Elektrolyse und Brennstoffzellen sind Wissenschaftsgeschichte. Im Jahr 1800 entdeckte Alessandro Volta, dass sich Wasser durch Strom in Wasserstoff und Sauerstoff aufspalten lässt – die Elektrolyse war erfunden. Nur 38 Jahre später erforschte Christian Friedrich Schönbein, dass sich dieser Prozess umkehren lässt. Das Prinzip der Brennstoffzelle war damit beschrieben. Diese Forschungen verleiteten den Science-Fiction Romancier Jule Verne 1875 in seinem Buch „Die geheimnisvolle Insel“ zu der Prognose: „Das Wasser ist die Kohle der Zukunft.“ Sie könnte „auf unabsehbare Zeit hinaus die Energieversorgung der Erde sichern.“ Seine Vision ist bekanntlich (noch) nicht eingetreten. Dafür gibt es viele Gründe.
Normungsroadmap gestartet: Netzintegration von Elektrolyseuren und Wasserstoff
Hohe Energiedichte aber auch große Umwandungsverluste
Wasserstoff ist gasförmig hoch flüchtig. Erst unter starkem Druck und bei minus 235 Grad Celsius geht er in eine flüssige Form über. Das kostet Energie bei Lagerung und Transport. Dann aber hat ein Kilogramm Wasserstoff den Energieinhalt von 3,3 Kilogramm Benzin. Diese auf die Masse bezogene Energiedichte prädestinieren ihn als (langfristiges) Speichermedium. Strom aus Erneuerbaren Energien, der nicht über Übertragungsnetze geleitet werden kann, müsste nicht mehr abgeregelt, sondern könnte gespeichert werden – so die Idee. Allerdings kostet die Umwandlung von Strom in Wasserstoff rund 30 Prozent Energie, zum Teil entsteht nutzbare Wärme.
DKE Innovation Campus 2023 – Speichertechnologien
Speichertechnologien haben für die Elektrifizierung von Gebäuden, Industrie, Verkehr und Gesellschaft eine große Bedeutung. Und genau deshalb standen die verschiedenen Energiespeichertechnologien im Mittelpunkt der Veranstaltung. #Zuhören, #Mitreden, #Mitgestalten und #Respekt – das Credo nicht für diesen einen Tag. Für die Normung. Für uns als Gesellschaft. Für die Vision der All Electric Society.
Potenziale für Sektorenkopplung
Der Betrieb von Elektrolyseuren zur Wasserstofferzeugung und die Einbindung in die Energienetze dürfen aber nicht nur unter diesen Aspekten der Umwandlungsverluste betrachtet werden. Mindestens ebenso wichtig sind die Potenziale für die Sektorenkopplung, also die Dekarbonisierung des Wärmemarktes durch die Elektrifizierung. Elektrolyseure können die Strom- und Wärmemärkte enger miteinander koppeln und damit eine Gesamtsystemintegration in einer „All Electric Society“ ermöglichen.
Wasserstoff hat vielfältige Anwendungsgebiete. Zur Diskussion stehen Industrieprozesse, die heute schon Wasserstoff verwenden, die Stahlindustrie, Mobilitätsanwendungen und der Wärmemarkt. Darüber hinaus könnte elektrolytisch hergestellter Wasserstoff aber auch zur Gesamtsystemstabilisierung der Stromnetze beitragen. Denn diese stellen hohe Anforderungen an einen flexiblen Stromverbrauch.
Betriebsweisen aller Energieanlagen für die All Electric Society anpassen
Richtig integriert könnten Elektrolyseure schwankendes Angebot an Strom aus Erneuerbaren Energien und die ebenso volatile Stromnachfrage flexibel und multi-direktional ausgleichen. Dafür muss ein Elektrolyseur allerdings auf einen optimalen Betriebspunkt ausgelegt sein. Und die Betreiber brauchen eine Vergütung für den flexiblen Betrieb. Ökonomisch tragfähige Marktkonzepte, ihre notwendigen gesetzlichen Grundlagen und selbst die Normen sind bisher unzureichend. Um diese zu entwickeln, untersuchen die Expert*innen der Normungsroadmap Wasserstoff, welche Normen und Standards für den Betrieb von flexibel integrierten Elektrolyseuren notwendig sind. Ausgangspunkt dabei ist, dass der Umbau des Energiesystems für die All Electric Society nur gelingen kann, wenn auch die Betriebsweisen der Energieanlagen dafür angepasst werden.
Neuland: Systemgrenzen für Sektorenkopplung überwinden
Eine Voraussetzung für die Integration von Elektrolyseuren ist, dass sie gleichzeitig die Anforderungen der Bestandsnetze für Strom und Gas einhalten können. Diese sind die Netz- und Systemverträglichkeit sowie eine netzdienliche Steuerbarkeit durch die Netzbetreiber. Für die Sektorenkopplung kommen noch schärfere Anforderungen hinzu. Daher ist ein Ziel der Normungsroadmap Konsens zwischen den verschiedenen Stakeholdern zu schaffen und gegebenenfalls auch gemeinsame Definitionen zu finden. Gesucht werden Antworten auf die Herausforderungen, wie Elektrolyseure gleichzeitig das Flexibilitätsmanagement für die Stabilität der Strom- und Gasnetze unterstützen können. Anlagen, die in beiden Sektoren interagieren, müssen den Anforderungen aller angebundenen Systeme gerecht werden. Die Systemgrenzen werden durch den Einsatz von Wasserstoff stärker verzahnt.
Neuer Ansatz: Energiewendedienlich
Um die Energiesysteme zukunftsfähig zu machen, wird ein energiewendedienlicher Ansatz diskutiert. Die Wasserstoffeinspeisung darf beispielsweise die Kapazitätsgrenzen des Gasnetzes nicht übersteigen, wenn ein Elektrolyseur gleichzeitig netzdienlich für den Strommarkt gebraucht wird. Faktoren wie unter anderem der Standort im Strom- und Gasnetz sind deshalb ebenfalls relevant. Der energiewendedienliche Betrieb einer Anlage muss alle Systeme und Sektoren zu einer einhundertprozentigen Versorgung mit Erneuerbaren Energien optimieren. Dabei wird in diesem Verständnis die bestmögliche physikalische und Markt kompatible Integration der Erneuerbaren Energien angestrebt. Das kann nur gelingen, wenn alle Akteure für diese Zielerreichung zusammenarbeiten. Genau diese Zusammenarbeit wird über die Arbeitsgruppe Gesamtsystemintegration der Normungsroadmap abgedeckt.
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Elektrolyseure könnten Kosten für Stromnetzausbau reduzieren
Aktuell prägen ehrgeizige Ausbaupläne für Erneuerbare Energien die Debatten. Bis 2030 sollen nach Plänen der Bundesregierung und der Stromerzeuger rund 600 Terrawattstunden (TWh) Strom aus erneuerbaren Energien bereitgestellt werden. Zum Vergleich: 2022 trugen sie mit 234 TWh rund 48 Prozent im Strommarkt bei. Die Verteilung dieser Mengen wird nur über einen massiven Ausbau der Übertragungsnetze möglich sein. Werden jedoch netzdienlich integrierte Elektrolyseure in Regionen mit Überschüssen eingebunden, könnte dies die Kosten des Stromnetzausbaus reduzieren. Vor allem gäbe es eine sinnvolle Nutzung der Überschüsse, so die Intention. Denn in den vergangenen Jahren wurden jährlich zwischen fünf und sieben TWh Strom vor allem aus Windkraftanlagen im Rahmen des Netzengpassmanagements abgeregelt.
Diese Menge an Überschüssen könnte angesichts der Ausbaupläne insbesondere in Nord- und Ostsee bis zum Jahr 2030 enorm ansteigen. Elektrolyseure am Ort des Überschusses könnten mit einer flexiblen Fahrweise dafür sorgen, dass die Anlagen künftig bei Netzüberlastung nicht mehr abgeregelt werden müssten.
Sinnvoller Einsatz bei Stromüberfluss und geringen Netzkapazitäten
Gleichwohl ist nach Einschätzung von Experten ein wirtschaftlicher Betrieb von Elektrolyseuren allein mit Überschussstrom noch nicht wirtschaftlich möglich. Sie erwarten allerdings, dass flexible Elektrolyseure bis zu einer Größe von etwa fünf Megawatt ab 2030 wirtschaftlich betrieben werden können. Zudem zeigen erste Untersuchungen, dass bei einer regional hohen installierten Leistung und einer geringen Netzkapazität und niedriger lokaler Stromnachfrage ein netzdienlicher Elektrolyseur mit 14 Megawatt wirtschaftlich betrieben werden kann. Vor allem in Netzgebieten an den Küsten könnte eine netzdienliche Betriebsweise wirtschaftlich sein. Hat ein Netzgebiet nur selten Stromüberschüsse, scheint eine netzdienliche Fahrweise hingegen wirtschaftlich kaum realisierbar.
Vergütungsmodell für Flexibilitätsdienste notwendig
Je nach technischer Entwicklung sowie abhängig von Skaleneffekten in der Herstellung könnten künftig jedoch auch kleinere Elektrolyseure mit einem Megawatt netzdienlich und gleichzeitig betriebswirtschaftlich gewinnbringend betrieben werden. Das aber hängt wesentlich von den regulatorischen Rahmenbedingungen wie Netzentgelte, Besteuerung und der Weiterentwicklung des Marktdesigns ab. Notwendig sind Vergütungsmodelle für Elektrolyseure jeglicher Größen, wenn sie netzdienlich betrieben werden. Abhängig von der Vergütungshöhe ließe sich auch der flexible Betrieb von großen Elektrolyseuren wirtschaftlich gestalten. Grundsätzlich sollte sich das Stromsystem stärker auf die Vergütung von Flexibilisierungsdiensten ausrichten, um netzdienliches Verhalten im Stromnetz zu fördern.
Netzintegration von Speichern: Eckstein für Erneuerbare Energien
Für ihre Netzintegration sind Leistungselektronik, Normen und Technische Regeln entscheidend, um Netzstabilität und Netzqualität zu gewährleisten. Darüber hinaus müssen Speicher außerdem in Strommarktmechanismen eingebunden werden. Möglich machen das intelligente Normen, an denen die DKE Expert*innen arbeiten.
Lokale Bedingungen entscheidend
Parallel zur Stromseite müssen die Betreiber von Elektrolyseuren ihr Geschäftsmodell auch auf die Abnehmenden ausrichten. Sie müssen klären und berechnen, welche Nutzer lokal erzeugten Wasserstoff sowie Abwärme und Sauerstoff abnehmen und welchen Preis sie dafür bezahlen wollen. Passt die Abnahmemenge nicht zur netzdienlichen Betriebsweise des Elektrolyseurs, kann dies zusätzliche Investitionen erforderlich machen. Lokale Pufferspeicher in Form von Wasserstoff-, Wärme- und Sauerstoffspeicher können ein gewichtiger Faktor in einer Erfolgsberechnung sein. Im Idealfall müssen bei Elektrolyseprojekten alle Standortfaktoren der Netze und der Abnehmerseiten optimal auf die Größe des Elektrolyseurs abgestimmt sein. Es kommt also auf die lokalen Rahmenbedingungen an und damit auf die Betriebsführung sowie das Geschäftsmodell.
Fazit: Regulatorik und Normung für ein neues Marktdesign erforderlich
2022 waren nach Berechnungen von E.ON in Deutschland 65 Megawatt Elektrolysekapazität am Netz. Nach den Plänen der Bundesregierung sollen bis 2030 zehn Gigawatt aufgebaut sein. Allerdings fehlen neben neuer Vergütungsmodelle für die Energiewendedienlichkeit auch Regeln für die Netzentgelte und die Besteuerung bei der Nutzung von grünem Wasserstoff aus Überschussstrom. Immerhin skizziert der Netzentwicklungsplan 2022 mittlerweile geeignete Elektrolyse-Standorte. Das reicht bisher aber nicht für Investitionsentscheidungen. Zudem steht politisch die Forderung an die EU-Kommission im Raum, dass künftig auch die Netzbetreiber Elektrolyseure betreiben dürfen. Das ist bisher wegen der Trennung von Netzbetrieb und Erzeugung nicht gestattet. Im Grunde stehen aber alle technischen Möglichkeiten zur Verfügung. Die Akteure der Normungsroadmap Wasserstofftechnologien schließen die Lücken bei den Standards einer flexiblen Integration von Elektrolyseuren.
Und wenn die politischen Rahmenbedingungen parallel ein adäquates Marktdesign ermöglichen, wären wichtige Meilensteine erreicht. Insgesamt sollte sich das Stromsystem stärker auf die Anreizung von Flexibilität ausrichten, um netzdienliches Verhalten im Stromnetz zu belohnen. Wasserstoff könnte dann ab 2030 tatsächlich, in industriellen Maßstäben genutzt, ein Hauptakteur der Energiewende und der All Electric Society werden.
Weitere Informationen zum Thema finden Sie im VDE Impulspapier „Netzdienliche Integration von Elektrolyseuren“.
Aufruf zur Mitarbeit
Das Verbundprojekt „Normungsroadmap Wasserstofftechnologien“ ist eine gemeinsame Initiative des Deutschen Instituts für Normung e. V. (DIN), der Deutschen Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik in DIN und VDE (DKE), des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW), des Vereins für die Normung und Weiterentwicklung des Bahnwesens e. V. (NWB), des Verbands der Automobilindustrie (VDA), des Vereins Deutscher Ingenieure e. V. (VDI) sowie des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e. V. (VDMA).
Wenn Sie im Kontext dieser Themen arbeiten, bringen Sie sich aktiv in der Normungsroadmap ein und sorgen Sie mit dafür, dass der Normen und Standards den Markthochlauf von Wasserstoff beschleunigen.
Melden Sie sich an und nehmen Sie an den Onlinesitzungen teil: https://din.one/display/NRMWST/Normungsroadmap+Wasserstofftechnologien
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