Containerfrachtschiff im Ozean
enanuchit / stock.adobe.com
26.10.2023 Kurzinformation

Wir brauchen die harmonisierten Europäischen Normen – und müssen sie dringend stärken!

Der EU-Binnenmarkt lebt von erfolgreichen wie effizienten Normungsprozessen. Davon profitieren insbesondere innovationsstarke Mittelständler und KMUs, so wie Pepperl+Fuchs aus Mannheim, weltweit Marktführer rund um industrielle Sensoren und Explosionsschutz mit gut 7.000 Mitarbeitenden weltweit.

Ein Gespräch mit dem CEO Dr.-Ing. Gunther Kegel über den Zusammenhang zwischen harmonisierten Normen und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, den Lehren aus dem Brexit und weshalb Bundesregierung und EU die aktuellen Normungsprozesse bewahren, stärken und beschleunigen sollten.

Contact
Johannes Koch
Downloads + Links
Verwandte VDE Themen

Interview mit Dr. Gunther Kegel

DKE: Wie relevant sind harmonisierte Europäische Normen für Pepperl+Fuchs?

Kegel: Harmonisierte Europäische Normen sind für uns von unschätzbarem Wert! Erstens signalisieren sie unseren europäischen Kunden: Keine Sorge, das entsprechend bewertete und deklarierte Produkt entspricht garantiert den Sicherheitsanforderungen, die die EU in ihren Richtlinien und Verordnungen festgeschrieben hat. Da geht es beispielsweise um Fragen des Berührungsschutzes bei Sensoren, damit niemand einen Stromschlag erleidet. Die Einhaltung harmonisierter europäischer Normen ist daher ein wichtiges Qualitätsmerkmal. Zweitens sind sie quasi die Grundlage für den europäischen Binnenmarkt, weil sie in allen Ländern vorbehaltlos gelten. Da kann niemand ausscheren, Sonderwünsche geltend machen und so seinen Markt abschotten. Drittens – und das ist für unsere wirtschaftliche Tätigkeit in der EU essentiell – sind Normen Teil der technischen Regelsetzung und repräsentieren somit den Stand der Technik. Wer seine Produkte sorgfältig gemäß den harmonisierten Normen ausführt, muss sich nicht dem Vorwurf von grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz aussetzen. Für die Rechtssicherheit im Falle von Produktfehlern ist das von überragender Bedeutung.

DKE: Aber sind nationalstaatliche Ansätze im Zuge der Globalisierung nicht schon längst überholt?

Kegel: Leider nein, im Gegenteil. Wie fragil das System ist, haben wir im Zuge des Brexits erleben müssen. Plötzlich wollte Großbritannien eine eigene Kennzeichnung haben, die UKCA-Kennzeichnung. Das war extrem herausfordernd! Inhaltlich basiert die UKCA-Kennzeichnung zwar auch auf Europäischen Normen, dennoch hat Großbritannien damit einen enormen Verwaltungs- und Dokumentationsaufwand ausgelöst.

Allein in unserem Unternehmen waren die personellen und finanziellen Belastungen erschreckend. Viele Projekte mussten hintenangestellt werden, Entwicklung, Fertigung, Logistik und Dokumentationsabteilung waren mit Hochdruck damit beschäftigt, unsere Produkte für den britischen Markt zu ertüchtigen. Neben den Kosten, die im sechsstelligen Eurobereich lagen, wurden immense Kapazitäten gebunden.

Immerhin hat Großbritannien den Irrweg inzwischen wieder verlassen und akzeptiert weiterhin Produkte mit CE Kennzeichnung, die auf harmonisierten Europäischen Normen basieren. Ein Glück. Auch weil die Erfahrung zeigt: Irgendwann hätte Großbritannien doch von der EU abweichende Sicherheitsanforderungen eingeführt – dann wäre der Aufwand für uns dauerhaft erheblich größer geworden.


Eingang des 1999 eingeweihten Louise-Weiss-Gebäudes, offizieller Sitz des Europäischen Parlaments mit Plenarsaal
olrat / stock.adobe.com

Europäische Normen: ein Erfolgsfaktor für den EU-Binnenmarkt

Die Europäischen Normen bilden heute ein wichtiges Fundament für den EU-Binnenmarkt. Sie sind ein strategisches Instrument für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und die EU-Wirtschaftspolitik. Die Europäischen Normungsorganisationen erarbeiten sie anhand der Anforderungen aus der Industrie oder auch im Auftrag der EU-Kommission in Form von Normungsaufträgen.

Nationale Expert*innen bei der DKE engagieren sich in den Europäischen Normungsorganisationen für die Weiterentwicklung von elektrotechnischen Normen.

Mehr erfahren

DKE: Dennoch: Es gibt weltweit gültige, abgestimmte Normen. Warum bedarf es da noch der harmonisierten Europäischen Normen?

Kegel: Das stimmt, für die Elektrotechnik werden von der IEC (International Electrotechnical Commission) weltweit gültige Normen entwickelt. Richtig ist auch, dass wir in Europa Produkte auf den Markt bringen können, für die es keine harmonisierten Europäischen Normen gibt, die aber gleichwohl den Sicherheitsanforderungen der Europäischen Rechtsakte entsprechen müssen. Doch der Nachweis darüber ist ungleich aufwändiger.

Das Unternehmen muss dann in seiner Konformitätsbewertung begründen, wie die Sicherheitsanforderungen erfüllt werden. Und auch unsere Kunden fragen dann konkret nach, warum wir behaupten, dass z.B. der Explosionsschutz gewährleistet sei, obwohl die EU-Konformitätserklärung nicht wie gewohnt auf harmonisierte Europäische Normen referenziert. Das zu erläutern ist komplex und kostet Geld.

Richtig kompliziert wird es, wenn man tatsächlich ein Produkt aufgrund von Qualitätsmängeln aus dem Verkehr ziehen muss. Dann muss das Unternehmen – sofern es nicht zeigen kann, dass das Produkt entsprechend den harmonisierten Europäischen Normen entwickelt wurde – der Marktaufsicht und den Kunden gegenüber einiges erklären.

DKE: Warum gehen Sie dann überhaupt das Risiko ein, Produkte ohne harmonisierte Europäische Normen zu vertreiben?

Kegel: Es ist die absolute Ausnahme, dass wir solche Produkte auf den Markt bringen. Aber der Harmonisierungsprozess dauert mitunter einfach zu lange. Es geht zwar „nur“ darum, die IEC-Normung unter dem Dach der europäischen Normungsorganisationen CEN und CENELEC quasi parallel zu begleiten und der IEC-Norm ein europäisches Vorwort und europäische Anhänge zu verpassen, aber in Einzelfällen braucht es Jahre, bis die sogenannten HAS (Harmonised Standards) Consultants im Review-Prozess der Harmonisierung der Europäischen Norm zustimmen. Anschließend muss sie dann noch von dem zuständigen EU-Ministerium freigegeben werden.

DKE: Kann man den Prozess nicht abkürzen oder anders aufsetzen?

Kegel: Sie zielen auf die HAS-Consultants ab? Der Review-Prozess ist – auch wenn er im Einzelfall aus unserer Sicht zu lange dauert – sicher und qualitativ hochwertig. Die langen Durchlaufzeiten kann man unseres Erachtens auch durch stärkere Parallelisierung und Verzahnung des eigentlichen Normungsprozesses und der Harmonisierungskonsultation erreichen.

Wichtig ist aber, dass sich die Normung innerhalb der IEC und der CEN CENELEC durch die Harmonisierungskonsultation, die es so ja nur in Europa gibt, nicht so weit voneinander entfernen, dass in der IEC und in Europa unterschiedliche technische Sachstände genormt werden. Wenn es nach der europäischen Politik ginge, würde sich diese gerne noch viel intensiver einbringen, weil man die Standardisierung mittlerweile als einen Anhang der Gesetzgebung sehen will. Wenn sich die europäische Politik hier immer weiter einbringt, wird das nicht nur zu längeren Durchlaufzeiten der Normung führen, sondern technische Normen werden durch Wertediskussionen ggf. technisch verwässert. In letzter Konsequenz müssten wir als Unternehmen dann Produkte einerseits für den Weltmarkt, andererseits für Europa entwickeln und produzieren. Die harmonisierten Europäischen Normen der CEN CENELEC bewahren uns genau davor und sichern unsere Wettbewerbsfähigkeit, solange sie zeitlich eng abgestimmt mit der IEC sind. In letzter Konsequenz zahlen sie auch auf die Bereitschaft ein, in Europa zu investieren.

In einer Zeit, in der deutsche Schlüsselindustrien wie die Chemie ohnehin in großem Umfang außerhalb Europas neue Werke errichten und Produkte entwickeln, stellen die harmonisierten Europäischen Normen ein Stück weit Investitionssicherheit für unsere Heimatstandorte dar.

EU und Bundesregierung sollten sie auch deshalb weiter stärken.

Wir bedanken uns für dieses Interview bei

Portraitfoto Dr.-Ing. Gunther Kegel

Dr.-Ing. Gunther Kegel

Vorstandsvorsitzender der Pepperl+Fuchs SE

Präsident des ZVEI, Verband der Elektro- und Digitalindustrie

Portraitfoto Dr.-Ing. Gunther Kegel

Vorstandsvorsitzender der Pepperl+Fuchs SE

Präsident des ZVEI, Verband der Elektro- und Digitalindustrie

Werdegang und Aktivitäten:

  • Studium der Elektrotechnik und Promotion an der TU Darmstadt bei Pepperl+Fuchs in Mannheim
  • Präsidiumsmitglied des VDE
  • Mitglied in verschiedenen Aufsichtsratsgremien und Beiräten
  • Vorsitzender des Ausstellerbeirates der Hannover Messe
  • Mitherausgeber der Zeitschrift a t p

Relevante News und Hinweise zu Normen