Elektromüll auf einem Haufen
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10.06.2024 Fachinformation

Der dringende Bedarf an Regulierung und Normen für das weltweite Management von Elektro- und Elektronikabfällen

Die wachsende Menge an Elektro- und Elektronikabfällen und die Frage, wie diese sicher entsorgt werden können, stellen eine große globale Herausforderung dar.

Normen und Zertifizierung können dazu beitragen, die Ziele von SDG 12, einem der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung, zu erreichen, nämlich nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherzustellen.

Ein Artikel von Priyanka Dasgupta für IEC e-tech.

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Dr. Tim Brückmann
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Das erwartet Sie in diesem Artikel:

  • Warum die ordnungsgemäße Entsorgung von Elektroschrott ist eine riesige Herausforderung ist.
  • Wer die Hauptexporteure unkontrollierter Elektronikabfälle und Elektro- und Elektronikgeräte sind.
  • Wie die Herausforderungen beim Umgang mit Elektro- und Elektronikabfällen zur Chance werden können.
  • Wie sich die Reparierbarkeit von Elektro- und Elektronikprodukten auf die Wertschöpfung vor Ort auswirken kann.
  • Welche Rolle Normen bei der Sicherstellung geeigneter Regelungen zur Reparierbarkeit von Elektronikgeräten spielen.

Alte Fernsehmonitore, Kabelbündel, Leiterplatten und Batterien, aus denen Blei und Cadmium austritt – dies sind alles Dinge, auf die Müllsammler, sog. Kabadiwalas bzw. Schrotthändler während ihrer Arbeit auf den Müllhalden, die sich in bestimmten Regionen von Delhi befinden und als Sammelstellen für Elektronikabfälle bekannt sind, stoßen können. Viele solcher Kabadiwalas arbeiten unabhängig von den staatlichen Systemen. Keine Handschuhe, keine Masken zum Schutz vor den gefährlichen Chemikalien. Sie sind sich der giftigen Auswirkungen der Unmengen an elektronischen Geräten, die sie täglich auseinandernehmen, nicht wirklich bewusst, für sie ist es nur eine weitere Möglichkeit, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Delhi ist nicht allein. Die ordnungsgemäße Entsorgung von Elektroschrott ist eine riesige Herausforderung, insbesondere für die vielen Entwicklungsländer, in die Millionen Tonnen an Elektronikabfall gelangen, manchmal illegal exportiert aus Industrieländern.

Aber es besteht noch Hoffnung. SDG 12 will genau dieses Problem lösen. Es gibt einen Bedarf an strengerer Regulierung und einer besseren Infrastruktur, wobei Normen eine wichtige Rolle spielen. Die internationalen Normen und IEC-Konformitätsbewertungssysteme können dazu beitragen, die Situation zu verbessern.

E-tech hat sowohl mit Personen gesprochen, die im Entsorgungssektor tätig sind, als auch mit Fachleuten aus der Normenwelt, die geholfen haben, etwas Licht in einige der größten Herausforderungen und die Lösungen zur Bewältigung dieser globalen Herausforderung zu bringen.

Verfolgung der Route

Neben der wachsenden Menge an Elektro- und Elektronikabfällen, die von ihrer eigenen Bevölkerung verursacht werden, haben mehrere Länder noch ein zusätzliches Problem: Elektro- und Elektronikabfälle, die illegal aus anderen Ländern transportiert werden.

Diverse Studien, die in den letzten Jahren durchgeführt wurden, identifizierten China, Indien, Pakistan, mehrere afrikanische Länder, darunter Ghana, und osteuropäische Länder wie die Ukraine als die Opfer der illegalen Entsorgung von Elektro- und Elektronikschrott aus Industrieländern.

Einem Bericht von UNITAR aus dem Jahr 2022 zufolge ist Westeuropa einer der Hauptexporteure unkontrollierter Elektronikabfälle sowie Elektro- und Elektronikgeräte. Aus Westeuropa werden knapp 0,6 Millionen Tonnen bzw. Megatonnen (Mt) an Elektro- und Elektronikschrott sowie Elektro- und Elektronikgeräte hauptsächlich nach West- und Nordafrika, Osteuropa und Südostasien exportiert.

Solche Transporte aus einkommensstarken in einkommensschwache Länder geschehen meist auf kontinentaler Ebene, wobei die Elektronikabfälle in den ärmsten Regionen dieser Länder landen. Der Endempfänger verfügt häufig über keine angemessene Gesetzgebung oder Infrastruktur, die Elektronikabfälle ordnungsgemäß zu entsorgen, wodurch es zu Gefährdungen der Gesundheit sowie der Umwelt kommt.


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Herausforderungen können zu einer Chance werden

Eine der größten Herausforderungen beim Umgang mit legalen bzw. illegalen Elektro- und Elektronikabfällen sind fest verankerte informelle Strukturen. So werden beispielsweise 95 Prozent der Elektronikabfälle in Indien über informelle Kanäle recycelt. Die Entsorgung von Elektro- und Elektronikschrott erfolgt in den meisten Fällen durch Schrotthändler, die häufig unabhängig oder in unregulierten Systemen arbeiten. Aber diese Herausforderung ist auch eine Chance für die Entwicklung von Lösungen.

Informelle Strukturen machen die Einrichtung eines formellen, geregelten Rahmens extrem schwierig, aber es kann eine wirksame Lösung gefunden werden, wenn Regierungen diese bestehenden Nischensysteme verstehen und sich diesen anpassen, und mit den Menschen, deren Lebensunterhalt davon abhängt, zusammenarbeiten.

Eine ähnliche Situation ist in vielen afrikanischen Ländern zu beobachten, wie aus dem E-Waste Policy Handbook von Africa Clean Energy hervorgeht. Die Autorinnen und Autoren stellen fest, dass unzureichende Daten zu den Beständen und Strömen an Elektroschrott, tief verwurzelte informelle Strukturen, begrenzte Kapazitäten und fehlendes Bewusstsein zu den häufigsten Herausforderungen gehören.

Monica Wambui, Managerin bei der Non-Profit-Organisation (NPO) CLASP, die viel mit Interessengruppen der Elektroschrottindustrie vor Ort in Afrika zusammengearbeitet hat, sprach über die Erkenntnisse aus dem Bericht der NPO von 2021 zur „Solar E-Waste Challenge“ der Efficiency for Access Coalition zur Identifizierung von Innovationen im Abfallmanagement von nicht mehr funktionsfähigen Elektrokomponenten von netzunabhängigen Solaranlagen.

„Die Challenge folgte acht Projekten, die sich mit der wachsenden Menge an Elektroschrott aus dem netzunabhängigen Solarsektor in afrikanischen Ländern südlich der Sahara befassten, und wir erhielten dadurch Daten und Erkenntnisse, die anderen helfen, an deren Erfolge anzuknüpfen und aus deren Fehlern zu lernen und diese so zu vermeiden. Wir haben gelernt, dass hohe Kosten nach wie vor zu den größten Hürden bei der Verbesserung des Abfallmanagements von Elektroschrott gehören. Dazu gehören die Kosten für den Zugang zu Abfällen, den Transport, die Beseitigung und, wenn nötig, die Verbringung ins Ausland,“ erklärt sie.


Bodenverschmutzung durch Elektroschrottrecycling
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Globale Bemühungen zur Bewältigung des Elektroschrottproblems

Elektroschrott ist ein großes Problem, das durch die technologische Weiterentwicklung stetig zunimmt. Es bedarf daher globaler Ansätze, um dieses Problem zielgerichtet zu adressieren.

Die elektrotechnische Normung investiert viele Ressourcen in die Erarbeitung von Normen, Standards und Richtlinien, um die anfallende Menge an Elektroschrott zu verringern.

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Bevorzugung eines Kreislaufansatzes

Wambui erklärt weiter: „Die Industrie allein kann das Problem nicht lösen. Was es braucht, ist Zusammenarbeit. Es lohnt sich sowohl für Investoren als auch für Regierungen, wenn die Entwicklung und Umsetzung eines ordnungsgemäßen Abfallmanagements im Hinblick auf Elektronikabfälle gefördert und mehr Unterstützung für mögliche Innovationen bereitgestellt werden.“

Unterstützend können Regelungen eingeführt werden, die Anreize für Berichterstattung schaffen, insbesondere von der Industrie. Darüber hinaus braucht es gemeinsame Anstrengungen verschiedener Stakeholder, inklusive Industrie, Geldgebern, Regierungen und formellen und informellen Recyclingunternehmen bzw. -einrichtungen.

„Je nachdem wie weit der Markt entwickelt ist, sind unterschiedliche Lösungen gefragt. In einem jungen Markt besteht in erster Linie Bedarf an finanziellen Anreizen, technischer Unterstützung und dem Aufbau von Kapazitäten. In Märkten, die weiter sind, wie weiße Ware oder netzgebundene Haushaltsgeräte, werden stärkere politische/aufsichtsrechtliche Rahmen für verantwortungsvolle Verfahren bei der Kontrolle von Elektro- und Elektronikschrott gebraucht,“ sagt Charles Miller, Berater für Energiezugang, der umfangreiche Erfahrung in diesem Bereich hat.

Im Idealfall müssen solche Unterstützung und Regelungen dazu führen, dass sich das Abfallaufkommen und die Ablaufströme von Elektroschrott verfolgen lassen. Dies trägt dazu bei, illegale Wege zu verhindern und Anhaltspunkte für die erforderlichen Rahmen und Investitionen zu liefern.

Wichtig für den Erfolg solcher Regelungen ist zudem das aktive Engagement der Verbraucherinnen und Verbraucher, die, wenn sie informiert und durch finanzielle Anreize unterstützt werden, in die Lage versetzt werden, nachhaltigere Entscheidungen zu treffen, wie Geräte an Reparaturwerkstätten zurückzugeben oder Materialien in den dafür ausgewiesenen Recyclingeinrichtungen für Elektronikabfälle zu entsorgen.

Jeremy Tait, ein weiterer Experte für Strategien zur Energieeffizienz in sich entwickelnden Ökosystemen, sagt: „Um Elektronikabfälle in Afrika und Schwellenländern zu reduzieren, müssen wir uns viel stärker auf die Reparierbarkeit von Geräten fokussieren.“ In einer von der University of Edinburgh und der NPO Efficiency for Access verfassten Abhandlung, bei der er als Co-Autor mitwirkte, hebt er Reparierbarkeit als realistische Lösung für die Verlängerung der Lebensdauer von Elektro- und Elektronikprodukten hervor, wodurch gleichzeitig Wertschöpfung vor Ort durch entsprechende Arbeitsplätze und Beschäftigungsmöglichkeiten erzielt und Kohlendioxidemissionen entlang der Wertschöpfungskette weiter reduziert werden.

Dieser Ansatz ruft geradezu nach einer Circular Economy, in der sich nicht nur darauf konzentriert wird, wie das Endprodukt entsorgt werden kann, sondern sich darum bemüht wird, die Lebensdauer und Wiederverwendbarkeit des Produkts zu erhöhen. GOGLA, einem weiteren bekannten Akteur im Sektor des netzunabhängigen Energiezugangs, zufolge können Elektronikabfälle durch entsprechende Anstrengungen in Kreislaufmodellen reduziert werden, zum Beispiel kann die Verlängerung der Produktlebensdauer dazu beitragen, die Nutzungsphase, in der der Fußabdruck Null ist, zu maximieren und die Menge an Elektroschrott insgesamt zu reduzieren.


Nachhaltigkeitskonzept, dargestellt mit Sprechblasenstickern
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Circular Economy – Normung als Rückgrat einer nachhaltigen gesamtwirtschaftlichen Produktion

Die Circular Economy (Kreislaufwirtschaft) ist das Gegenmodell zur Linearwirtschaft, die seit Beginn der Industrialisierung die weltweiten Wirtschaftsmodelle dominiert hat. Ziel dieser Circular Economy ist eine Erhöhung der Ressourceneffizienz entlang der gesamten Wertschöpfungskette, insbesondere mit Blick auf die endlichen Ressourcen des Planeten.

Normen und Standards helfen dabei, dieses Ziel schon bei der Produktion zu berücksichtigen.

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Wie Normen zur Verbesserung der Situation beitragen können

„Wenn es um Kreislaufansätze geht, spielen Normen eine wichtige Rolle bei der Sicherstellung geeigneter Regelungen zur Reparierbarkeit von Elektronikgeräten,“ fügt Tait hinzu.

Im Bereich der internationalen Normung hat die IEC bereits mehrere Veröffentlichungen zur Unterstützung der Materialeffizienz und Circular Economy entwickelt, wie nachfolgende Beispiele zeigen:

  • IEC TR 62635 enthält Informationen zum Ende der Lebensdauer eines Produkts, einschließlich der Berechnung der Wiederverwertungsrate
  • IEC TR 62824 mit Anleitung zu Betrachtungen der Materialeffizienz beim Ökodesign von Produkten
  • IEC 62309 befasst sich mit der Zuverlässigkeit von Produkten mit wieder verwendeten Teilen
  • IEC 63077 legt das Verfahren zur Sicherstellung der Leistungsfähigkeit und Sicherheit von wiederaufbereiteten bildgebenden Medizingeräten fest

IEC 62430 legt Anforderungen fest und bietet einen Leitfaden für das umweltbewusste Gestalten (en: environmentally conscious design, ECD). Sie bezieht sich sowohl auf physische Produkte als auch auf Dienstleistungen sowie eine Kombination aus beiden. Sie gilt für jede Organisation, unabhängig von ihrer Größe, Art oder der Branche, in der sie tätig ist. IECQ, das IEC Quality Assessment System for Electronic Components, prüft und bietet Zertifizierung nach IEC 62430 im Rahmen seines Approved Process (AP) Schemes an.

Christian Dworak, Convenor der IEC-Arbeitsgruppe zu Elektro- und Elektronikschrott (IEC/TC 111/WG 18; Spiegelgremium DKE/AK 191.0.6), zufolge liegt der Grund für unzureichende Daten bzw. fehlende Berichterstattung im Elektroschrottsektor im Fehlen von Regelungen für die erweiterte Herstellerverantwortung (en: extended producer responsibilities, EPR), ein Ansatz, der Hersteller für ihre Produkte in der Phase nach deren Gebrauch in die Verantwortung nimmt.

Er erklärte: „Elektronikprodukte werden für einen weltweiten Markt entwickelt und weltweit vertrieben. Nachdem die Produkte in verschiedenen Regionen der Welt genutzt wurden, soll das Konzept der erweiterten Herstellerverantwortung sicherstellen, dass die Produkte gesammelt und nachhaltig recycelt werden. Da es noch kein weltweit harmonisiertes/einheitliches Konzept für die Umsetzung der erweiterten Herstellerverantwortung gibt, ist die regionale Zusammenarbeit zwischen Behörden, Elektroschrottsammlern, Recyclingunternehmen und Herstellern wichtig, um ein nachhaltiges Abfallmanagement im Hinblick auf Elektroschrott in der Region sicherzustellen.“

Die IEC arbeitet aktuell an IEC 63395, einer neuen Norm zur systematischen, nachhaltigen Entsorgung von Elektro- und Elektronikabfällen. Sie zielt unter anderem darauf ab, die zu entsorgenden Elektroschrottmengen durch Wiederverwendung und -verwertung zu reduzieren, die unsachgemäße Entsorgung von Elektroschrott zu verhindern und dafür zu sorgen, dass Abfallentsorger, die die Norm oder vergleichbare Anforderungen nicht erfüllen, von Elektroschrottlieferungen ausgeschlossen werden. Diese Maßnahme würde auch zum Erreichen von SDG 12 beitragen und den Weg für weitere Lösungen ebnen.


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