Vier Jahre sind vergangen, seit die DKE die zweite Version der Deutschen Normungsroadmap Smart Home + Building vorgelegt hat. Die Digitalisierung und Vernetzung fast sämtlicher Bereiche ist seitdem rasant fortgeschritten – sei es für die Temperatursteuerung, bei Mährobotern, Sprachassistenten, die beim Home Schooling helfen, oder Kameras, die das eigene Zuhause überwachen.
Smart Home & Living: Ohne interoperable Infrastruktur wird großes Potenzial verschenkt
Es existieren zahlreiche Smart-Home-Lösungen für die Heimautomatisierung, Unterhaltungselektronik, dezentrale Energieversorgung sowie Sicherheitstechnik – und das Angebot wächst kontinuierlich.
Gleichzeitig sind viele dieser Angebote technologisch noch immer eingeschränkt, da sie jeweils für einen speziellen Anwendungsbereich optimiert sind und daher keinen ganzheitlichen Lösungsansatz ermöglichen. Ein reibungsloses Zusammenspiel der verschiedenen Systeme unterschiedlicher Anbieter steht aus Sicht der Normung weiterhin ganz oben auf der To-do-Liste. Nicht zuletzt erreicht über den neuen Grad der Vernetzung auch die elektrische Sicherheit eine neue Risikoschwelle. Zu adressieren, welche speziellen Anforderungen entstehen, wenn immer mehr Produkte miteinander vernetzt werden, bleibt ebenfalls Kernaufgabe der Normung.
Softwareanbieter genau wie Webseitenetreiber möchten ihren Nutzern ein optimales Angebot an unterschiedlichen Diensten bieten und sind deswegen auf eine funktionierende Schnittstelle angewiesen. Aber auch für Unternehmen sind Schnittstellen ein wichtiges Tool, um heterogene Systeme miteinander verbinden zu können und ineffiziente Insellösungen zu vermeiden.
Die Deutsche Normungsroadmap Smart Home & Living (2020)
ist in sechs Domänen aufgeteilt, die den aktuellen Stand der Normung, Herausforderungen und Lösungsmöglichkeiten aufzeigen. Sie lebt von den beteiligten Expertinnen und Experten, die ihre Erfahrungen, Ideen und ihr Wissen in gemeinsamen Workshops zusammentragen.
Webservice Schnittstelle
Das Zusammenspiel von Multi-Vendor-Systemen ist in den einzelnen Sektoren unterschiedlich weit entwickelt. Bei Zweckbauten, wie zum Beispiel Bürohäusern und Arztpraxen, ist die Normung der Infrastruktur, und damit die Systemintegration von Beleuchtungs-, Lüftungs- oder Heizungssteuerung, weit fortgeschritten. In diesen Bereichen sind auch Fernzugriff, Ferndiagnose und Fernservice gut möglich. Im Wohnbau jedoch sind die verfügbaren Angebote von interoperablen Lösungen noch deutlich weniger entwickelt. „Wichtig ist, dass solche Integrationsleistungen nicht nur von Ingenieuren durchgeführt werden können, sondern von jedem Installateur mit entsprechender fachlicher Ausbildung“, sagt Peter Ferstl, Abteilungsleiter Entwicklung Building Products Siemens und Obmann im Expertengremium DKE/K 716 „Elektrische Systemtechnik für Heim und Gebäude (ESHG)“.
Das Ziel, die Bearbeitungsmöglichkeiten für Personen zu erweitern, die zwar keine Anlagenspezialisten sind, aber über IT-Fähigkeiten verfügen, verfolgt unter anderem die Webservice-Schnittstelle (DIN EN 50090-6-1:2018-04 ). „Auf diese Weise können Spezialisten, die nicht aus der Web-Programmierung stammen, sich einfach draufschalten, damit sie die Information aus einer Anlage aufnehmen und verarbeiten“, erläutert Ferstl weiter.
Expertengremium DKE/K 716 Elektrische Systemtechnik für Heim und Gebäude (ESHG)
Die Normungsexperten im Gremium K 716 koordinieren die Normungsaktivitäten zur Sicherstellung von Informationsverarbeitung, Übermittlung, Überwachung, Steuerung und Regelung in Haushalten und ähnlichen Installationen und ihrer unmittelbaren Umgebung, einschließlich der Umsetzer zu unterschiedlichen Übertragungsmedien und öffentlichen Netzen.
Flexibles Energiemanagement
Der Energiesektor ist einer der Bereiche, der die Notwendigkeit von Interoperabilität besonders deutlich werden lässt. Im Zuge der Energiewende nehmen immer mehr Verbraucher als Prosumer aktiv am Energiemarkt teil: Sie erzeugen Solarstrom, betreiben Heimspeicher und laden ihre Elektrofahrzeuge. Das erhöht jedoch die Komplexität. Um das System auch in Zukunft sicher und effizient steuern zu können, bedarf es einer durchgängigen Digitalisierung aller Komponenten und Prozesse.
Ein wesentlicher Schlüssel der Energiewende sind Smart Meter Gateways. Mit diesen Kommunikationseinheiten, die Messsysteme für Strom- und bald auch Gaszähler eines Haushalts an die Messstellen-Provider anbinden, sollen Zähler und technische Anlagen sicher in ein intelligentes Energienetz eingebunden werden. Es entsteht eine interoperable, offene Plattform, durch die Dienstleistungen anbieterunabhängig verfügbar werden. Der flächendeckende Roll-out dieser Geräte hat in Deutschland im Frühjahr 2020 begonnen.
„Im Bereich Smart Metering gibt es aber weiterhin noch viel Diskussionsbedarf“, mahnt Ferstl. Viele der Forschungsprojekte, die die Möglichkeiten von Smart Metering ausloten, sind rein national besetzt und bei unterschiedlichen Energieversorgen aufgehängt. „Von einer europäischen Lösung sind wir noch sehr weit entfernt.“ Jedoch ist mit den Normenreihen DIN EN 50491-11 und DIN EN 50491-12 der Startpunkt schon gesetzt.
Auch das sichere Zusammenspiel, beispielsweise von Elektroautos und Ladestationen, wirft viele Fragen auf, auch weil dort noch Normungsgruppen, die weit über den Smart-Home-Bereich hinaus reichen, relevant sind. Der Informationsaustausch zwischen den einzelnen Gremien ist und bleibt hier immens wichtig.
Smart Meter: Flexibles Energiemanagement und digitales Rückgrat für die Energiewende
Smart Meter werden zum neuen Standard für die Messung, Speicherung und Auswertung des eigenen Stromverbrauchs. Für die Zukunft intelligenter Stromnetze sind sie daher unerlässlich.
Verbraucher profitieren im eigenen Zuhause von den Vorteilen, die Smart Meter mit sich bringen.
Dezentrale Applikationen
Der zunehmende Zusammenschluss vieler intelligenter Geräte, also dem Entstehen des Internet of Things (IoT), in dem sich Maschinen selbst gegenseitig die notwendigen Informationen zukommen lassen, kann viele Vorzüge mit sich bringen. Die Abkehr von einer zentralen Steuerung schafft auf der einen Seite mehr Resilienz: Wenn ein Gerät oder Sensor ausfällt, fällt nicht die komplette Anlage aus. Aber: Die diversen Webschnittstellen könnten es Kriminellen ermöglichen, aus dem Internet auf Anlagen zuzugreifen. Damit gewinnt das Thema der Cybersecurity massiv an Bedeutung. „Da hat man sich in der Vergangenheit noch zu wenig drum gekümmert. Natürlich existiert zum Teil schon eine verschlüsselte Kommunikation in den Anlagen, aber die Sensibilität der Schnittstelle muss viel mehr in den Vordergrund rücken“, beschreibt Ferstl die Problematik.
Das Thema ist sehr technisch, komplex und nicht einfach zu verstehen. „Sowohl Planer als auch die Kunden haben bislang noch keine klare Vorstellung davon, welchen Bedarf an Schutzmaßnahmen sie haben. Entsprechende Sicherheitsklassen müssen erarbeitet werden“, sagt Ferstl. Das Ziel müsse es daher sein, ein Klassifizierungssystem zu erarbeiten, über das Experten dem Kunden verständlich kommunizieren können, welche Maßnahmen sie umsetzen könnten, sollten und welche unbedingt erforderlich sind. Als erster Schritt wurde bereits eine entsprechende VDE Anwendungsregel erarbeitet:
- VDE-AR-E 2849-1 Elektrische Systemtechnik in Heim und Gebäude – IT-Sicherheit und Datenschutz – Allgemeine Anforderungen
„Eine rein nationale Lösung ist auch in diesem Bereich nicht sinnvoll“, gibt Ferstl zu bedenken. Deshalb wird dieses Thema beim Europäisches Komitee für Elektrotechnische Normung (CENELEC) weiterverfolgt. Als Basis dient die deutsche VDE Anwendungsregel.
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Semantische Standardisierung schreitet voran
Ebenfalls an Bedeutung gewinnen wird in Zukunft das semantische IoT-Informationsmodell. Informationen zu Systemen werden heute überwiegend manuell von Menschen erarbeitet und aufgeschrieben, die alle ein unterschiedliches Sprachverständnis haben. Um ein daraus erwachsenes „Sprachenwirrwarr“ zu vermeiden, werden ein standardisiertes Wörterbuch und eine Ontologie benötigt – also Regeln für die Beschreibung. Künftig sollen solche Informationen in maschinenlesbarer Form vorliegen, damit Computer diese auswerten und Verbindungen automatisiert herstellen können. Servicetechniker unterschiedlicher Firmen könnten im Servicefall mit diesen einheitlichen Informationen sofort umgehen.
Zum semantischen IoT-Informationsmodell liegt der Normentwurf prEN 50900-6-2:2020-03 vor. „Diese Bemühungen dürfen sich natürlich nicht ausschließlich auf CENELEC beschränken, sondern es bedarf auch eines internationalen Zusammenspiels, beispielsweise mit der ISO und ASHRAE in den USA“, sagt Ferstl.
Anwendungsneutrale Verkabelung als Rückgrat der Infrastruktur von Smart Home & Building
Die Normenreihe DIN EN 50173 beschreibt „Anwendungsneutrale Kommunikationskabelanlagen“ in Gebäuden und deren Umfeld. Dabei sind DIN EN 50173-4 „Wohnbereich“ und DIN EN 50173-6 „Verteilte Dienste“ für den Bereich Smart Home & Building neben DIN EN 50173-1 „Allgemeine Anforderungen“ von ganz besonderer Relevanz.
Die Norm DIN EN 50173-4 legt diejenigen Festlegungen der anwendungsneutraler Kommunikationskabelanlagen fest, die in Wohnungen (Einfamilien- und Mehrfamilienhäusern) anzuwenden sind. Diese Anforderungen treffen in gleicher Weise auf Räumlichkeiten in Gebäuden mit gemischter Nutzung (Wohnungen, Arztpraxen, Kanzleien usw.) zu, die zu Wohnzwecken verwendet werden. Dabei wird berücksichtigt, dass in Wohnungen meist vielfältige Netzanwendungen aus einer oder mehrerer der folgenden Gruppen unterstützt werden sollen:
- Informations- und Kommunikationstechnik (IuK);
- Rundfunk- und Kommunikationstechnik (RuK).
Im Hinblick auf die dazu benötigte langlebige Infrastruktur bietet eine nach dieser Norm ausgeführte anwendungsneutrale Kommunikationskabelanlage sowohl eine technisch zuverlässige wie auch wirtschaftlich attraktive, zukunftssichere Lösung an.
Die Norm DIN EN 50173-6 legt diejenigen Festlegungen der anwendungsneutraler Kommunikationskabelanlagen fest, die eine Fülle von nutzerunspezifischen Kommunikationsdiensten innerhalb von einzelnen Gebäuden oder Gebäudekomplexen an einem Standort unterstützen. Viele dieser Dienste erfordern die Verwendung von ferngespeisten Geräten, einschließlich solcher für die Telekommunikation, das Energiemanagement, die Steuerung der Umgebungsbedingungen, das Mitarbeitermanagement und für Alarmierung. Die Verteilung dieser Dienste (z. B. für Funkzugangspunkte, ferngespeiste Geräte und Gebäudemanagementsysteme) wird an anderen Orten als an denjenigen, die in den Standort-spezifischen Normen der Reihe EN 50173 spezifiziert sind, bereitgestellt, und zwar entweder durch eine Struktur und Konfiguration, die der, die in der Normenreihe EN 50173 festgelegten, überlagert ist oder durch eine unabhängige Struktur und Konfiguration.
Die Norm DIN EN 50173-6 unterstützt sowohl symmetrische Kupferkabel als auch Lichtwellenleiterkabel. Damit steht künftig auch für Dienste, die bisher über dedizierte, bedarfsorientierte Verkabelungen übertragen wurden, eine universell nutzbare, zukunftssichere Kommunikationskabelanlage zur Verfügung. Diese Vereinheitlichung der IT-Infrastruktur eines Gebäudes reduziert die Investitions- und Betriebskosten sowie die Brandlast und trägt auf diese Weise auch zur Ressourcenschonung bei.
Anwendungsneutrale Kommunikationskabelanlagen nach EN 50173 und EN 50174
Yvan Engels beantwortet im Interview unter anderem folgende Fragen:
- Wie ist die Idee zu diesem Buch entstanden?
- Warum sollten Anwender dieses Buch auf jeden Fall lesen?
- Welche Entwicklung ist für die Strukturierte Verkabelung zu erwarten?
Handlungsbedarf für Politik und Verbände
Beim Creativ Dialog, der am 5. Februar 2020 stattfand, haben Expertinnen und Experten aus den unterschiedlichsten Unternehmensbereichen eine Vielzahl von Herausforderungen, Ideen und Lösungsmöglichkeiten im Sinne der Standardisierungs- und Konsolidierungsbestrebungen für die Weiterentwicklung von Smart Home & Living hin zum Volumenmarkt erarbeitet.
Darüber hinaus sind weitere Ausbildungsbedarfe sowie politische Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. Diese sind in der folgenden Aufzählung genannt und werden nun in zukünftigen Workshops von der Expertengruppe den einzelnen Domänen zugeordnet und priorisiert. Daraus ergeben sich dann konkrete Arbeitsaufträge an Politik und Verbände.
Normungsaktivitäten im Bereich der Smart-Home-Infrastruktur
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Redaktioneller Hinweis:
Die im Text aufgeführten Normen können Sie im VDE VERLAG erwerben.