Der DKE Innovation Campus 2023 ist anders als in den vergangenen Jahren. Das wird auch am Nachmittag noch einmal deutlich: Statt einer traditionellen Podiumsdiskussion fand die Diskussion mittels Fishbowl-Methode statt. Personen aus Verband, Industrie, Wirtschaft und Politik sitzen sich in einer kreishaften Anordnung gegenüber und starten die Diskussion. Wer im Publikum einen Kommentar abgeben möchte, kann auf einem Gaststuhl Platz nehmen. Immer wieder ändert sich so die Zusammensetzung der Diskussionspartner – ganz im Sinne von #Mitreden. Unter der Moderation von Andrea Thilo kommen so rund ein Dutzend Personen zu Wort.
Andrea Thilo: „Welche Verantwortung haben Organisationen wie die DKE beim „Machen“?“
Dr. Kurt D. Bettenhausen: „Unsere Verantwortung als DKE liegt in der Gestaltung unserer Normungsprozesse, die neben technischen Regelungen immer auch einen volkswirtschaftlichen Nutzen stiften. Die Herausforderung ist die Geschwindigkeit: Sind wir schnell genug oder lassen wir Platz frei und werden dann reguliert? Was wir mit den Roadmaps machen, dient dem Ziel, dass wir bei der Umsetzung dabei sind und damit den Nutzen stiften. Wir müssen uns dafür Partner suchen, mit denen wir etwas realisieren können für die All Electric Society. Ein gelungenes Beispiel ist die Zusammenarbeit mit der Industrial Digital Twin Association e.V. (IDTA) und die Entwicklung der Verwaltungsschale. Hier waren wir sehr schnell und haben es in die IEC eingespeist. Einfach machen hat hier funktioniert.“
Dr. Britta Buchholz, Vorsitzende der ETG im VDE und Mitglied des VDE Präsidiums: „Wir kümmern uns nun stärker um Nachwuchs und Ausbildung und wollen bereits Schüler*innen für Technik und Energie begeistern. Der VDE spielt eine wichtige Rolle darin. Alle zusammen müssen wir mit der Gesellschaft diskutieren, was wir mit einer „All Electric Society“ meinen und was die Leute davon haben.“
Andrea Thilo fragt kritisch nach: „Wo bleibt ihr als Verband hinter euren Möglichkeiten?“
Dr. Britta Buchholz: „Die beschleunigte Energietransformation gelingt nur in Partnerschaften. Dazu ist die Verbandsarbeit wichtiger denn je. Im VDE arbeiten hochrangige Expert*innen aus Mittelstand, Konzernen und Wissenschaft zusammen, und der Verband ist über die Bezirksvereine in der Fläche in Deutschland präsent. Diese einmalige Konstellation könnte – natürlich im Rahmen des rechtlich Zulässigen – noch intensiver genutzt werden, um die Energietransformation gemeinsam schneller voranzutreiben.“
Dr. Kurt D. Bettenhausen: „Wir müssen die AES anfassbar machen. Wir müssen konkreter vermitteln, worum es geht, wie mit dem Innovation Campus und den Demonstratoren.
Die Fishbowl-Methode entfaltet ihren Charakter und motiviert: Andrea Thilo holt nach und nach Teilnehmende aus dem Publikum auf die Bühne, die auf dem Publikumsstuhl Platz nehmen und #Mitreden wollen. Immer wieder werden neue Argumente eingebracht und weitere Sichtweisen dargestellt.
Klare Worte findet unter anderem Ingo Rolle, ehemaliger DKE Mitarbeiter und Experte für Funktionale Sicherheit. „Den Speichertechnologien wird nicht die notwendige Aufmerksamkeit gewidmet. Die Energiewende wird aber ohne Energiespeicher nicht gelingen. Wir reden seit 20 Jahren darüber, haben aber zu wenig gemacht. Warum machen wir zusammen mit der Industrie nicht sofort etwas.“
Bernhard Rill, Mitglied des Präsidiums beim Bundesverband Energiespeichersysteme e.V., sieht das anders und entgegnet: „Es werden derzeit massiv Energiespeicher gebaut. Auch der Pumpspeicherbau fängt gerade wieder an. Aber es braucht auch Business Cases, wie sich das rechnet. Sonst wird keiner etwas unternehmen.“
Prof. Dipl.-Ing. Timo Leukefeld weiß, wie er das Interesse von Investoren für nachhaltige Bauprojekte wecken kann: „Wir haben die Zielgruppen der Investoren bisher falsch angesprochen. Jetzt erkläre ich Immobilieninvestoren, dass sie höhere Renditen erhalten, wenn sie energieeffizienter bauen.“
Andrea Thilo lässt die Argumente stehen und richtet sich an Dr. Annette Frederiksen als Leiterin der Next Generation DKE: „Was ist wichtig für deine Generation?“
Dr. Annette Frederiksen, Robert Bosch GmbH und Leiterin der Next Generation DKE: „In der Normung sollte es innovativer zugehen. Wir arbeiten mit veralteten IT-Tools in den Gremien. Bei CENELEC gibt es beispielsweise, Stand heute, nicht einmal ein Online-Anmeldesystem für Veranstaltungen. Stattdessen arbeiten wir dort mit einer Word Datei, die reihum geht, unterschrieben, ausgedruckt, eingescannt und dann verschickt wird. Das ist nicht zeitgemäß und für mich passen hier Anspruch und Realität nicht zusammen. Was mich zudem immer wieder ärgert sind Aussagen wie: „Das nehmen wir mal mit.“ Und dann folgt daraufhin doch nichts.“
Andrea Thilo: „Was geht Dir dazu durch den Kopf?“
Susanne Schöb: „Ja, es braucht Business Cases. Vielleicht ist auch der Begriff „Nachhaltigkeit“ schwerer zu fassen als mit Zukunftsfähigkeit zu argumentieren. Wir müssen die Menschen mit in ein neues Wertesystem nehmen. Die Transformation funktioniert nicht ohne die Vision der All Electric Society.“
Andrea Thilo greift diesen Aspekt auf und schaut in Richtung des VDE Präsidenten: „Welche Vermittlungsarbeit ist für die AES notwendig?“
Alf Henryk Wulf, VDE Präsident: „AES heißt, dass alles, was elektrisch gemacht werden kann, auch elektrisch gemacht wird. Strom ist die edelste aller Energieformen. Es ist der Champagner unter allen Energien. Wegen der Flexibilität von Strom ist er in allen Bereichen im Kommen. Das zeigt sich in allen Bereichen. Wir machen Normung, damit ein Markt entsteht und Produkte untereinander funktionieren. Normung ist relevant, weil dadurch Märkte entstehen, die kompatibel sind.“
Die Diskussion nimmt weiter Fahrt auf und es entwickelt sich eine Dynamik zwischen den Teilnehmenden. Gunnar Kaestle, Vorsitzender des Gremiums DKE/AK 261.0.3, äußert seine Bedenken gegenüber dem Begriff der All Electric Society, weil dieser suggerieren würde, dass Wärme als Energieform hierbei nicht bzw. zu wenig berücksichtigt wird.
Alf Henryk Wulf: „Jede Energieform muss betrachtet werden und hat ihren Nutzen. Die AES fokussiert vielleicht zu sehr auf Strom. Wir müssen aber alle Formen der Energie, auch die Wärme, nutzen. Wasserstoff hat auch bei uns einen großen Stellenwert. Mit der AES spitzen wir zu, aber wir müssen vielleicht einen neuen Begriff finden.“
Roland Bent, ehemaliger DKE Präsident, greift den Kommentar zum Begriff der AES auf und liefert eine weitergehende Erklärung: „Ich bin dankbar für den Einwand. Die All Electric Society steht für einen inklusiven Ansatz. Es heißt so, weil Strom aus regernativen Quellen die neue Primärenergieform ist, nicht nur in der Endform. Grüner Wasserstoff ist aus Strom und könnte die Basis der Gaswirtschaft der Zukunft sein. Auch die Kraft-Wärme-Kopplung ist dabei mitbedacht, wenn sie Wasserstoff in Wärme und Strom umwandelt.“
Andrea Thilo wendet sich an Prof. Dr. Nicole Deitelhoff und thematisiert den gesellschaftlichen Diskurs: „Ist der Zweifel ein guter Ratgeber?“
Prof. Dr. Nicole Deitelhoff: „Es ist immer besser miteinander und offen zu reden auch über unterschiedliche Wahrnehmungen. Angst und Furcht sind nie gut, wir brauchen allerdings auch mehr Zuversicht. Wir können uns neu erfinden, wenn wir Zweifel mit Offenheit angehen und dabei auch eigene mögliche Fehler erkennen.“