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03.05.2024 Fachinformation

Von der Oper zum Volkslied: Wie Smart Standards zum Handwerk kommen

Elektromobilität, Photovoltaik (PV), Smart Home und Energiewende: Das Handwerk der Elektrotechnik wird immer komplexer. Schon gründen sich „Zebrabetriebe“, die gewerkeübergreifend digitale Gesamtlösungen aus Heizung, PV, Wallboxen und Smart Home aus einer Hand anbieten. Andreas Dörflinger, Bundesbeauftragter für Digitalisierung im ZVEH (Zentraler Verband Elektro- und Informationstechnische Handwerke) und Ehrenobermeister Elektroinnung Main Taunus blickt in die Zukunft des Elektrohandwerks und meint: „Wir müssen die Normen digitalisieren, in innovative digitale Lösungen und Anwendungen integrieren, um die Komplexität des Elektrohandwerks in der All Electric Society zu beherrschen.“

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Damian Czarny

In diesem Interview erfahren Sie unter anderem:

  • Wie die Normung das Handwerk durch digitale Standards in der täglichen Arbeit unterstützen kann.
  • An welchen digitalen Lösungen das Handwerk gerade arbeitet und welche Rolle digitale Standards dabei spielen.
  • Wie das Handwerk aktiv in der nationalen und internationalen Normung und der Digitalisierung von Normen eingebunden ist.

Interview mit Elektromeister Andreas Dörflinger

DKE: Herr Dörflinger, ist die Digitalisierung beim Elektrohandwerk schon angekommen und wie sehen Sie die aktuellen Entwicklungen?

Dörflinger: Die Digitalisierung verändert unsere kompletten Arbeitsprozesse und den Markt insgesamt massiv. Aber im Handwerk ist die digitale Transformation bisher in vielen Betrieben bei kaufmännischer Software und Warenwirtschaftssystem zum Elektrogroßhandel stehengeblieben. In den letzten Jahren hat sich aber vieles verändert und diese Entwicklung beschleunigt sich. Vor zwei Jahren sprach noch niemand im Handwerk vom „Internet der Dinge“ (IoT). Heute haben wir vom ZVEH mit „Lean Connect“ ein IoT-Pilotprojekt realisiert, das auf großes Interesse stößt. 
 

Digitalisierung im Handwerk über gängige Unternehmenssoftware hinaus – ein digitaler Konfigurator für Innungsbetriebe

DKE: Was ist die Idee von Lean Connect?

Dörflinger: Es ist vor allem die Idee, über eine Schnittstelle eine Elektroinstallation vom ersten Kundengespräch von Planung und Materialbestellung bis zur Bauabnahme und Abrechnung mit einem medienbruchfreien digitalen Prozess abzubilden. Unsere Vorstellung war es, einen Konfigurator, wie ihn die Automobilindustrie seit bald zwei Jahrzehnten anbietet, auch dem Elektrohandwerk bereitzustellen. Wenn ich damit ein Haus konfiguriere, dann lege ich in einem Konfigurator Räume an, verteile Steckdosen, Lichtschalter oder Sensoren, Aktoren für Rollläden sowie Komfort, Entertain- und Sicherheitsinstallationen und das vielleicht sogar mit ihren Funktionen. Sind alle Kundenwünsche im Konfigurator eingegeben, erhält der Kunde sofort eine Kostenschätzung. Diese Kostenschätzung kann dann per Lean Connect Schnittstelle in weitere Tools wie ERP Systeme, CAD Programme oder zum Elektrogroßhanden medienbruchfrei übertragen werden.
 

Digitalisierung schafft Klarheit für auftraggebende, planende und ausführende Personen

DKE: Welche Vorteile hat der Kunde und der Handwerksbetrieb davon?

Dörflinger: Bevor ich an die Umsetzung gehe, kann der Kunde entscheiden, was sein Budget hergibt. So kann er bestimmte Teile der Installation zurückstellen, aber die Leitungen werden im Neubau oder bei einer Kernsanierung bereits für eine spätere Umsetzung verlegt. Und da ist die Idee gereift, ob wir diese Funktionen übertragen können? Gibt es eine Schnittstelle, die es schafft, eben diese Planungen und ihre Funktionen medienbruchfrei und digital in andere Software wie ein CAD-Programm und die Warenwirtschaft für die Bestellprozesse zu übertragen? Lean Connect ist praktisch wie ein Güterzug. Ich lege meine Informationen für jeden Raum in einen Wagon, durch den die Informationen und Daten an die anderen Systeme verteilt werden. Es werden also Informationen übertragen, die kaufmännischer und auch technischer Natur sind. 
 

Integration vieler Gewerke in einem digitalen Konfigurator möglich

DKE: Warum eigentlich nur für das Elektrohandwerk? 

Dörflinger: Absolut richtig. Im Grunde wollen wir allen Handwerksbetrieben bis hin zum Mittelstand eine „Eierlegende Wollmilchsau“ zur Verfügung stellen. Denn theoretisch kann diese Anwendung auch Daten anderer Gewerke wie Heizungs- und PV-Planung übertragen, bei der dann beispielsweise auch Sanitärhandwerker und Dachdecker eingebunden werden. Diese und andere Gewerke müssen heute schon und künftig noch viel mehr mit dem Elektrohandwerk zusammenarbeiten.
 

Installationsvorgaben von Millionen von Produkten integrier- und abrufbar – auch von Norminhalten 

DKE: Aber dann müsste das Programm eine Unmenge an Daten von Herstellern, ihren Produkten und Installationsvorgaben bereitstellen?

Dörflinger: Wir arbeiten noch an einer weiteren Plattform, Elektro 1 genannt. Das ist ein verbandseigener Datenpool, in dem wir mittlerweile schon circa eine Million Artikel erfasst haben. Dabei veredeln wir die Informationen der Bauteile. Wir machen Einzelpositionen zu Verbundpositionen. Eine fertig installierte Steckdose oder ein Lichtschalter besteht immer aus Bauzeit und mehreren Positionen wie Kabel, Klemmen und zahlreichen einzelnen Kleinteilen. Der Raum wiederum besteht aus zahlreichen Einzelinstallationen. Der Kunde möchte ja wissen, was die einzelnen Installationen und Komponenten sowie am Ende das Gebäude kostet. Zu diesen veredelten Daten und Verbundpositionen können wir natürlich auch Produkt- und Installationsnormen hinterlegen. Weil wir diese Daten in die Räume implementieren, kann ich im nächsten Schritt Informationen bereitstellen über das Produkt, was bei der Verarbeitung zu beachten sowie welche Normen generell anzuwenden sind. 
 

Digitale Norminhalte im Konfigurator – eine Zukunftsvision mit praktischen Vorteilen für das Handwerk

DKE: Können denn die notwendigen Normen für Produkte und Installationen künftig digital hinterlegt werden?

Dörflinger: Das ist momentan eine sehr spannende Diskussion in unseren Gremien, in unserer Anwendung auch Normen als Smart Standards digital verfügbar zu machen. Sie könnten Handwerker beispielsweise auf besondere Normen für Installationen in einem Badezimmer oder einer öffentlichen Einrichtung hinweisen. Denn Hand aufs Herz: Wann schaut der Handwerker in die Normen? Es ist wie mit der Straßenverkehrsordnung: Die Grundlagen lernt man beim Führerschein, fährt aber dennoch zu schnell, parkt falsch. Und wer weiß heute noch, wie weit man vor einem unbeschrankten Bahnübergang anhalten und sich orientieren muss? Es ist zwar noch Zukunftsmusik. Aber es wäre einen Riesenvorteil, wenn wir die produkt- und installationsbezogenen Normen im Konfigurator bereitstellen, so dass sie jederzeit auch auf einem Smartphone auf der Baustelle zur Verfügung stehen. Die Norm muss zum Produkt und zum Handwerker vor Ort kommen. Aus der Norm als heilige Oper soll ein Volkslied werden, das jeder überall und jederzeit trällern kann. Das ist zwar noch eine Vision, aber dadurch gäbe es keine Überraschungen mehr durch Normverletzungen, die später bei der Bauabnahme viel Geld und Zeit kosten. 
 


Junger lächelnder Elektriker mit Bündel Drähten über der Schulter
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Handwerk liefert höhere Qualität durch digitale Anwendungen, wenn auch die Cybersicherheit mitgedacht wird

DKE: Könnte eine solche Aufwertung in der Normanwendung bei komplexen Systemen nicht auch ein Qualitätsversprechen für das Handwerk sein?

Dörflinger: Das ist ein großes Thema: Wie kann ich meine Qualität besser verkaufen? Neben physischer Sicherheit kommen ja in digitalen Systemen auch Fragen nach der Cybersecurity dazu. Das Smart Home ist immer nur so stark gegen Hacker geschützt, wie die schwächste Komponente. Was bedeutet das dann für die „Geprüfte Sicherheit“? Sicherlich kann angesichts der rasanten Technologieentwicklung eine automatische Normanwendung auch ein weiteres Qualitätsversprechen für unsere Fachbetriebe sein. Gerade angesichts des Fachkräftemangels und der Fluktuation der Fachkräfte, wo immer auch bei Personalwechsel wertvolles Wissen verloren geht.
 

Komplexität für das Handwerk durch Smart Standards reduziert

DKE: Aber der Handwerker hat doch ein Interesse an normgerechter Arbeit?

Dörflinger: Natürlich und das haben die meisten Betriebe im ZVEH auch und setzen es um. Ich sehe allerdings zwei Trends: Zum einen wird das Elektrohandwerk durch die Elektrifizierung mit E-Mobilität, PV-Anlagen und Smart Home immer komplexer. Zum anderen reagieren die Betriebe darauf, dass einige zwar Vollsortimenter bleiben, sich andere aber spezialisieren. Es ist eben nicht mehr wie früher, dass wir ein paar Leitungen verlegt und Steckdosen gesetzt haben, wie das in den 1920-er Jahren in Berlin mit der Elektrifizierung der ersten Häuser begann. Damals reichte es, die VDE 0100 für die Gesellenprüfung zu lernen. Aber die Normen entwickeln sich entlang der rasanten technischen Entwicklung weiter. Die muss der Handwerker heute kennen. Die heutige Haus-, Wärme- und Elektrotechnologien sind so komplex, dass die Kolleginnen und Kollegen kaum hinterherkommen, um auf dem Laufenden der Normentwicklung zu bleiben. Hier wären Smart Standards, die in Lean Connect integriert sind, eine ideale Lösung, den Wissenstransfer in die Betriebe zu gewährleisten.
 

Ehrenamt statt Rentnerdasein – Dörflinger als Bundesbeauftragten für Digitalisierung im ZVEH 

DKE: Wie kam es, dass Sie sich heute so in der ehrenamtlichen Normungsarbeit engagieren? 

Dörflinger: Ich hatte mich schon als ich noch aktiv in meinem Betrieb arbeitete als Obermeister und im Verband im Vorstand engagiert. Ich übergab meinen Betrieb planmäßig nach dreißig Jahren an einen jüngeren Geschäftsführer. Kaum hatte ich etwas Zeit, berief der ZVEH mich zum Bundesbeauftragten für Digitalisierung. Mittlerweile haben wir als Verband die Mixed Data Agency (MDA) gegründet, in der ich als Geschäftsführer gemeinsam mit Ludwig Klatzka auch Elektro 1 mit ins Leben gerufen habe. Wir sind das agile Schnellboot. Wir müssen und wollen mit unseren Digitalisierungsprozessen schneller werden. Und so ist seit 2020 aus einem geplanten Rentnerdasein zum Leidwesen meiner Frau doch wieder fast ein Fulltimejob geworden. 
 


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Schnittstellen zu Gewerken nehmen zu – der Elektriker übernimmt jedoch am Schluss die gesamte Gewährleistung 

DKE: Wo sehen Sie die größten Herausforderungen bei der Digitalisierung mit Smart Standards und wie bringt sich der ZVEH dabei ein?

Dörflinger: Digitalisierung ist ein Mannschaftssport. Etwa 40 ZVEH-Mitglieder arbeiten ehrenamtlich in den Normungsgremien und Arbeitskreisen von VDE, DKE und bis auf europäischer Ebene im CENELEC an diesen Themen. Industrie, Normungswesen und das Handwerk müssen zusammenarbeiten, gemeinsam Nutzen erzeugen. Viele Technikbereiche werden durch die Energiewende und den Prozess zur All Electric Society immer mehr zusammenwachsen. Wir sehen neue Unternehmensformen und sprechen mittlerweile auch von sogenannten „Zebrabetrieben“. Das sind Betriebe, die Elektro-, PV- und Heizungsanlagen schon aus einer Hand und teilweise bereits mit digitalen Prozessen anbieten. Aber im Prinzip stellen wir fest, dass Schnittstellen zu den Gewerken immer schwieriger werden. Wenn Sie eine PV-Anlage bauen, dann brauchen Sie einen Dachdecker und Sie brauchen in Summe jemanden, der die Elektroinstallationen im Gesamtsystem verantwortet. Der Elektriker übernimmt am Schluss die gesamte Gewährleistung und nicht der Planer oder Architekt. Das ist die Herausforderung, wenn wir über Smart Standards sprechen, die dann auch Schnittstellen definieren und dafür sorgen müssen, dass auch jeder weiß, was er zu tun hat.
 

Smart Standards als Mittler zwischen den Gewerken

DKE: Welchen Beitrag können Smart Standards künftig in der Sektorenkopplung spielen? 

Dörflinger: Normen sind Mittel zum Zweck und Smart Standards können einen Zusatznutzen spenden. Aufgrund der Energiewende rückt das Thema Wirtschaftlichkeit und Energieeffizienz immer mehr in den Vordergrund. Ich muss Energie intelligent managen, erzeugen und verteilen. Wenn Strom knapp wird, ist er teuer, aber bei Überfluss ist er günstig. Ich brauche also eine Batterie, um günstigen Strom zu speichern, und natürlich ein Smart-Home-System. Es managt meine Anlagen wie Wärmepumpe, Wallbox und E-Auto sowie meinen PV-Strom und den wesentlich teureren Strom aus dem Netz so, dass sie stets kosten- und energieeffizient in Betrieb sind. Und über die Sektorenkopplung kann ich meinen überschüssigen Strom netzdienlich bereitstellen und damit einen Beitrag zur Netzstabilität leisten und Geld verdienen. Deshalb sehe ich das in Summe so, dass künftig das Portemonnaie und die Energieeffizienz im Vordergrund stehen sollten. Es gibt viele Stellschrauben und Parameter, und das ist die neue Herausforderung. Wie bekomme ich alle Energieformen und die Produktion inklusive Heizsysteme mit ihrer Steuerung von verschiedenen Gewerken mit den richtigen Normen in die richtige Reihenfolge? Smart Standards wären hier ideal und könnten sogar einen Handlungsleitfaden für die Installation bereitstellen. Eine Künstliche Intelligenz wäre dann tatsächlich der nächste Schritt. 
 

Wir bedanken uns für dieses Interview bei

Portrait Andreas Dörflinger ZVEH

Andraes Dörflinger

Als der leidenschaftliche Elektromeister 1990 die Dörflinger Elektrotechnik GmbH gründete, beschloss er bereits, dass er nach 30 Jahren ausscheiden wolle. 2020 fand er einen Nachfolger, blieb dem Betrieb mit 25 Mitarbeitern aber als Gesellschafter und Prokurist erhalten. Kaum hatte er etwas mehr Zeit, rief das Ehrenamt. Heute engagiert er sich als Vertreter des Handwerks unter anderem auch im Projekt IDiS von DKE und DIN, in dem Normeninhalte vollständig digitalisiert und die Entwicklung und stufenweise Etablierung von SMART Standards gefördert werden. Der Ehrenobermeister der Elektroinnung Main-Taunus ist Bundesbeauftragter für Digitalisierung im ZVEH und Geschäftsführer der Mixed Data Agency Verwaltung GmbH (MDA), einer Tochtergesellschaft des ZVEH. Er ist zudem Sprecher der Projektgruppe Digitalisierung im ZVEH und arbeitet als Delegierter des ZVEH in den Projektgruppen Digitaler Produktpass, Digitale Projektakte.

Portrait Andreas Dörflinger ZVEH

Als der leidenschaftliche Elektromeister 1990 die Dörflinger Elektrotechnik GmbH gründete, beschloss er bereits, dass er nach 30 Jahren ausscheiden wolle. 2020 fand er einen Nachfolger, blieb dem Betrieb mit 25 Mitarbeitern aber als Gesellschafter und Prokurist erhalten. Kaum hatte er etwas mehr Zeit, rief das Ehrenamt. Heute engagiert er sich als Vertreter des Handwerks unter anderem auch im Projekt IDiS von DKE und DIN, in dem Normeninhalte vollständig digitalisiert und die Entwicklung und stufenweise Etablierung von SMART Standards gefördert werden. Der Ehrenobermeister der Elektroinnung Main-Taunus ist Bundesbeauftragter für Digitalisierung im ZVEH und Geschäftsführer der Mixed Data Agency Verwaltung GmbH (MDA), einer Tochtergesellschaft des ZVEH. Er ist zudem Sprecher der Projektgruppe Digitalisierung im ZVEH und arbeitet als Delegierter des ZVEH in den Projektgruppen Digitaler Produktpass, Digitale Projektakte.


Junger lächelnder Elektriker mit Bündel Drähten über der Schulter
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