- Geschlechtergerechte Normen als unsichtbare Infrastruktur
- Welche Arbeitet leistet das IEC Diversity Advisory Committee?
- Beispiel aus der Forschungspraxis zum Gendergap bei Normen
Gendergap bei Normen beseitigen, damit das Vertrauen in die Normung erhalten bleibt
e-Tech: Wie wichtig sind geschlechtergerechte Normen für die IEC und warum?
Parkouda: Geschlechtergerechte Normen sind sehr wichtig für die IEC. Die IEC hat die UNECE Declaration on Gender-Responsive Standards and Standards Development im Jahr 2019, also im selben Jahr der Veröffentlichung, unterzeichnet und der Erklärung Taten folgen lassen. Gemeinsam mit ISO hat die IEC eine Beratergruppe (JSAG) zu geschlechtergerechten Normen (GRS) eingerichtet. JSAG entwickelt Leitlinien, die den technischen Komitees helfen, sicherzustellen, dass die von ihnen entwickelten Normen für Frauen genauso wirksam sind wie für Männer. Eine von mir geleitete Studie zeigt, dass das aktuell leider nicht der Fall ist. Das ist nicht zu rechtfertigen. Mit ihren Maßnahmen zeigt die IEC ihr Commitment zur Beseitigung des Gendergap bei Normen, damit alle von Normung profitieren können.
e-Tech: Tragen geschlechtergerechte Normen dazu bei, das Vertrauen in die Normung zu stärken?
Parkouda: Wir bezeichnen Normen gern als unsichtbare Infrastruktur. Wir betrachten Produkte und Dienstleistungen, die Normen verwenden, als selbstverständlich und vertrauen darauf, dass sie ihre Funktion erfüllen. Das stimmt größtenteils, weshalb wir auch diese Erwartungshaltung haben. Allerdings gibt es zunehmend die Erkenntnis, dass Normen ihre Funktion im Hinblick auf Frauen nicht immer erfüllen. In der Pandemie hat sich deutlich gezeigt, dass Normen für persönliche Schutzausrüstung (PPE) geschlechtsspezifische Unterschiede nicht hinreichend berücksichtigen. Die Europäische Kommission hat sich das genauer angesehen und untersucht, inwieweit Normen anthropometrischen Gesichtspunkten, also den Maßen des menschlichen Körpers, die sich bei Männern und Frauen unterscheiden, Rechnung tragen. Sie fand heraus, dass sie das so gut wie gar nicht tun. Wir wissen, dass es einen Gendergap bei Normen gibt und wir müssen diesen beseitigen, um das Vertrauen in die Normung zu erhalten.
e-Tech: Was sollte Ihrer Meinung nach diesbezüglich getan werden?
Parkouda: Normen umfassen ein derart breites Spektrum an Themen, dass sich nicht so einfach sagen lässt, wo überall das Geschlecht eine Rolle spielt. Wenn wir wollen, dass Normen geschlechtergerecht sind, dann ist meiner Meinung nach das Wichtigste, was wir tun können, Fragen zu stellen. Wir müssen außerdem bereit sein, die Antworten, die wir erhalten, zu hinterfragen und nachzuhaken. Welche Belege gibt es dafür? Wie solide sind die Ergebnisse? Ist die Quelle verlässlich?
Die von JSAG entwickelten Leitlinien können dabei helfen, die Fragen zu identifizieren, die wir stellen sollten. Unterschiedliche Auswirkungen auf Männer und Frauen sind häufig nicht auf den ersten Blick erkenntlich, sondern manchmal muss man etwas mehr in die Tiefe gehen. Die Leitlinien empfehlen, von der Annahme auszugehen, dass es Unterschiede gibt, denn leider wird bisher viel zu häufig per se davon ausgegangen, dass es keine geschlechtsspezifischen Unterschiede gibt, was sich als problematisch erwiesen hat.
So hat zum Beispiel die fehlende Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Unterschiede zu einem Rückruf von Medikamenten geführt, da diese nur an Männern getestet wurden und dann schädliche gesundheitliche Auswirkungen auf Frauen hatten, womit niemand gerechnet hatte. Wir sollten aus solchen Erfahrungen lernen und nicht davon ausgehen, dass etwas, nur weil es für Männer funktioniert auch für Frauen funktioniert.
e-Tech: Sie sind auch Mitglied des IEC Diversity Advisory Committee. Was ist die Arbeit des DAC?
Parkouda: Das DAC arbeitet daran, die Diversität innerhalb der Leitungsgremien der IEC zu verbessern. Der beratende Ausschuss konzentriert sich auf drei Bereiche: Gender, Stakeholder und Geografie. Wir betrachten regelmäßig die demografische Zusammensetzung von Komitees und erarbeiten Leitlinien dafür, wie Komitees repräsentativer sein können. IEC und DAC wissen, dass Diversität ein Plus ist. Diversität innerhalb der Leitungsgremien der IEC stellt sicher, dass Entscheidungen viele unterschiedliche Perspektiven und Ideen einbeziehen, was die IEC stärkt.
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e-Tech: Inwieweit setzt sich SCC für die Förderung geschlechtergerechter Normen ein?
Parkouda: Ich bin sehr stolz auf die Arbeit, die SCC zur Förderung geschlechtergerechter Normen leistet. SCC hat international eine Führungsrolle übernommen und unterstützt die Empfehlungen der JSAG zu geschlechtergerechten Normen. SCC beschränkt sich nicht darauf, andere dazu anzuhalten, aktiv zu werden, sondern wir hinterfragen uns auch selbst, um sicherzustellen, dass geschlechtergerechte Normen eine Grundlage unserer Arbeit sind.
Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit geschlechtergerechten Normen und wir hatten immer die Unterstützung unseres CEO, aber auch auf anderen Ebenen der Organisation wächst die Unterstützung zusehends. Das ist eine unserer größten Stärken: Unsere Arbeit wird nicht als nebensächlich angesehen, sondern die ganze Belegschaft von SCC setzt sich für geschlechtergerechte Normen ein und handelt entsprechend in ihren jeweiligen Bereichen.
e-Tech: Können Sie uns ein Beispiel aus Ihrer Forschungspraxis zum Gendergap bei Normen geben?
Parkouda: Selbstverständlich! Unsere erste Studie zu dem Thema untersuchte die Unterschiede in Bezug auf den Schutz, den Normen Männern und Frauen bieten. Wir fanden heraus, dass in Ländern, die sich stärker für Normung engagieren, weniger Männer aufgrund von Unfällen starben, wohingegen der Grad des Engagements bei Frauen keinen Unterschied machte. Die Studie zeigte, dass der Gendergap bei der Normung reale Auswirkungen hat.
Vor kurzem haben wir eine Studie durchgeführt, die zeigt, dass die Beteiligung von Frauen am Normungsprozess die Leistung der Technischen Komitees verbessert. Leistung hatte in dem Fall nicht per se etwas mit geschlechtergerechten Normen zu tun, sondern es betraf die allgemeine Arbeitsweise des Komitees. Dieses Ergebnis deckt sich mit Studien aus anderen Bereichen, die die Vorteile von Genderdiversität zeigen. Der Gendergap bei Normen ist real und Studien spielen eine wichtige Rolle bei der Quantifizierung der Diskrepanz in Bezug auf Frauen und dabei, sicherzustellen, dass sie nicht als Hirngespinst abgetan wird.
e-Tech: Was sind die größten Herausforderungen für SCC mit Blick auf die Zukunft?
Parkouda: Ähnlich wie anderen Normungsgremien ist es SCC wichtig, sicherzustellen, dass das Normungssystem sich stetig weiterentwickelt, um neuen Herausforderungen gerecht zu werden. Wir müssen Normen entwickeln, die den schnellen technologischen Veränderungen Rechnung tragen und die dafür sorgen, dass die Normung nicht an Relevanz verliert.
SCC ist sich des Werts bewusst, den die Normung für Regierungen, die Industrie und die Öffentlichkeit darstellt und es ist unsere Aufgabe, alle relevanten Parteien stets über die Vorteile zu informieren, die die Normung bietet. Wir verfolgen unsere Prioritäten, versuchen, neue Leute für die Normungsarbeit zu begeistern, und eine Arbeit zu leisten, die für Kanada von Wert ist.
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e-Tech: Welche Prioritäten und Strategie verfolgt SCC?
Parkouda: 2022 hat SCC die National Standards Strategy veröffentlicht. Die Strategie wurde nach ausführlichen Beratungen erarbeitet, um sicherzustellen, dass SCC den aktuellen globalen Herausforderungen, nationalen Interessen und den Bedürfnissen verschiedener interessierter Parteien Rechnung trägt. Sie legt die Prioritäten für SCC fest, darunter Klimawandel und Nachhaltigkeit, digitale Wirtschaft, Lieferkettenstabilität sowie Gesundheit und Sicherheit. Sie konzentriert sich zudem auf die Nachhaltigkeit des Systems, wozu auch gehört, dass die Normung die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen repräsentiert, die in Kanada leben.
e-Tech: Was machen Sie, um sich zu entspannen?
Parkouda: Ich bin ein Morgenmensch und versuche, schon entspannt zu starten, indem ich meinen Tag entsprechend beginne. Ich liebe es, morgens laufen zu gehen oder eine Runde mit dem Rad zu drehen. Ich habe Kinder im Schulalter und wenn ich am Morgen rausgehe, finde ich Ruhe und Stille und die Zeit, meinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Gerade wenn ich nicht bewusst über etwas nachdenke, fallen mir häufig Ideen zu Dingen ein, an denen ich arbeite.
Wenn der Tag echt stressig war, was gelegentlich vorkommt, dann backe ich am Abend. In der Forschung weiß man häufig nicht, was am Ende herauskommt oder wie die Arbeit ankommt. Beim Backen sieht man ein Ergebnis und die positive Bestärkung von meiner Familie tut ebenfalls gut.
Redaktioneller Hinweis:
Der englischsprachige Originalartikel von Priyanka Dasgupta und Clare Naden erschien erstmals auf etech.iec.ch in der Ausgabe 06/2024 unter:
https://etech.iec.ch/issue/2024-06/we-need-to-address-the-gender-gap-in-standards-to-maintain-trust-in-standardization
Die Antworten entsprechen den persönlichen Ansichten und Meinungen der Interviewpartnerin und müssen nicht denen der DKE entsprechen.