DKE: Wie sehen in Ihrem Bereich die Trends der Zukunft aus? Wie ist Deutschland bzw. Europa darauf vorbereitet?
Lumpe: Die Raumfahrt entwickelt sich – wie alles andere auch – rasant weiter. Neue Materialien, neue Missionsziele, modernes Marketing und vor allen Dingen die Kommerzialisierung der Raumfahrt sind die entscheidenden Schlüsselfaktoren. Wir beobachten einen Trend hin zu eigenständigen und autarken Organisationen wie SpaceX, Blue Origin und Virgin Orbital. In einem solchen Kontext herrscht ein geringerer Bedarf an Abstimmung mit externen Partnern. Das wiederum führt dazu, dass derartige Teams weniger eingeschränkt agieren können. Die Teammitglieder sind in der Regel hochmotiviert, hochkompetent und sie können sich immer wieder grundlegende Systemfragen stellen, um das Produkt weiter zu optimieren. Durch das Wegfallen externer Partner und vertraglicher Starrheit in Kombination mit finanzieller Unabhängigkeit entsteht eine Agilität, die revolutionäre, technologische Durchbrüche vorantreibt.
Unser Ziel sollte es sein, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sich Ingenieure aller Parteien – Staat, Industrie und Forschung – frei austauschen können. Im Prinzip ein Forum, in dem Firmenzugehörigkeit und vertragliche Interessen temporär ausgeblendet werden. Nur durch den Wegfall von Barrieren und das Gefühl von Einigkeit kann ein Team dazu beflügelt werden in kurzer Zeit brillante Lösungen zu hochkomplexen Herausforderungen zu finden.
Wichtige Trends sind Software-Verbesserungen, Hardware-/Software-Systemintegration und Künstliche Intelligenz.
Das kann man sehr deutlich an der Dragon-Kapsel erkennen. Fast alles wird über Displays gesteuert, was sich in der aufgeräumten Innenarchitektur einer Kapsel bemerkbar machtbefindet. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Systeme integraler angeordnet wurden als bisher.
Die Software spielt eine entscheidende Rolle, auch weil Gesamtsysteme dementsprechend gut simuliert, optimiert und getestet werden können. Ebenfalls erhält künstliche Intelligenz bei der Datenauswertung und Bewertung vermehrt Einzug, um den Datenmengen Herr zu werden.
Aber auch die Verwendung von Commercial of the Shelf (COTS) Bauteilen findet immer mehr statt. EEE-Komponenten, qualifiziert für die Raumfahrt, sind in der Regel kostenintensiv. Inzwischen geht man dazu über, kommerzielle Bauteile aus anderen Bereichen, vor allem dem Automotive-Bereich zu verwenden. Die Herausforderung hierbei ist es, die Gefahr von zum Beispiel Bit-Flip-Fehlern zu kompensieren. Auch Strahlungsaspekte müssen beachtet werden, weil diese im Automobilbereich eine geringere Relevanz haben. Daher werden COTS-Komponenten aus dem Automobilbereich häufig entsprechenden Delta-Tests unterzogen, um ihre Tauglichkeit für die Raumfahrt zu verifizieren.
Mit integralen Bauweisen und Verfahren will man ebenfalls die Anzahl von differenzierten Einzelteilen minimieren. Es gibt zum Beispiel sehr starke Aktivitäten, große Triebwerkskomponenten aus einem Stück zu drucken.
Zu guter Letzt sind es auch gerade politische Ambitionen, die der Raumfahrt Auftrieb geben. Barack Obama hat in seine Amtsperiode die Kommerzialisierung der Raumfahrt eingeleitet. Damit war es kommerziellen Anbietern möglich, Raumfahrttechnologie direkt anzubieten. Das hat zu einem starken Innovationsschub geführt. Für die europäische Raumfahrtindustrie wäre das auch ein gangbarer Weg, vielleicht mit einem neuen Raumfahrtgesetz?
Zudem steht in Zukunft die direkte gesellschaftliche Nutzung vermehrt im Vordergrund. Im Bereich der Forschung werden mittlerweile immer mehr Satelliten zur Erd-, Klima- und Wetterbeobachtung eingesetzt.
DKE: Vielen Dank für das Gespräch.