Innovative Technologie in der Medizin
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13.11.2023 Fachinformation

Patientinnen und Patienten stehen im Zentrum

Im Interview mit IEC e-Tech spricht Regina Geierhofer, Secretary IEC/TC 62, über die zentralen Herausforderungen für ihr Technisches Komitee vor dem Hintergrund, dass Künstliche Intelligenz ein Schwerpunkt der Normung im Medizinbereich bei Geräten, Software und Systemen sein wird.

Regina Geierhofer hat einen Abschluss in Angewandter Chemie und Mathematik. Sie arbeitete zehn Jahre in einem österreichischen Universitätsspital. Ihre Schwerpunkte lagen auf IT für Radiologie, Nuklearmedizin und Pathologie.

Anschließend daran wechselte sie in die Wirtschaft und arbeitete bei internationalen Unternehmen als Risikomanagerin und Regulatory Affairs Managerin. Regina Geierhofer beschäftigt sich seit 20 Jahren mit der Normung.

Kontakt
Dr. Renate Förch
Zuständiges Gremium

Interview mit Regina Geierhofer

e-Tech: An welchen Grundsätzen orientiert sich die Arbeit der Fachleute von IEC/TC 62?

Geierhofer: Bei der Erarbeitung einer Norm für ein Gerät bzw. System gilt für die Fachleute von IEC/TC 62 (DKE/K 810) die Maxime, dass der Nutzen für die Patientinnen und Patienten größer sein muss als die Risiken. Was auch immer die Technologie kann, sie sollte mehr nutzen als schaden. Diese Nutzen-Risiko-Abwägung ist für sämtliche Produkte, die einer Regulierung unterliegen, von großer Bedeutung, aber in der Medizin steht sie absolut an erster Stelle bei der Erarbeitung von Normen.

Die Hersteller von Medizinprodukten müssen den Nutzen beurteilen und Risiken für die Patientinnen und Patienten verhindern. Dafür nutzen sie unsere Normen. Und dann gibt es noch eine dritte Partei, die Regulierungsbehörde, wie beispielsweise die FDA in den USA, die beurteilt, ob das Produkt einen ausreichenden Nutzen bietet und hinreichend sicher ist, um auf den Markt gebracht werden zu können. Es ist wichtig zu verstehen, dass der Gewinn nicht das Hauptkriterium für den Marktzugang sein darf, die Gesundheit der Patientinnen und Patienten ist stets der entscheidende Maßstab.


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e-Tech: Welchen Einfluss hat Künstliche Intelligenz auf die Arbeit von IEC/TC 62?

Geierhofer: Es gibt ungefähr 20 technische Komitees, die sich mit der Erarbeitung medizinischer Normen beschäftigen, darunter IEC/TC 62 und ISO/TC 210. Die Grundnormen für KI in der Medizin sind die Normen in Bezug auf Qualitätsmanagement und Risikomanagement sowie Normen zur Gebrauchstauglichkeit und Verfahrensnormen zur Softwareentwicklung. Sie werden von verschiedenen TCs veröffentlicht, die im Bereich Medizin zusammenarbeiten und versuchen, eine solide Grundlage für KI-Entwicklungen zu schaffen. Es ist eine Gemeinschaftsleistung.

IEC/TC 62 veröffentlicht mehrere grundlegende Sicherheits- und Leistungsnormen, die zunehmend auch KI Rechnung tragen müssen. Wir erwarten, im Herbst mit der Arbeit an der vierten Ausgabe einer der wichtigsten Normen von IEC/TC 62 zu beginnen, IEC 60601-1, die allgemeine Anforderungen an die grundlegende Sicherheit und Leistung von Medizinprodukten festlegt. Diese vierte Ausgabe, die innerhalb von SC 62A erarbeitet wird, wird neue Konzepte, wie bspw. KI, beinhalten. Diese Norm kann aber nicht sämtliche Entwicklungen im Zusammenhang mit KI für jedes Produkt abdecken. Sie soll als zentrale Referenz dienen, die auf weitere Normen für verschiedene Medizinprodukte hinweisen wird. Es werden sich in mindestens hundert produktspezifischen Normen Verweise darauf finden. Hätten wir nicht diesen Ansatz gewählt, wäre die Norm mehr als 1.500 Seiten lang und mühsam zu lesen.

Parallel dazu plant SC 62A, mit der Arbeit an einer neuen Ausgabe von IEC 62304, der grundlegenden Verfahrensnorm für medizinische Software, zu beginnen. Wir werden auch versuchen, eine Grundarchitektur für medizinische KI-Normen in der neuen Ausgabe der Norm festzulegen.

Gleichzeitig haben wir auch einige neue Projekte, die sich speziell auf KI beziehen. Beispielsweise haben wir eine Gruppe eingerichtet, die sich mit dem Prozess der Leistungsbeurteilung von KI und Medizinprodukten, die sich auf maschinelles Lernen stützen, auseinandersetzt. Wir haben auch eine Projektgruppe, die schon weiter ist und IEC 63450 erarbeitet, die sich mit der Prüfung von KI und Medizinprodukten, die sich auf maschinelles Lernen stützen, beschäftigt. Außerdem hat SC 62B ein neues Projekt zur KI-gestützten Analyse der Bildgebung der Lunge übernommen.

e-Tech: Sie erwähnen, wie wichtig Zusammenarbeit ist. Wie sieht die Kooperation von IEC/TC 62 mit IEC/ISO SC 42, dem Komitee, das Normen für Künstliche Intelligenz entwickelt, aus?

Geierhofer: Wir haben leicht unterschiedliche Standpunkte, die aus unserem unterschiedlichen Hintergrund resultieren. Wir müssen herausfinden, wie wir die Normen von SC 42 nutzen können, um die Entwicklung in unserem Bereich zu beschleunigen, ohne jedoch Abstriche bei der Nutzen-Risiko-Abwägung zu machen, die die Patientinnen und Patienten ins Zentrum stellt. Ein erster Schritt zur Lösung des Dilemmas besteht für uns darin, uns in gemeinsamen Arbeitsgruppen einzubringen.


Roboter-Finger berühren den Bildschirm eines Autos
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Wenn der Mensch nicht mehr selbst entscheidet: KI und Ethik messbar machen

Wir gehen mit großen Schritten in eine Zukunft, in der Künstliche Intelligenz allgegenwärtig sein wird, eine Technologie, die unser Leben von Grund auf verändern wird. Gleichzeitig geben wir jedoch auch zunehmend Verantwortung ab: autonomes Fahren, medizinische Diagnostik, schulische Bildung. Aber wie können wir sicherstellen, dass KI nicht nur auf Grundlage von Daten handelt, sondern auch etische Grundsätze berücksichtigt?

Die Normung hat sich bereits frühzeitig mit dieser Frage beschäftigt und erarbeitet mit ihren Expertinnen und Experten Lösungen für die Praxis.

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e-Tech: Was sind die größten Herausforderungen in Bezug auf die Normung für IEC TC 62 mit Blick auf die Zukunft?

Geierhofer: Die Entwicklung von Normen in der Medizin ist ein langwieriger Prozess. Das gilt insbesondere in Bezug auf KI. KI, als Technologie, entwickelt sich ständig weiter und wenn man versucht, einen sich entwickelnden Bereich zu normen, ist es ganz normal, dass es unterschiedliche Standpunkte gibt. Es kann dauern, bis ein Konsens gefunden wird.

Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass es in einigen Bereichen schwierig ist, geeignete Projektleiterinnen bzw. Projektleiter zu finden. Das ist gar nicht so einfach, da sie sich mit der Technologie sehr gut auskennen müssen, verstehen müssen, wie Normung im Medizinbereich funktioniert sowie die Feinheiten der englischen Sprache beherrschen müssen. Die Fachleute, die sich mit KI für Medizinprodukte auskennen, arbeiten in der Industrie und haben selten die Zeit, sich mit Normung auseinanderzusetzen. Aber für Bereiche, die weniger sexy als KI sind, ist es noch schwieriger. Hier ein Beispiel: 2025 müssen wir die Normenreihe IEC 61331 zurückziehen, die sich mit Schutzvorrichtungen und -kleidung in der Radiologie auseinandersetzt, da diese Normen nicht mehr zeitgemäß sind. Aber der Convenor für diese Normen ist in den Ruhestand getreten und wir konnten keine Nachfolgerin bzw. keinen Nachfolger finden.

e-Tech: Inwiefern adressiert IEC TC 62 die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs)?

Geierhofer: Wir tragen vor allem zur Erreichung von SDG 3, Gesundheit und Wohlergehen, bei. Aber auch zu SDG 12, Nachhaltiger Konsum. Wir haben mit der IEC 63077 eine wichtige Norm zur Kreislaufwirtschaft veröffentlicht, die das Verfahren zur Sicherstellung der Leistung und Sicherheit wiederaufbereiteter bildgebender Geräte in der Medizin festlegt.

Ein weiteres Ziel, an dem sich unsere Arbeit orientiert, ist SDG 9, Industrie, Innovation und Infrastruktur. Wir beschäftigen uns zunehmend mit Energieeffizienzaspekten in der Medizin und beobachten die Gesetzgebung in diesem Bereich. Vorerst wenden wir unser Leitbild des Nutzens für Patientinnen und Patienten an und Energie zu sparen erscheint uns weniger wichtig als Menschenleben zu retten. Aber wir wissen, dass das etwas ist, mit dem wir uns in naher Zukunft auseinandersetzen müssen. Mit Blick auf die Zukunft sollte das dazu beitragen, dass wir auch andere SDGs erreichen.


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