Interview mit Christine Eismann

Interview mit Christine Eismann

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21.05.2024 Fachinformation

Notstromversorgung: Was heute noch nicht geht, darf keine Bremse für die Ideen von morgen sein

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) hat zur Hannover Messe 2024 seinen Leitfaden „Notstromversorgung in Unternehmen und Behörden“ aktualisiert. 

Christine Eismann, im BBK zuständig für den Schutz kritischer Infrastrukturen, erzählt im Interview, warum die Energiewende die Notstromversorgung voranbringen kann, wie wichtig interdisziplinäre Zusammenarbeit ist und wie Eigenverantwortung unsere Gesellschaft resilienter macht.

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Das erwartet Sie in diesem Artikel:

  • Bedeutung von Inselnetzen bei der Notstromversorgung
  • Impulse für Gremiensitzungen durch Best-Practice-Fälle
  • Adressaten und Zielsetzungen des Notstromleitfadens

Interview mit Christine Eismann

DKE: Frau Eismann, Sie haben an der Universität Bonn Geografie studiert und sich in Ihrer Abschlussarbeit vor über zehn Jahren mit dem bürgerschaftlichen Engagement in Ahaus im Kontext des Brennelement-Zwischenlagers beschäftigt. Heute arbeiten Sie im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe und sind Vorsitzende der Task Force DKE/AK 261.0.3a Einspeisung Netzinsel. Put into a nutshell: Wie kam es dazu?

Eismann: Geografie ist für mich sehr spannend, weil Disziplinen wie Human- oder Sozialgeografie sich mit den Wechselwirkungen zwischen den natürlichen Gegebenheiten und der räumlichen Organisation menschlicher Gesellschaften befassen. Das ist die Verbindung zu meiner Tätigkeit für das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, mit dem Fokus auf dem Schutz kritischer Infrastrukturen.

Wir beschäftigen uns unter anderem mit der Fragestellung, wie wir als Gesellschaft großflächigen Stromausfällen begegnen können. Unsere Abhängigkeit von der Stromversorgung wird größer. Gleichzeitig können eine Reihe unterschiedlicher Szenarien zu Stromausfällen führen, nicht zuletzt Naturereignisse, die durch den Klimawandel wahrscheinlicher werden. Wir müssen also präventiv tätig werden.

Erneuerbare Energien und dezentrale Stromnetze als große Chance bei Katastrophenfällen

DKE: Zur Hannover Messe 2024 hat das BBK seinen aktualisierten Notstromleitfaden zur Verfügung gestellt. Ereignisse wie die Überflutung des Ahrtals haben mehr als deutlich gemacht, wie wichtig dieses Thema ist. Aus welchen Gründen war eine Überarbeitung des Leitfadens notwendig?

Eismann: Ein großflächiger, lang andauernder Stromausfall kann zu massiven Konsequenzen und Problemen in allen Lebensbereichen führen. Wenn wir uns vor diesem Hintergrund den derzeit laufenden Netzumbau zur Integration erneuerbarer Energien anschauen, dann stecken darin große Chancen: Die Stromversorgung wird dezentraler und über kleinere Einheiten realisiert, die Realisierung von Inselnetzen, also vom Stromnetz unabhängigen, lokalen Stromkreisläufen, wird diskutiert. 

Diese neue Realität soll auch unser Leitfaden, den wir seit vielen Jahren herausgeben, abbilden. Diesel-Aggregate haben eine große Bedeutung und sie sind berechtigterweise weit verbreitet, aber wir wollten nun auch andere Formen benennen. Wie kann man die PV-Anlage auf dem Dach einbinden, welche Rolle spielen Batteriespeicher, wie kann eine Kombination aus Diesel-Aggregat und Batteriespeicher aussehen, um Kraftstoff zu sparen und die Versorgungssicherheit zu erhöhen? Was für eine Rolle können Inselnetze spielen, wenn sie bereits im Netzumbau mitgedacht werden? Mit solchen Fragestellungen haben wir uns beschäftigt.


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Normung ermöglicht es, das Zusammenspiel innovativer Ideen erfolgreich zu realisieren

DKE: Vielen ist gar nicht bekannt, dass auch die Normung sich mit diesem Thema beschäftigt. Dabei liegt zum Beispiel die Expertise darüber, wie ein Inselnetz gespeist werden kann, in der Normung – ein Aspekt, dem Sie sich ebenfalls intensiv widmen. Worum geht es dabei?

Eismann: Aus meiner Sicht schafft die Normung erst die Möglichkeit, das Zusammenspiel innovativer Ideen erfolgreich zu realisieren. Inselnetze im öffentlichen Verteilnetz zum Beispiel würden die Resilienz der Gesellschaft bei großflächigen, langandauernden Stromausfällen ganz klar erhöhen. Allerdings muss man dazu die Netzbetreiber einbinden, und wir haben es mit einer ganz anderen Komplexität zu tun, als wenn es darum geht, eine lokale Stromversorgung zur Versorgung einzelner Geräte aufzubauen oder mit einer vorhandenen Elektroinstallation eine Kundenanlage zu versorgen.

Das Problem ist, dass häufig in verschiedenen Gremien darüber diskutiert wird, was möglich sein könnte. Um Fallstricke aus allen Blickwinkeln zu ermitteln, muss man aber vernetzt arbeiten und die verschiedenen Disziplinen zusammenbringen. Ein zentrales Beispiel dafür ist die unterschiedliche Verwendung von Begriffen wie Notstrom- oder Ersatzstromversorgung, Stromversorgung zu Sicherheitszwecken oder Inselnetz. Tragfähige Lösungsansätze lassen sich nur finden, wenn man ein einheitliches Bild von den Dingen hat. Dieses Problem können wir mit unserem Leitfaden nicht umfassend lösen, aber über Kommentare in Fußnoten schaffen wir zumindest einen Überblick.

Ein anderes Beispiel für solche Fallstricke ist, ganz konkret, der Schutz von Menschen vor einem elektrischen Schlag, weshalb die technischen Vorgaben zur Installation einer Notstromversorgung präzise beachtet werden müssen. Hierzu nehmen wir im Leitfaden jetzt auch Bezug auf die Vornorm DIN VDE V 0100-551-2, die die Einspeisung in ersatzstromberechtigte Anlagen zum Thema hat, also die gebäudeseitige Installation. Sie ist für den sicheren Anschluss mobiler Notstromaggregate erforderlich.

Wissen aus anderen Perspektiven zeigt auf, wo noch größere Herausforderungen liegen

DKE: Für den neuen Notstromleitfaden haben Sie eine Task Force innerhalb des DKE Arbeitskreises 261.0.3 für Microgrids initiiert, die normativen Input für den Leitfaden geliefert hat. Warum haben Sie das vorangetrieben, und wer war an dieser Task Force beteiligt?

Eismann: Der Input aus verschiedenen Perspektiven ist bei so komplexen Themen unerlässlich. Wir hatten sehr viele Expertinnen und Experten in der Task Force, unter anderem zum Thema Microgrids auf IEC-Ebene, zu zellularen Energiesystemen von der VDE ETG oder zu Leistungselektronik aus verschiedenen Forschungseinrichtungen. Auch Hersteller von mobilen Stromerzeugern, Feuerwehren und deren Ausstatter, Hersteller aus dem Bereich erneuerbare Energien und E-Mobilität sowie Verteilnetzbetreiber waren dabei.

Es war eine sehr diskussionsfreudige, engagierte Runde, und einige Themen haben wir mehrfach durchgesprochen, bis wir eine Lösung erarbeitet hatten. Manche Sachlage erscheint aus einer Sichtweise einfach lösbar, mit dem Know-how aus einer anderen Perspektive wird aber klar, wo doch größere Herausforderungen liegen.

Für die Diskussion über die Schaffung von Inselnetzen war es sehr wichtig, dass Netzbetreiber Teil der Task Force waren. Denn wenn die Versorgung größerer Einheiten innerhalb eines Inselnetzes funktionieren soll, dann ist das für Netzbetreiber sehr aufwändig und zunächst regulatorisch gar nicht vorgesehen. Was heute noch nicht geht, darf aber keine Bremse für neue Ideen sein. Also haben wir uns darüber unterhalten, wie das technisch funktionieren könnte und was nötig ist, damit die Spannungsqualität im Inselnetz eingehalten werden kann und weder elektrische Verbraucher noch Personen zu Schaden kommen. Wichtige Stichworte sind in diesem Zusammenhang zum Beispiel Netzformen, Schutztechnik, Blind- und Wirkleistung sowie Kurzschlussleistung.


Solarzellenanlage und Windgeneratoren im städtischen Bereich mit Anschluss an ein intelligentes Stromnetz
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Microgrids: Wichtiger Beitrag für mehr Resilienz und Versorgungssicherheit in Energiesystemen

Mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien wächst die Anzahl dezentraler Stromerzeugungsanlagen und an Energiespeichern. Sie können netzdienlich Strom einspeisen oder auch in kleinen Einheiten als Microgrids zusammengefasst werden. Solche Inselnetze können damit unabhängig vom Stromnetz die Energieversorgung in Wohnquartieren, Dörfern oder Stadtbezirken sichern. Als Grundlage beschreiben die Normenreihen IEC 61850 und IEC 62351 Aufbau, Organisation und Kommunikation.

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Energiewende und die Verbesserung der Versorgungssicherheit können Hand in Hand gehen

DKE: Zu den Sitzungen haben Sie auch externe Inputgeber eingeladen, die durch Best-Practice-Fälle Impulse aus der Praxis eingebracht haben. Das ist nicht unbedingt üblich. Können Sie mit ein oder zwei Beispielen aufzeigen, welchen Mehrwert Sie daraus gezogen haben?

Eismann: Dazu möchte ich gerne zwei Bereiche nennen. In der Corona-Zeit zum Beispiel gab es Fördergelder für Konzepte, die darauf abzielen, die Wassersicherstellung auch in Zeiten größerer Stromausfälle zu gewährleisten. Wir hatten ein Wasserwerk als Best-Practice-Fall, das eine Notstromversorgung so aufgesetzt hat, dass auch ohne externe Energiezufuhr die Wasserversorgung sichergestellt werden kann. Anlagen dieser Dimension sind recht teuer, daher ist die Umsetzung nicht so einfach.

Ein anderes Projekt, das viele wertvolle Impulse geliefert hat, ist LINDA. In diesem Projekt wurde für die Gemeinden Niederschönenfeld, Feldheim und Rain am Lech in drei Feldversuchen ein Notstromkonzept entwickelt und getestet, das Erneuerbare Energien hinzuzieht. Dafür haben die LEW Verteilnetz GmbH (LVN) und Partner aus Wissenschaft und Wirtschaft zusammengearbeitet und in den drei Kommunen ein Inselnetz aufgebaut, das mit Strom aus lokaler Wasserkraft, Photovoltaik und Biogasanlagen gespeist wird. Es hat die Stromversorgung aller Haushalte über einen festgelegten Zeitraum unterbrechungsfrei gewährleistet – ohne aufwendige Nachrüstungen an den Anlagen. Solche Projekte zeigen, dass Energiewende und die Verbesserung der Versorgungssicherheit Hand in Hand gehen können.

Leitfaden verdeutlicht den Aspekt organisatorischer Fragen bei der Notstromversorgung

DKE: Blicken wir einmal in den neuen Leitfaden. Er stellt unter anderem Informationen dazu zur Verfügung, wie eine Notstromversorgung im Idealfall aussieht. Können Sie das kurz erläutern?

Eismann: Der Fokus des neuen Leitfadens liegt auf dem Bereich, in dem Kundenanlagen über Elektroinstallationen vor Ort eine Notstromversorgung aufrechterhalten. Wichtig ist uns, verständlich zu machen, welch großen Raum organisatorische Fragen einnehmen, um eine korrekte Versorgung sicherzustellen. 

Man muss zunächst prüfen, wie viel stromabhängige Infrastruktur es gibt, wofür die Versorgung auf jeden Fall abgedeckt werden soll und welche Einschränkungen akzeptabel sind. Daraus ergibt sich der Energiebedarf, und man kann überlegen, wie er realisiert werden kann. Für Bereiche, die unbedingt abgedeckt werden müssen, kann man mit Dieselaggregaten und Batteriespeichern arbeiten. Für optionale Leistungen können erneuerbare Energien eine sehr gute Lösung sein. Auch können sie helfen, Treibstoff einzusparen.

Ein zweiter organisatorischer Aspekt befasst sich damit, wie der Betrieb der Notstromversorgung in der Praxis funktioniert. Dazu gehört zu klären, wie Mitarbeitende informiert werden, wo ich für mindestens 72 Stunden Treibstoff lagern kann und wie danach eine Nachführung von Treibstoff aussehen kann.

Unser Leitfaden liefert die Grundlage dafür, dass eine Anlage korrekt konzipiert und in Auftrag gegeben werden kann. Die Umsetzung übernehmen elektrotechnische Fachbetriebe.


Nha Trang Stadt nach der Zerstoerung durch Taifun Damrey
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Stärkung der Resilienz von Städten bei Naturkatastrophen

Naturkatastrophen bedrohen regelmäßig das Leben von vielen Menschen. Bilder von zerstörten Städten sind keine Seltenheit. Ein großes Problem, welches damit einhergeht, ist die Versorgung mit Wasser und Strom sowie die Aufrechterhaltung des Verkehrs.

In der Normung ist das Problem bereits bekannt. Das SyC Smart Cities beschäftigt sich mit nachhaltiger Stadtentwicklung. Sicherheitsmechanismen, Prozesse und Mindestanforderungen tragen dazu bei, die Resilienz der Infrastruktur gegenüber Katastrophen zu erhöhen.

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Schwachstellen lassen sich durch umfassende Tests und regelmäßige Übungen erkennen

DKE: Und wie kann eine solche Notstromversorgung erfolgreich installiert werden?

Eismann: Ganz ehrlich: Beim Üben und Testen zeigt sich, ob die Installation erfolgreich installiert wurde. Am besten ist es, wenn der Ernstfall simuliert und die externe Stromzufuhr für den Standort abgestellt wird. Damit werden mögliche Schwachstellen sichtbar. Ist geklärt, wer die Anlage technisch betreut? Sind die Strukturen und Zuständigkeiten definiert, die im Notfall zu aktivieren sind? Und, ganz profan, funktioniert das Diesel-Aggregat auch dauerhaft? Habe ich die Betriebsmittel, die ich für einen längeren Betrieb benötige? Wir empfehlen, sowohl umfassende Tests als auch regelmäßige Übungen durchzuführen, damit das Konzept bei Bedarf auf geänderte Gegebenheiten angepasst werden kann.

Umsetzung von Eigenverantwortung an relevanten Stellen macht die Gemeinschaft resilienter

DKE: Wen möchten Sie denn mit dem neuen Notstromleitfaden erreichen, wer kann daraus den größten Nutzen ziehen?

Eismann: Eine Notstromversorgung ist in wenigen Bereichen explizit vorgeschrieben. Der Bedarf ist aber bei vielen Unternehmen erkannt, die ihre Prozesse aufrechterhalten wollen und ein Business Continuity Management eingeführt haben. Auch viele Behörden und vor allem Feuerwehren haben begonnen, sich aktiv damit auseinanderzusetzen. Es gibt aber noch viele Unternehmen, die das Thema nicht im Fokus haben. Unser Leitfaden adressiert Entscheider, die eine Konzeption aufsetzen wollen, und hilft ihnen dabei, einen Überblick über die notwendigen Maßnahmen zu erhalten. 

Egal, ob Betrieb, Behörde oder kritische Infrastruktur – am Ende geht es immer darum, bei einem Stromausfall die Versorgung der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Wenn das im Rahmen der Eigenverantwortung an allen relevanten Stellen umgesetzt wird, dann wird die Gemeinschaft insgesamt resilienter und die Folgen für alle Seiten sind weniger drastisch. Dabei geht es nicht nur um den großen Blackout, sondern auch um Ereignisse, die lokal zu Stromausfällen führen. Wir können die aktuelle Transformation in der Energieerzeugung und im Netzaufbau als Chance nutzen, uns flexibler und besser aufzustellen als bisher.

DKE: Frau Eismann, vielen Dank für das Gespräch.

Wir bedanken uns für dieses Interview bei

Portraitfoto Christine Eismann

Christine Eismann

Referentin im BBK (Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe)

Leiterin der Taskforce DKE/AK 261.0.3a „Einspeisung Netzinsel“

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Referentin im BBK (Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe)

Leiterin der Taskforce DKE/AK 261.0.3a „Einspeisung Netzinsel“


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