- Warum Wasserstofftechnologien und Circular Economy zusammen gedacht werden müssen.
- Wie Normung dabei helfen kann, Rohstoffe entlang der Wasserstoff-Wertschöpfungskette besser einzusetzen.
- Weshalb die Circular Economy zukünftig ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal für Deutschland und Europa sein könnte.
- Wie ein sinnvoller Austausch von Forschungsergebnissen zwischen den relevanten und beteiligten Stakeholdern aussehen könnte.
Wasserstofftechnologie goes Circular Economy
Interview mit Dr. Tim Brückmann und Dr. Florian Lessing
DKE: Anfang 2023 wurde die Normungsroadmap Circular Economy veröffentlicht, die Normungsroadmap Wasserstofftechnologien wird derzeit erarbeitet. Zwei große Zukunftsthemen – warum ist der Brückenschlag, den das neue Impulspapier skizziert, so wichtig?
Brückmann: Nachhaltigkeit ist sowohl im Bereich Wasserstofftechnologien als auch im Bereich Circular Economy das entscheidende Motto. Die Circular Economy beschreibt die nachhaltige Nutzung von Rohstoffen über alle Lebensphasen eines Produkts hinweg. Bei der Nutzung von Wasserstofftechnologien für eine klimaneutrale und resiliente Energieerzeugung besteht die große Herausforderung darin, von Beginn an nachhaltig über den gesamten Lebenszyklus zu denken.
Lessing: Genau aus diesem Grund hat sich der Bedarf sofort gezeigt, beide Themen zusammenzuführen, und wir haben angeregt, ein Impulspapier zu Circular Economy und Wasserstofftechnologien aufzusetzen. Ein breiter Kreis an Expert*innen war an der Ausarbeitung beteiligt. In der Kommentierungsphase waren Expertinnen und Experten der Fraunhofer-Gesellschaft involviert, Universitäten sowie Hersteller von Brennstoffzellen und Elektrolyseuren und deren Zulieferer. Es gab einen hohen Grad an Zustimmung und wertvolle Inputs, die wir integrieren konnten.
Durch kluges Recycling vergrößert sich der verfügbare Bestand an Rohmaterialien
DKE: Im Impulspapier stehen Elektrolyseure und Brennstoffzellen im Fokus. Welche Rolle spielt die Circular Economy dabei, warum ist sie so wichtig?
Brückmann: Elektrolyseure wandeln Strom und Wasser in Sauerstoff sowie Wasserstoff; der umgekehrte Prozess findet in Brennstoffzellen statt. Für diese beiden sehr zentralen Technologien der Wasserstoffwirtschaft werden Rohstoffe benötigt. Bei deren Förderung und Verarbeitung wird ebenfalls CO2 emittiert. Das heißt, da müssen wir genau hinschauen, wenn wir wirklich nachhaltig werden wollen.
Lessing: Das stimmt. Hinzu kommt, dass einige Materialien, die zur Herstellung von Brennstoffzellen und Elektrolyseuren benötigt werden, zu den sogenannten kritischen Rohstoffen zählen. Die Verfügbarkeit ist gering oder es bestehen hohe Abhängigkeiten von einzelnen Produzenten und Verarbeitern. Die Jahresproduktion von Iridium zum Beispiel liegt aktuell bei etwa sieben Tonnen pro Jahr. Das ist eine Menge, die unter einen Schreibtisch passt. Nicht ganz so rar, aber ebenso wichtig ist Platin.
Es ist daher notwendig, einen Kreislauf zu schaffen, da die Rohstoffe nur begrenzt verfügbar sind. Zudem bringt es uns eine höhere Versorgungsstabilität, wenn die Rohstoffe wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt werden können, statt sie ungenutzt zu deponieren oder zu vernichten. Durch kluges Recycling vergrößert sich darüber hinaus der verfügbare Bestand an Rohmaterialien auf dem Markt, was einen positiven Effekt auf den Preis haben könnte.
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Modulare Bauteile können leichter repariert und wieder verwertbar gemacht werden
DKE: Wie kann die Normung dabei helfen, dass sich Rohstoffe entlang der Wertschöpfungskette für Wasserstoff klüger einsetzen und wieder verwerten lassen?
Lessing: Das Herzstück von Elektrolyseuren und Brennstoffzellen sind in Reihe geschaltete Zellen – sogenannte Stacks –, in denen die chemischen Reaktionen stattfinden. Jede Zelle beinhaltet Katalysatoren, die zumeist aus Edelmetallen bestehen. Für die Membrane der Zellen werden oftmals sogenannte PFAS-Chemikalien eingesetzt, die nicht in die Umwelt gelangen dürfen. Die Normung kann zum Beispiel Verfahren definieren, wie sich diese Stacks so aufbauen lassen, dass die einzelnen Elemente sich gut voneinander trennen und wieder aufbereiten lassen. Nur so kann ein Kreislauf geschaffen werden, der am Ende auch wirtschaftlich ist.
Brückmann: Ein ähnlicher Ansatz geht in die Richtung, modular zu bauen, so dass Bauteile leichter reparierbar und wieder verwertbar sind. Wir haben im Impulspapier auch einen Überblick geschaffen über bestehende Normen zur umweltfreundlichen Gestaltung von Produkten und zur Erhöhung der Materialeffizenz, die wir nutzen und für die Wasserstofftechnologien anpassen können.
Vielleicht an dieser Stelle noch ein Wort zu PFAS: Aktuell werden diese vor allem für die Membran in der PEM-Technologie benötigt. Alternativen sind noch nicht ausgereift. Wie Herr Lessing schon sagte, müsse man sichergehen, dass diese Stoffe im Produktkreislauf bleiben und nicht in die Umwelt gelangen. Setzt man scharfe Materialgrenzen zwischen den einzelnen Bauteilen, ließen sich PFAS sauber isolieren, sammeln und am Ende chemisch recyclen oder zumindest einer gezielten Behandlung unterwerfen.
Circular Economy könnte zukünftig das neue Unterscheidungsmerkmal sein
DKE: Wasserstofftechnologien stehen insgesamt noch am Anfang. Welches Potenzial sehen Sie darin, sich frühzeitig mit der Umsetzung einer Circular Economy zu beschäftigen?
Lessing: Bei einer jungen Technologie sollte von vornherein ein Design for Circularity einbezogen werden. Dann ist dieser Gedanke bei Herstellern, bei Infrastrukturbetreibern, bei Reparaturbetrieben und bei Ersatzteillieferanten implementiert. Die gesamte Wertschöpfungskette wird davon profitieren und kann sich von vornherein auf diese Abläufe ausrichten.
Brückmann: Einige Expertinnen und Experten sehen in einer Circular Economy für Wasserstofftechnologien auch die Chance für eine Differenzierung Deutschlands und Europas am Weltmarkt. Früher war Made in Germany ein Alleinstellungsmerkmal für hohe Qualität, aber da haben andere nachgezogen. Dann haben wir das Thema Energieeffizienz führend vorangetrieben, auch hier haben andere aufgeschlossen. Circular Economy kann zukünftig das neue Unterscheidungsmerkmal sein, so dass neben dem Made in Germany auch ein Made with Germany existiert.
Circular Economy – Normung als Rückgrat einer nachhaltigen gesamtwirtschaftlichen Produktion
Die Circular Economy (Kreislaufwirtschaft) ist das Gegenmodell zur Linearwirtschaft, die seit Beginn der Industrialisierung die weltweiten Wirtschaftsmodelle dominiert hat. Ziel dieser Circular Economy ist eine Erhöhung der Ressourceneffizienz entlang der gesamten Wertschöpfungskette, insbesondere mit Blick auf die endlichen Ressourcen des Planeten.
Normen und Standards helfen dabei, dieses Ziel schon bei der Produktion zu berücksichtigen.
Normung kann helfen, Innovationen zu etablieren und den Marktzugang zu erleichtern
DKE: Und welche Vorteile hat es, diesen Prozess schon so früh normativ zu begleiten?
Lessing: Wenn eine Technologie im Werden ist, kann die Normung dabei helfen, Innovationen zu etablieren und den Marktzugang erleichtern. Wir haben von modularer Bauweise und von scharfen Materialgrenzen gesprochen – die Normung kann einen Rahmen geben, wie sich solche Ideen realisieren lassen. Auch kann sie Vorgaben dazu machen, wie sich die Einhaltung solcher Richtlinien überprüfen lässt.
Brückmann: Als wir das Impulspapier erarbeitet haben, wurde deutlich, dass bereits einige sehr interessante Forschungsprojekte laufen. Solche Projekte können wir normativ aufgreifen, die Ergebnisse verwerten und weiter in die Praxis bringen. Daraus entsteht dann wieder ein Rückfluss zur Normung, die sich ebenfalls weiterentwickelt.
Lessing: Ich möchte noch einmal kurz auf das Thema Rohstoffe und die Bedeutung der Normung eingehen: Wenn wir zum Beispiel wollen, dass Iridium gesammelt und wieder verwertet wird, müssen Bemessungsgrundlagen definiert werden. Doch wie sollen die aussehen?
Wird der Anteil in Kilogramm pro Gerät oder pro eingesetztem Material angegeben? Wie berechne ich den Stoffverbrauch in der Produktion ein? Wenn über solche Fragen Einigkeit erzielt wurde, geht es darum festzulegen, wo die relevanten Daten erfasst werden. Hier kann ein Digitaler Produktpass oder Digitaler Zwilling Abhilfe verschaffen. All das zusammen ergibt die Chance, von Anfang an transparent zu arbeiten.
DKE: Wen sprechen Sie mit Ihrem Impulspapier an?
Brückmann: Letzten Endes genau diejenigen, die auch an der Erstellung mitgewirkt haben. Also die Forschung, Start-ups, Hersteller und Betreiber von Infrastruktur, Zweitverwerter & Co. Wir haben den Normungsbedarf sowie bereits vorhandene Normen aufgezeigt, die nun von den Normungsgremien aufgegriffen werden können.
Material- und ressourceneffizienter Einsatz von Wasserstofftechnologien durch Circular Economy
Die Dekarbonisierung zahlreicher Sektoren ist eine große Herausforderung. Wasserstofftechnologien spielen in der Energieerzeugung daher eine wichtige Rolle. Die Circular Economy verfolgt das Ziel und bietet Ansätze, um entlang der gesamten Wertschöpfungskette die Ressourceneffizienz zu erhöhen.
Das Impulspapier von DKE, VDI und DIN liefert einen umfassenden Überblick zu bestehenden Normen und Normungsbedarfen für die umweltfreundliche Gestaltung von Produkten sowie zur Erhöhung der Materialeffizienz, die für Technologien rund um Wasserstoff genutzt und angepasst werden können.
In Deutschland und Europa können wir eine Vorreiterrolle einnehmen
DKE: Kurz noch ein Blick in die Welt: Wie steht es denn international um Wasserstofftechnologien und Circular Economy?
Lessing: Die einzigartige Zuliefererindustrie der Automobilbranche in Deutschland und Europa ist ein starker Treiber für die Wasserstoffwirtschaft. Zulieferer, die bislang Filter, Beschichtungen oder Abgassonden hergestellt haben, sind in der Lage, künftig entscheidende Komponenten für Brennstoffzellen oder Elektrolyseure auf den Markt zu bringen. Deshalb besteht die Chance, eine Vorreiterrolle einzunehmen und den Circular-Economy-Gedanken einzubinden. Diejenigen, die die Standards frühzeitig entwickeln, werden die Normung international prägen.
Brückmann: Ich sehe es als große Chance an, mit den Wasserstofftechnologien in Europa einen Kreislauf zu etablieren und größere Unabhängigkeit zu schaffen. Da wird es auch darum gehen, das Know-how in Recycling-Technologien zu entwickeln und bei uns anzusiedeln. Es ist letztlich doch so, dass die EU einer der größten Absatzmärkte ist. Entscheidungen, zum Beispiel zum Thema PFAS, haben einen weltweiten Impact. Also wird auch das, was wir im Bereich Wasserstofftechnologie schaffen, weltweit Resonanz hervorrufen.
Forschungsergebnisse müssen in die Normung einfließen und wieder in die Industrie
DKE: Eine letzte Frage: Sehen Sie Bedarf an Unterstützung, damit Wasserstofftechnologien und Circular Economy künftig besser ineinandergreifen?
Brückmann: Ich denke, wir sind bereits auf einem guten Weg. Wir sind so früh unterwegs, dass die Normung sogar Lösungen anbieten kann, die die Notwendigkeit einer politischen Reglementierung an manchen Stellen erst gar nicht entstehen lassen könnte. Letztlich bedarf es aber Expertinnen und Experten aus Industrie, Wissenschaft und der übrigen Gesellschaft, welche diese Normen erarbeiten.
Lessing: Am wichtigsten ist aus meiner Sicht, wie schon angedeutet, dass die relevanten Forschungsergebnisse in die Normung einfließen und damit in die Industrie. Mit dem Impulspapier haben wir viele Aspekte aus beiden Welten zusammengetragen – nun kommt es darauf an, weiterzugehen. Wenn wichtige Erkenntnisse nicht in der Schublade landen, sondern in die kommerzielle Anwendung kommen, sehe ich großes Potenzial für die Zukunft.
Wir bedanken uns für dieses Interview bei
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