Ein Sicherheitskonzept für kollaborierende Safety und eine dezentrale Referenzarchitektur fehlt
DKE: Warum ist es im Kontext von Industrie 4.0, der Anwendung von Methoden in Machine-Learning (ML) und künstlicher Intelligenz (KI) so schwierig, die funktionale Sicherheit zu gewährleisten?
Richter: Auf der einen Seite müssen wir klar beschreiben, was wir in der digitalen Transformation unter I4.0 verstehen. Die durchgängige Digitalisierung und die Verknüpfung von relevanten Daten und Informationen eröffnen neue Produktionsprozesse, skalierbare Geschäftsmodelle und erhöhen die Prozess- und Produktqualität. Wir verarbeiten sehr viele Informationen und müssen im I4.0 Umfeld die Frage nach der Datenqualität und Datenintegrität stellen. Wann genügen I4.0 Daten den Ansprüchen der funktionalen Sicherheit, also Performance Level A, B, C, D, E oder SIL 1, SIL 2, SIL 3 und wie können wir durch Methoden der funktionalen Sicherheit die Datenintegrität erreichen.
Auf der anderen Seite werden viele von diesen IoT, IIoT & I4.0 Daten schon heute in Maschinen und in Anwendungen mittels ML ausgewertet und daraus gewonnene Prozessoptimierungen im täglichen Betrieb genutzt. Prozessoptimierungen basieren schon seit Jahrzehnten auf der Auswertung von Prozessdaten. Speziell in der Sensorik sind eine ganze Reihe von Algorithmen zur Verbesserung der Sensoreigenschaften im Einsatz.
Die Qualität der Modelle und der Algorithmen muss zukünftig über den gesamten Lebenszyklus abgesichert werden. Anforderungen an Tools auf der Basis von KI/ML sind notwendig, um die Ursachen für das Driften von KI sicher zu erkennen. Nur mit diesen Leitplanken gewinnen wir das Vertrauen, welches für die Auswertung von Daten durch KI/ML notwendig ist. Die digital vernetzte Produktion basiert auf einer Zusammenarbeit verschiedenster Systeme, Stichwort kollaborierende Safety. Hier interagieren verteilte Roboter, Maschinen und Menschen sicher miteinander.
Für diese Systeme benötigt die Industrie ein Sicherheitskonzept, welches das Zusammenspiel und die Dynamik von I4.0 Fertigungssystemen angeht. In diesen Fertigungen ändern sich die Umgebungsbedingungen, der Kontext, das Zusammenspiel und die Prozessparameter häufig und wir können aus system-theoretischer Sicht nicht alle Permutationen vorab in einem V-Modell entwickeln, prüfen und validieren.
Machine-Learning-Themen durchdringen daher alle Aspekte der Fertigung: die Optimierung von Maschinen und Abläufen sowie das Überwachen dieser kontinuierlichen Verbesserung, um mögliche negative Effekte zu dokumentieren und zu verhindern. Ein sehr gutes Beispiel ist die logistische Optimierung einer autonomen Fertigung: mobile Roboter und autonome fahrerlose Transportsystem suchen und finden optimale Transportwege.
Dabei überlagern sich die operative, die taktische und die strategische Ebene der Fertigungssteuerung - die Grundprinzipien der funktionalen Sicherheit müssen zukünftig auch in der taktischen und strategischen Ebene für jedes Element und im Zusammenspiel berücksichtigt werden. Ich sehe die Notwendigkeit, dass wir diese Anforderungen zukünftig in einer dezentralen I4.0 Safety-Referenzarchitektur abbilden.