Zuverlässigkeit ermöglichen es, komplexe Fertigungsprozesse effizienter zu steuern und die Produktqualität zu erhöhen. Gleichzeitig reduziert sich der Verkabelungs- und Installationsaufwand, da auf zusätzliche Komponenten zur Stromrichtung verzichtet werden kann.

Datenübertragung über die Stromversorgung

Ein innovativer Ansatz, der durch DC-Netze ermöglicht wird, ist die Datenübertragung über die Stromversorgung. Bei dieser als „Powerline Communication“ (PLC) bezeichneten Technologie werden Datensignale auf die Gleichspannung aufmoduliert und über die Stromkabel übertragen. Dadurch entfällt die Notwendigkeit separater Datenleitungen, was die Verkabelung vereinfacht und Kosten spart.

PLC eignet sich besonders für die Vernetzung von Sensoren, Aktoren und anderen Geräten in der Industrie 4.0 und dem IIoT. Durch die Nutzung der vorhandenen Strominfrastruktur können auch schwer zugängliche oder bewegliche Komponenten ohne zusätzlichen Verkabelungsaufwand in das Netzwerk integriert werden. Dies erleichtert die Implementierung von Condition Monitoring, Predictive Maintenance und anderen datenbasierten Anwendungen. Die Kombination von Energieversorgung und Datenübertragung in einem gemeinsamen DC-Netz schafft die Grundlage für eine ganzheitliche und effiziente Kommunikationsinfrastruktur in der Industrie.

Durch die Standardisierung von PLC-Technologien und -Protokollen, wie sie beispielsweise in der Norm IEEE 1901 beschrieben sind, wird die Interoperabilität zwischen verschiedenen Herstellern und Systemen gewährleistet.


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Pilotprojekte bestätigen die Erwartungen an Effizienz der DC-Produktion

Beispiele für die erfolgreiche Integration erneuerbarer Energien in industrielle Gleichstromnetze geben die Projekte von „DC-INDUSTRIE2“. Hier wurden Modellanwendungen mit DC-Netzen und Photovoltaikanlage, Windkraftanlage und Energiespeicher realisiert. Durch die direkte Einbindung der erneuerbaren Energien und die intelligente Steuerung des Energieflusses ließ sich der Bezug von Netzstrom um bis zu 30 Prozent reduzieren. Gleichzeitig wurde die Netzstabilität verbessert und die Versorgungsqualität erhöht.

Diese Beispiele zeigen, wie DC-Netze dazu beitragen können, die Energiewende in der Industrie voranzutreiben und eine nachhaltige Produktion zu ermöglichen.

Praxisbeispiele und Erfahrungen mit DC-Netzen

Ein weiteres Beispiel ist die Modellfabrik im Projekt „DC-INDUSTRIE2“, in der ein offenes DC-Netz mit Spannungsebenen von 650 Volt und 24 Volt realisiert wurde. Durch die konsequente Nutzung von DC wurden die Energieverluste um 15 Prozent reduziert und die Netzstabilität deutlich erhöht.

Die Erfahrungen aus den Pilotprojekten fließen auch in die Normungsarbeit ein. Die Erkenntnisse aus der Praxis helfen dabei, Normen und Standards weiterzuentwickeln und an die realen Bedürfnisse der Industrie anzupassen. Durch den engen Austausch zwischen Industrie, Forschung und Normungsgremien wird sichergestellt, dass die Normung mit den technologischen Entwicklungen Schritt hält und eine breite Anwendung von DC in der Industrie unterstützt.

Lichtbögen lassen sich bei DC-Anwendungen beherrschen

Ein zentrales Problem ist die Entstehung von Lichtbögen bei der Stromtrennung. Im Gegensatz zu Wechselstrom, wo der Strom periodisch durch den Nulldurchgang geht und somit leichter unterbrochen werden kann, fließt bei DC ein konstanter Strom. Durch die hohe Stromstärke und die Ionisierung der Luft zwischen den Kontakten bildet sich ein Plasma aus, das den Stromfluss aufrechterhält. Bei der Betätigung eines Schalters oder beim Ziehen eines Steckers kann es daher zu einem Lichtbogen kommen. 

Lichtbögen können Temperaturen von mehreren tausend Grad Celsius erreichen und zu Schmelzerscheinungen, Materialabrand und Verschweißungen an den Kontakten führen. Zudem besteht die Gefahr von Bränden und Verletzungen durch die intensive Wärmestrahlung und die Splitter geschmolzenen Metalls.

Mittlerweile existieren technische Lösungen, die eine Gefahr durch das Entstehen von Lichtbögen reduzieren. Ein Beispiel hierfür ist ein Steckverbinder, der mit einem intelligenten System zur Lichtbogenlöschung ausgestattet ist. Das System erkennt die Entstehung eines Lichtbogens durch die Überwachung von Spannung und Strom. Sobald ein Lichtbogen detektiert wird, wird eine Gegenspannung erzeugt, die den Lichtbogen löscht und den Stromfluss unterbricht. Dadurch wird eine sichere Trennung des Stromkreises gewährleistet und Schäden an den Kontakten vermieden.

Ein weiterer Ansatz zur Vermeidung von Lichtbögen sind spezielle Schalter für DC-Anwendungen. Diese Geräte sind mit Löschkammern ausgestattet, die den Lichtbogen durch Magnetfelder oder Gasströmungen in Löschbleche lenken und dort schnell zum Erlöschen bringen. Zudem werden Materialien mit hoher Lichtbogenfestigkeit wie Wolframcarbid oder Silber-Graphit verwendet, um den Kontaktverschleiß zu minimieren und die Lebensdauer zu erhöhen.

Solche innovativen Ansätze tragen dazu bei, die Vorteile von Gleichstrom in der Industrie nutzbar zu machen und gleichzeitig die spezifischen Herausforderungen zu bewältigen.

Normung bereitet den Weg für den DC-Einsatz in der Industrie

In den Normungsgremien werden Standards und Prüfverfahren entwickelt, um die Sicherheit von DC-Netzen zu gewährleisten. Die Normungsroadmap „Gleichstrom im Niederspannungsbereich“ (Version 2) gab 2018 bereits Handlungsempfehlungen für die Normung von DC-Anwendungen, beispielsweise zu Produktstandards mit Schutzeinrichtungen oder der getrennten Verlegung von AC- und DC-Stromkreisen.

Eine Norm definiert unter anderem Anforderungen für Gleichstrom-Anwendungen in industriellen Bereichen. DIN EN IEC 63056 wird im Normungsgremium DKE/UK 371.1 erarbeitet und behandelt „Sekundärzellen und -batterien mit alkalischem oder anderen nichtsäurehaltigen Elektrolyten – Sicherheitsanforderungen für sekundäre Lithiumbatterien für industrielle Anwendungen“. Da Batterien eine wichtige Rolle in industriellen DC-Netzen spielen, ist diese Norm relevant für Sicherheitsanforderungen.

Darüber hinaus arbeiten Normungsgremien wie DKE/UK 221.6 an der Koordination von Normungsprojekten für Niederspannungsgleichstromverteilnetze, insbesondere im Hinblick auf Schutzmaßnahmen. Aktuell wird zudem in verschiedenen Arbeitskreisen diskutiert, wie die Normen weiterentwickelt werden können, um den steigenden Anforderungen an Leistung, Sicherheit und Interoperabilität gerecht zu werden. Dabei geht es unter anderem um die Festlegung der Spannungsbereiche, die Beschreibung von Erdungskonzepten, die Standardisierung von Steckverbindern und die Integration von Energiespeichern.


Elektroauto mit Solarzapfsäule und Windrädern
Petair / Fotolia

Gleichstrom: Anwendungen in Industrie & Privatwirtschaft

Ohne Strom steht die Welt still, egal mit welcher Stromart das moderne Leben elektrifiziert ist.

Aufgrund des technologischen Fortschritts und wesentlicher Vorteile gegenüber Wechselstrom, nimmt die Bedeutung für Gleichstromanwendungen, über zahlreiche Branchen hinweg, immer weiter zu.

Für die Normung ergeben sich daraus neue Herausforderungen – vor allem im Hinblick auf vorhandene und neue Schutzkonzepte.

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Gleichstrom: Enabler für eine intelligente und nachhaltige Industrieautomation

Gleichstromanwendungen bieten in der Industrie und dem IIoT also einige Vorteile gegenüber traditionellen Wechselstromsystemen. Durch den Einsatz von DC können Industriebetriebe ihren Energieverbrauch senken, die Netzstabilität verbessern, erneuerbare Energien effizienter integrieren und innovative Anwendungen, wie die Datenübertragung über die Stromversorgung, realisieren. DC erweist sich damit immer deutlicher als Schlüsseltechnologie für eine intelligente, flexible und nachhaltige Industrieautomation.

Aktuelle Normungsaktivitäten und Forschungsprojekte treiben die Entwicklung und Standardisierung von DC-Netzen voran und schaffen die Grundlage für eine breite Anwendung in der Praxis. Die Erfahrungen aus Pilotprojekten von Unternehmen und Forschungseinrichtungen belegen die vielfältigen Vorteile von DC in realen Produktionsumgebungen und liefern wertvolle Erkenntnisse für die Weiterentwicklung der Technologie.

Um wettbewerbsfähig zu bleiben und den Anforderungen einer zukunftsfähigen Produktion gerecht zu werden, sollten Unternehmen die Potenziale von Gleichstrom für sich prüfen und in ihre Strategien zur Digitalisierung, Energieeffizienz und Nachhaltigkeit einbeziehen. Die DKE arbeitet bereits eng mit der vom Verband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI) gegründeten „Open Direct Current Alliance“ (ODCA) zusammen, um den Austausch zwischen Industrie, Planern und Normung zu gewährleisten.


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