Platine unter Mikroskop im Labor
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28.03.2022 Kurzinformation

Risikominimierung durch Obsoleszenzmanagement – Fälschungen erkennen und Lagerfähigkeit sicherstellen

Von Allokation über mangelnde Qualität und Fälschungen bis hin zur Abkündigung – es gibt verschiedene Gründe für Obsoleszenz und die Risiken nehmen aufgrund aktueller Lieferengpässe zu. Ein Lösungsansatz, dem in Zukunft eine hohe Bedeutung zukommt, ist die Langzeitlagerung.

Holger Krumme spricht im Interview unter anderem über die Herausforderungen und Anforderungen, die mit der Langzeitlagerung einhergehen, um effizientes Obsoleszenzmanagement zu betreiben. Eine Grundvoraussetzung aus seiner Sicht: Die Prüfung des individuellen Anwendungsfalls.

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Interview mit Holger Krumme

DKEHerr Krumme, erläutern Sie doch kurz Obsoleszenz am Beispiel Ihrer Arbeit und HTV.

Krumme: Obsoleszenz begleitet uns schon seit vielen Jahren bei HTV. Zunächst einmal aus dem Grund, weil wir Bauteile auf Originalität untersuchen. Viele Kunden kommen auf uns zu, weil sie nicht wissen, ob Bauteile, die sie auf dem Markt beschafft haben, original vom Hersteller oder gefälscht sind, bzw. schon einmal eingebaut waren und „refurbished“ sind. Es besteht außerdem oft die Frage, was sich in den Bauteilen genau befindet und ob der Chip der Original-Chip ist.

Untersuchungen, die wir für Kunden durchführen, sind sehr umfangreich. Wir führen elektrische Prüfungen zur Verifizierung der Datenblattwerte sowie Inspektionen durch, um zu sehen, ob Manipulationsspuren von außen zu erkennen sind: Wurde zum Beispiel nachträglich eine Verzinnung durchgeführt? Mithilfe von Bauteilöffnungen prüfen wir außerdem, ob noch der Original-Chip enthalten ist oder irgendwelche ESD Schäden vorhanden sind.

Gerade jetzt, wo die Verknappung (Allokation) an Halbleiterbauteilen herrscht, kommen Kunden sehr oft auf uns zu. Ihre Not, Bauteile auf dem Markt zu beschaffen, weil sie vom Originalhersteller nicht verfügbar sind, ist sehr präsent.

Zum anderen gibt es die Obsoleszenz durch Bauteile, die abgekündigt wurden, weil die Hersteller ihre Fertigung einstellen. Das kann viele Gründe haben. Manchmal sind es Zusammenschlüsse von Unternehmen, wodurch die Produktlinien, die sozusagen doppelt sind, geschlossen werden und das Bauteil somit nicht mehr verfügbar ist. Das kann von heute auf morgen passieren. Kunden, die langlebige Produkte am Markt haben, stehen dann oft vor dem Problem, ihre Produkte nach wie vor mit identischen Bauteilen fertigen zu müssen.

Gerade im Bereich Sicherheitstechnik, Raumfahrt, Luftfahrt, Maschinenbau und zum Teil auch bei Medizingeräten ist es schwierig, ein Bauteil einfach durch ein anderes zu ersetzen. Es gibt manchmal Zertifizierungen, die verhindern, dass ein Bauteil ausgetauscht werden darf. Auch in der Bahntechnik oder Luftfahrt muss ein Bauteil oder die Baugruppe vielfach genauso wieder gefertigt werden, wie sie schon immer gefertigt oder freigegeben wurden. Hier ist das Thema Obsoleszenz sehr präsent.

Aktiv werden wir als HTV an dieser Stelle, indem wir Bauteile, die Kunden aufgrund einer Abkündigung in großen Stückzahlen kaufen, in unserem Langzeitlager einlagern. Hier haben wir ein weltweit einmaliges Verfahren, unser TAB-Verfahren, entwickelt, mit dem wir Bauteile bis zu 50 Jahre nahezu alterungsfrei lagern können.

Es ist bestätigt: Die „geplante" Obsoleszenz existiert und ihre Umweltauswirkungen sind fatal

DKE: Der Begriff „Obsoleszenz“ wird häufig mit „geplanter Obsoleszenz“ assoziiert. Hier werden Geräte so gebaut, dass sie nach einer relativ kurzen Nutzungszeit ausfallen, oft auch kurz nach Ablauf der Garantie. Haben Sie hierzu in Ihrem Labor auch schon Untersuchungen gemacht? Was sind Ihre Erfahrungen?

Krumme: Das ist ein ganz interessantes Thema. Wir begegnen Obsoleszenz auf vielfältige Weise und werden oft von Zeitungen, Fachzeitschriften oder auch TV-Sendungen angesprochen, bei denen die geplante Obsoleszenz gerne sehr publikumswirksam für den Verbraucher dargestellt wird. Vor einigen Jahren haben wir begonnen, Untersuchungen hierzu zu machen und zu prüfen, ob es Geräte gibt, bei denen geplante Obsoleszenz vorhanden ist. Das ging bis in die Bundesregierung hinein, als wir vom Umweltbundesamt als Fachpartner für das Thema geplante Obsoleszenz herangezogen wurden.

Inzwischen gibt es sogar ein Prüfzeichen – das HTV-Life Prüfzeichen –, das Geräten verliehen wird, die keine geplante Obsoleszenz besitzen. Damals bin ich ein bisschen blauäugig an das Thema herangegangen. Ich habe immer gehofft und gedacht, dass dieses Prüfzeichen für viele hochwertige Hersteller in Deutschland interessant sein müsste. Es gibt schließlich viele Gerätehersteller, die als Premiummarken gelten. Obwohl wir nicht einmal Geld mit dem Thema verdienen, sondern das Thema lediglich pushen wollten, weil die bestehende Situation meines Erachtens aus Umweltgründen fatal ist, musste ich nach viel Kraftaufwand feststellen, dass das Interesse bei den Herstellern verhalten war. Ich habe auf verschiedensten Messen mit dem Produktmarketing von großen Herstellern gesprochen. Dort wurde mir dann auch klar, warum: Die Lebensdauer von Geräten ist bereits bei der Entwicklung geplant. Dementsprechend gibt es auch eine geplante Obsoleszenz, nämlich das geplante Veralten oder Ausfallen von Geräten.

Jeder Entwickler muss die Lebensdauer seines Gerätes kennen und jeder Ingenieur, wenn er oder sie denn will, kann diese selbst berechnen oder die Untersuchung in Auftrag geben. Letztendlich weiß somit jeder Entwickler, wie schnell sein Gerät ausfällt. Denn kein Hersteller will natürlich, dass noch vor Ablauf der Garantie oder Gewährleistungsfrist ein solcher Geräteausfall auftritt, weil er dann aufgrund von Rückrufen oder Reklamationen enorme Kosten zu tragen hätte.

Mir wurde daher klar, dass sich die Industrie nicht so gerne in die Karten schauen lassen möchte hinsichtlich ihrer berechneten Lebensdauer für ihre Geräte. Denn das war unsere Forderung: Für das HTV-Life-Prüfzeichen muss alles offengelegt werden. Wir hätten dann gewusst, welche Lebensdauer ein Gerät hat.

Es gab bereits große Studien vom Umweltbundesamt zu dem Thema geplante Obsoleszenz. Hier wurde bereits festgestellt, dass die Nutzungsdauer oder Lebensdauer von den Geräten über die vergangenen Jahre abgenommen hat. Hat früher eine Waschmaschine zehn oder 15 Jahre gehalten, hält sie heute zum Beispiel vielleicht nur noch sechs Jahre. Das ist unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten fatal. Meiner Ansicht nach ist es Aufgabe des Gesetzgebers Regulierungen zu schaffen, die zu einer höheren Lebensdauer und besseren Reparierbarkeit von Produkten führen.


Grader – alt und neu

Grader – alt und neu

| Holger Lange

Obsoleszenzmanagement: Kurze Produktzyklen und lange Betriebszeiten – ein Widerspruch?

Obsoleszenz beschreibt die dauerhafte Nichtverfügbarkeit von Produkten und tritt auf, wenn zum Beispiel die Produktion eines Elektronikbauteils eingestellt wird. Obsoleszenzmanagement setzt hier an und verfolgt das Ziel, diesem Prozess entgegenzuwirken. Mit IEC 62402 liegt bereits eine internationale Norm vor, die Anforderungen an das Obsoleszenzmanagement beschreibt.

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Auch günstigere Produkte können gute Qualität liefern. Der Preis allein entscheidet nicht.

DKE: Konnten Sie einen Unterschied zwischen Premium-, Mittel- und Billigklasse feststellen? Macht es beispielsweise Sinn, für Premium zu bezahlen, um das Gerät zehn Jahre lang, statt nur sechs Jahre zu nutzen?

Krumme: Richtige Life-Tests über die langen Benutzungszeiten machen wir meistens nicht. Wir schauen uns die Geräte an und werden oftmals als Experten in verschiedenen TV-Reportagen hinzugezogen, wenn es zum Beispiel wie im SWR-Marktcheck darum geht, zu vergleichen, wie Geräte aufgebaut sind. Das sind aber keine quantitativen Untersuchungen, bei denen die Lebensdauer der Geräte festgestellt wird. Es geht lediglich um deren Aufbau und ob es Indizien für eine wahrscheinlich geringere Lebensdauer aufgrund beispielsweise schlechter Verarbeitung oder Konstruktion gibt. Hier sind zwar Unterschiede erkennbar, aber nicht bei allen Produkten.

Bei manchen Produkten ist es offensichtlich, dass Kunden, die mehr ausgeben, etwas Besseres bekommen. Es ist aber auch möglich, dass ein einfacher Hersteller gute Qualität und Funktionalität liefert. Wir haben zum Beispiel erst kürzlich Heizdecken geprüft und hier waren nicht viele Unterschiede zu sehen. Alle haben ihre 60 Watt Leistung, erzeugen eine gute Wärme und die Verarbeitung ist relativ ähnlich. Eine pauschale Aussage ist daher schwierig.

Die Langzeitlagerung hilft, Lieferengpässe vorzubeugen und Obsoleszenz planbar zu machen

DKE: Das Thema Allokation, also die Materialknappheit, ist zurzeit ein großes Thema. Coronabedingt sind die Lieferketten durcheinandergeraten. Die Konsequenz ähnelt der einer Abkündigung: Eine produzierende Firma erhält notwendige Teile nicht. An einem Auto wird beispielsweise die USB-Schnittstelle weggelassen oder das gewünschte Radio ist nicht verfügbar, weshalb stattdessen das teurere Radio eingebaut werden muss. Das sorgt bei Kunden, die schon viel Geld für ein Auto ausgegeben haben, für zusätzliche Frustration. Wie könnten sich Unternehmen Ihrer Meinung nach besser auf solche Risiken vorbereiten?

Krumme: Das fließt in das Thema Obsoleszenz mit ein, da haben Sie Recht. Dieses Just-in-time, das in den vergangenen Jahrzehnten favorisiert wurde, ist zum Teil fatal, denn es macht die Anfälligkeit der Lieferketten wesentlich größer. Wenn Lieferzeiten kurzfristig so hochschießen wie aktuell, ist kaum ein Puffer vorhanden. Ich vermute, dass man hier in Zukunft umdenken muss, auch hinsichtlich der Abhängigkeit von Fernost. Die Lieferzeiten hängen schließlich zum Teil auch damit zusammen, dass die Transportmöglichkeiten wie Seeschiffe oder andere Transportmöglichkeiten nicht ausreichend vorhanden sind. Aus den unterschiedlichsten Gründen kommen Schiffe nicht mehr in die Häfen hinein. Hierdurch gehen die Transportpreise und damit die Produktpreise nach oben. Mein Wunsch wäre es daher, umzudenken und bestimmte Technologien wieder in Europa anzusiedeln, um die europäische Wirtschaft zu schützen und zu stärken.

Ein wichtiges Problem ist jedoch, dass auch wenn die Unternehmen neue Strategien fahren und größere Puffer einplanen, elektronische Bauteile nicht beliebig lange gelagert werden können. Ein, zwei Jahre sind möglich, dann ist irgendwann Schluss und sie können nicht mehr verarbeitet werden oder verlieren ihre Funktionalität. Da die Strategie inzwischen aber in die Richtung geht, dass sich Unternehmen in Zukunft stärker eindecken werden, braucht es eine Langzeitlagerung, die Bauteile so schützt, dass sie auch nach langen Lagerzeiten weiterhin einsetzbar sind. Wir bemerken bei diesem Thema bereits eine entsprechend erhöhte Nachfrage.

Die Langzeitlagerung ist ein individueller Prozess. Normung kann unterstützen.

DKE: Langzeitlagerung bedeutet für Sie also alles, was über zwei Jahre hinausgeht?

Krumme: Genau genommen bedeutet Langzeitlagerung alles, was über die Herstellerangabe der Lagerfähigkeit hinausgeht. Wenn zum Beispiel der Hersteller von Steckverbindern angibt, dass sie maximal ein halbes Jahr lagerfähig sind, dann ist eine Langzeitlagerung alles, was da drüber hinausgeht. Viele Bauteile liegen mit ihrer Lagerfähigkeit zwischen ein bis zwei Jahren. Bis dahin sind sie normal lagerfähig. Wenn allerdings bekannt ist, dass ein Bauteil lange verfügbar sein muss, dann ist es zwingend erforderlich, dass es von Anfang an in ein entsprechendes und vom Verfahren her geeignetes Langzeitlager gebracht wird.

DKE: Bei dem Langzeitlager, das Sie haben, können Bauteile bis zu 50 Jahre eingelagert werden. Orientieren Sie sich da an bestehenden Leitlinien und Normen oder haben Sie eigene Methoden entwickelt?

Krumme: Das ist eine gute Frage. Wir entwickeln und spezifizieren unsere eigene Art der Lagerung seit fast 20 Jahren immer weiter und wurden bereits oft dazu eingeladen, an bestimmten Normen im Bereich von Langzeitlagerung mitzuarbeiten.

Um eine Langzeitlagerung wie wir mit unserem TAB-Verfahren (Thermisch-Absorptive Begasung) zu erreichen, gilt es, das Bauteil sehr genau zu kennen. Eine pauschale Aussage für ein Bauteil ist nicht möglich. Es muss stattdessen sehr genau betrachtet werden. Wir schauen, welche Risiken für das Bauteil vorhanden sind und dokumentieren alles in einem umfangreichen Bericht für den Kunden. Das kann am Ende ein 60-Seiten-Untersuchungsbericht mit den unterschiedlichsten Analysen sein. Hierdurch wird zunächst der Anfangszustand erfasst, damit der Kunde genau weiß, wie das Bauteil aussieht.

Darauf basierend geben wir entsprechende Empfehlungen, wie es zu lagern ist und einen Zeitraum, von dem wir denken, dass das Bauteil ohne Probleme die Lagerung überdauern kann, ab. Hier machen wir konservative Angaben wie beispielsweise zehn bis 15 Jahre oder 15 bis 20 Jahre und führen zur Unterstützung regelmäßige jährliche Untersuchungen durch. So weiß der Kunde dann ganz genau, dass sich die Bauteile nicht verändern. Wenn sich dennoch etwas leicht verändert, wird es von uns dokumentiert und die Lagermethode eventuell angepasst.

Im Rahmen der Voruntersuchungen wird ebenfalls ganz genau spezifiziert, wie die Lagerbedingungen sind. Das heißt Temperatur, Feuchtigkeit, bestimmte Absorptionsmaterialien, spezielle Funktionsfolien und Gasgemische. Und dieses Rezept, das wir für die einzelne Lagerung individuell erstellen, wird durch eine Prozesskontrolle kontinuierlich überwacht.

Pauschal können natürlich bestimmte Punkte festgelegt werden. Es gibt bestimmte Prinzipien, die bei einer Lagerung vorgeben, was gut ist und was nicht gemacht werden sollte. Das sieht man auch in den Normen. Wir sind aber der Überzeugung, dass nicht alles nach Normen gemacht werden kann, sondern vieles im Detail geprüft werden muss. Oftmals wird nach bestimmten Bedingungen gelagert, da es „nicht schaden kann“. Aber wirklich untersucht ist es vom Anwender dann nicht. Wir als HTV haben in den letzten beiden Jahrzehnten viele Untersuchungen gemacht und permanent zum Thema Lagerung von den verschiedensten Bauteilen wie OLED-Modulen, Steckverbindern, Bedienteilen oder zu LCDs geforscht. Einfach nach einer Norm zu lagern, funktioniert hier nicht. Es ist nicht falsch, aber es werden keine Lagerzeiten von zehn, 15 oder 20 Jahren erreicht. Es gilt sich den Einzelfall anzuschauen und am Ball zu bleiben.

DKE: Es gibt durchaus Normen, die einfach nur ein Verfahren und den Ablauf und nicht automatisch die technische Lösung beschreiben. Solche Verfahrensnormen weisen darauf hin, dass eine entsprechende Bewertung des Bauteils gemacht und ein geeignetes Verfahren individuell gefunden werden muss. Es gibt beispielsweise eine Leitlinie für die Langzeitlagerung, die DIN EN 62435. Diese beschreibt mehr oder weniger, welche Gedanken notwendig sind, nennt aber keine technischen Verfahren. Wofür sich der Anwender entscheidet, muss er oder sie also für sich selbst herausfinden.

Krumme: Ja, das ist klar. Wir haben hier natürlich auch viele Normen zur Verfügung und sind natürlich daran interessiert, wenn es etwas Neues gibt.


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Wischtest, Ultraschall & Co. – Mit den richtigen Methoden gefälschte Bauteile erkennen

DKE: Das dritte Standbein, das es neben geplanter Obsoleszenz und Langzeitlagerung gibt, ist das Thema Testen und das Feststellen der Authentizität von Teilen. Hier wird auch von gefälschten Bauteilen gesprochen, in der Luftfahrt auch bekannt als „suspected unapproved parts“ oder „bogus parts“. Können Sie uns hierzu etwas sagen? Wie kommt es dazu und was ist das Risiko, wenn solche Teile eingesetzt werden?

Krumme: Wir stellen fest, dass es, gerade wenn Bauteile nicht verfügbar sind, ganze Gruppen in bestimmten Ländern gibt, die nur auf diese Allokationen warten. Sogenannte Bauteilfälscher schauen am Markt, was gefragt ist und wie die Nachfrage bedient werden kann und bieten dann zu sehr hohen Preisen Teile an. Gerade jetzt stellen wir fest, dass Bauteile, die zurzeit auf dem freien Markt verfügbar sind, zum Teil zu zehnfachen Preisen gehandelt werden. Ein Bauteil, das im Normalfall einen Euro kostet, kostet jetzt zehn, 15 oder manchmal sogar 100 Euro. Die Nachfrage nach manchen Bauteilen ist extrem und das ruft natürlich Bauteilfälscher auf den Markt.

Es gibt sicherlich bei den freien Elektronikhändlern viele aus der Region, aus Deutschland oder auch aus Europa, die seriös arbeiten. Auch die haben aber Quellen, bei denen nicht sicher ist, wo die Teile herkommen. Es besteht dann auch hier die Notwendigkeit, die Teile zu überprüfen – aus Eigeninitiative oder wenn es der Kunde fordert.

Es gibt am Markt verschiedene Strategien, um gefälschte Bauteile oder wie wir gerne sagen „manipulierte Teile“ zu erkennen – sie müssen schließlich nicht gefälscht, sondern können auch ausgelötet oder Ähnliches sein. „Unapproved parts“ ist daher auch ein wichtiger Begriff und bedeutet, dass nicht geprüft oder nicht sicher ist, wo Bauteile herkommen und wie ihr Lebenslauf gewesen ist.

Zum einen werden Bauteile refurbished. Das kann eine Lösung sein, wenn die Bauteile gut geprüft wurden, sicher funktionieren und die Datenblattparameter einhalten, auch wenn sie schon einmal in Betrieb gewesen sind. Dann gibt es aber auch die Situationen, in denen richtig gefälscht wird. Das heißt, es wird zum Beispiel die Bauteilbeschriftung geändert. Das stellen wir fest, indem wir bestimmte Tests machen. Es gibt beispielsweise den sogenannten Wischtest, bei dem mit verschiedensten Chemikalien geprüft wird, ob nachträglich eine andere Beschriftung aufgebracht wurde und diese somit gefälscht ist.

Was auch sehr interessant ist und was wir als zusätzliche Methode entwickelt haben, ist das Erkennen falscher Bauteilbeschriftungen mithilfe eines Ultraschallmikroskops. Ergänzend zu dem SAE-Standard AS 6081, nach dem wir unter anderem in unseren Laboren gefälschte elektronische Bauteile untersuchen, haben wir diese Ultraschallmikroskopie entwickelt. Wo der Wischtest oder andere Methoden versagen, erkennt der Ultraschall, ob schon eine Original-Laserbeschriftung vorhanden war. Man sieht die Konturen, die durch die Beschriftung entstehen. Diese Entdeckung war für uns sehr faszinierend. Auf die Weise ist man ein bisschen Kriminalinspektor.

Was für Kunden ein echtes Problem sein kann, ist, wenn gefälschte Bauteile ein ähnliches Verhalten wie das Originalteil haben. Sie haben dann eine gewisse Funktionalität, der Kunde setzt sie ein und sie funktionieren auch in der Schaltung. Unter bestimmten Grenzparametern wie erhöhter Umgebungstemperatur sind sie dann aber plötzlich nicht mehr funktionsfähig. Das sind die wirklich diffizilen Fälle.

DKE: Erläutern Sie doch kurz, was der SAE-Standard genau ist. Das dürfte auch für andere interessant sein.

Krumme: Der SAE-Standard AS 6081 ist ein amerikanischer Standard. Er war hier in Europa früher nicht so geläufig. In der letzten Zeit wurde er aber öfter von verschiedenen Unternehmen angefragt. Das ist ein sehr aufwändiger Test, der einige 1000 Euro kosten kann, weil gewisse Stückzahlen oder Losgrößen und Stichproben eingehalten werden müssen.

Wenn nicht nur ein Bauteil geöffnet werden muss, sondern zehn oder 20 – je nachdem, wie groß das Prüflos ist – dann wird es teuer. Die Untersuchung kann aber individuell angepasst werden. Man muss also nicht hundertprozentig nach dem Standard arbeiten, aber er kann als sinnvolle Grundlage dienen.

DKE: Das ist es: Die Anwendung der Normen ist grundsätzlich freiwillig. Erst wenn der Kunde es verlangt, werden sie für den Auftragnehmer verpflichtend.

Krumme: Genau. Wir sorgen immer dafür, dass es praxisgerecht ist. Es ist zwar möglich, vollständig nach dem Standard zu arbeiten, aber letztendlich ist das immer mit Kosten für den Kunden verbunden. Es ist beispielsweise sinnvoll, bei 1000 Bauteilen fünf Stück nicht vom Anfang oder vom Ende der Rolle, sondern zwischendrin herauszunehmen und zu untersuchen. Hier müsste es der Fälscher schon sehr genau treffen. Da hat der Kunde sicherlich schon eine gute Absicherung bei reduzierten Kosten.

Bei all diesen Untersuchungen ist die Erfahrung entscheidend, die wir bieten. Wir führen unter anderem Bauteilöffnungen, Lötbarkeitstests und visuelle Untersuchung durch. Erst mit der entsprechenden Erfahrung wird erkennbar, ob ein Bauteil gefälscht oder verdächtig ist.

Fälschungen stellen ein Sicherheitsrisiko da und sie nehmen zu

DKE: Können Fälschungen ein Sicherheitsrisiko sein, je nachdem, wo die Teile eingesetzt werden? Wenn ein Nutzer durch beispielsweise ein Handyladegerät, das zu einer Überspannung führt, einen Stromschlag bekommt oder sich ein Brand entfacht?

Krumme: Einen Stromschlag wird der Nutzer bei einem Handyladegerät wahrscheinlich nicht erhalten, aber ein Akku kann überladen. Und wenn ein Lithium-Akku überladen wird, dann ist das nicht lustig, sondern durchaus kritisch. Hiermit verbunden ist das Thema Schaltregler, die ja in solchen Ladegeräten verwendet werden. Im Moment testen wir viele unterschiedlichste Typen dieser Schaltregler und hierbei ist das Testen ist nicht so einfach, da es viele Möglichkeiten und Alternativen gibt, sie zu fälschen. Die verschiedenen Bauteile unterscheiden sich dann nur in wenigen Parametern und es ist schwierig eine Fälschung festzustellen. Hierfür benötigt man dann eine hohe Expertise.

DKE: Haben denn die Fälschungen gerade in den letzten zwölf Monaten zugenommen? Da der Preis durch Angebot und Nachfrage gestiegen ist, ist es sicherlich attraktiver geworden?

Krumme: Absolut, ganz deutlich. Und es wird auch wieder Ware aktiviert, die bisher irgendwo rumgelegen hat und sonst nicht mehr verwendet werden würde. Thema sind bei uns aktuell zum Beispiel Bauteile mit verbogenen Anschlußpins: Elektrisch in Ordnung, aber zum Teil deutlich mechanisch beschädigt oder oxidiert und damit nur nach entsprechender Behandlung wieder lötfähig.

Im Normalfall würde es sich nicht lohnen, die Bauteilanschlüsse solcher Teile wieder zu richten, weil diese Dienstleistung unter normalen Umständen viel mehr kostet als das Bauteil selbst. Wenn es das Bauteil am Markt aber aktuell nicht gibt, dann kann es 100 oder 1000 Euro wert sein. In solchen Fällen gilt es manchmal Wege zu gehen und auf Quellen zurückzugreifen, die in die Richtung verschrotteter oder ausgesonderter Bauteile gehen. Hier besteht dann allerdings die Notwendigkeit der Nacharbeit.

Die Corona-Pandemie ist ein Obsolseszenztreiber mit weitreichenden Folgen

DKE: Würden Sie sagen, dass die Corona-Pandemie Schuld an den vermehrten Fälschungen der vergangenen zwölf Monaten ist?

Krumme: Es gibt da sicherlich vielfältige Gründe. Ich glaube schon, dass die Pandemie etwas damit zu tun hat, ganz im Detail weiß ich es natürlich nicht. Aber wie man hört sind Engpässe auch auf Home Office und mobiles Arbeiten sowie elektronische Spiele, Unterhaltungsmedien und Ähnliches zurückzuführen. Die Corona-Zeit hat diesen Bereichen sicherlich auch einiges an Umsatz befördert. Die Leute sind nicht in den Urlaub gefahren und haben ihr Geld lieber in eine PlayStation, einen neuen Fernseher und Dinge des täglichen Lebens investiert. Das sehen wir auch bei den Lieferschwierigkeiten, die nicht nur im Elektronikbereich sind, sondern in allen Bereichen: Bausektor, Rohstoffe und sogar einfache Steine aus dem Steinbruch. Sogar die sind zum Teil nicht verfügbar. Da gehen die Preise innerhalb von ein, zwei Jahren um 100 Prozent in die Höhe.

Das alles hat meiner Ansicht nach schon etwas mit Corona zu tun, weil das Geld einfach anders ausgegeben wird. Und wenn die Produktionskapazitäten wie bei den Elektronikbauteilen begrenzt sind, kann nicht von heute auf morgen eine neue Wafer Fab hingestellt werden, um diesen Bedarf zu kompensieren. Das dauert Jahre bis zur Fertigstellung und kostet viele Milliarden Euro. Dann überlegen sich die Hersteller schon ganz genau, ob sie eine neue Wafer-Fab bauen oder ob sie nicht schon zu spät sind und hinterher Überkapazitäten hätten.

Ein weiteres Beispiel ist, dass einige Länder wie etwa China sehr strikt mit der Pandemie umgegangen sind. Sie haben einen radikalen Lockdown vollzogen, auch wenn es nur wenige Fälle gab. Das führt natürlich ebenfalls dazu, dass Produktionskapazitäten nicht ausgenutzt werden. In China gibt es außerdem das Problem, dass zum Teil elektrische Energie rationiert wird. Die Produktion kann dann aufgrund von Energiemangel nicht aufrechterhalten werden. Es gibt vielfältige Themen, die da zusammenspielen.

Lieferengpässe verhindern durch mehr Elektroschrott einen nachhaltigen Kreislauf

DKE: Es kann durch die Lieferengpässe passieren, dass Elektronikschrott wieder zurück in die Lieferketten gelangt. Wir kommen daher erneut auf das Thema Nachhaltigkeit und Obsoleszenz zurück. Die EU fordert seit 2005 mit der Öko-Design-Richtlinie eine Erhöhung von Energieeffizienz und Umweltverträglichkeit von energieverbrauchsrelevanten Haushalts- und Industriegeräten. Für einige Produktgruppen sind 2021 Durchführungsverordnungen angepasst und hinzugefügt worden, sodass diese in Zukunft ressourcenschonender, leichter reparierbar und die Versorgung mit Ersatzteilen langfristig gewährleistet werden. Wie zufrieden sind Sie mit den Anforderungen? Sehen Sie in diesem Bereich noch Handlungsbedarf?

Krumme: Ich kenne diese Richtlinie nicht im Detail, aber ich finde es absolut sinnvoll allein im Hinblick auf das Thema Nachhaltigkeit in diese Richtung zu arbeiten. HTV-Life sowie allgemeine Maßnahmen gegen geplante Obsoleszenz sorgen dafür, dass Geräte langfristig verfügbar und reparierbar sind und lange halten. Das ist selbstverständlich sehr sinnvoll für die Umwelt und unbedingt zu begrüßen.

Bei diesem Thema ist noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht und sicherlich ist auch noch einiger Widerstand von den Herstellern zu überwinden. Ich bin jedoch der Meinung, dass es der europäischen Wirtschaft eher helfen würde, Produkte von langer Lebensdauer zu haben. An Premiummarken wird das deutlich. Sie leben alle gut, auch mit Produkten, die langlebig sind.

Insgesamt gilt für die Unternehmen eher zu schauen, ihre Kraft in neue Produkte mit neuen Features zu investieren, damit sich die Firmen auf diese Art vom Wettbewerb – gerade dem fernöstlichen – abheben können. Bei diesem Nachhaltigkeitsthema geht es allerdings nicht nur um Elektronik, sondern letztendlich um alle Produkte.


Gruene Technologie Design
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Ökodesign-Richtlinie: mehr Ressourceneffizienz und ein Recht auf Reparatur

Das bunte Label mit den Energieeffizienzklassen für Elektrogeräte wird von Verbraucher*innen leicht verstanden. Seit 2005 sorgt eine EU-Rahmenrichtlinie, die vielen als Ökodesign-Richtlinie geläufig ist, systematisch für die Erhöhung von Energieeffizienz und Umweltverträglichkeit. Sie legt die Grundlage für zahlreiche Durchführungsverordnungen.

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Das Zusammenspiel von Normen, Richtlinien und Obsoleszenzmanagement fördert eine nachhaltige Wirtschaft

DKE: Unser Ziel ist es, das Thema Sustainable Development Goals, kurz SDGs, das auch auf internationaler Ebene von hoher Bedeutung ist, stärker voranzutreiben. Wie beurteilen Sie Oboleszenzmanagement im Kontext der Nachhaltigkeitsziele wie beispielsweise dem SDG 12, das sich auf nachhaltige Konsum- und Produktionsweisen fokussiert?

Krumme: Richtlinien, die vorgeben, wie ein Gerät zu fertigen und zu konfigurieren ist, sind ganz wichtig. Gerade im Hinblick auf die Reparierbarkeit. Ich glaube, wir als Europäer müssen hier auch durch entsprechende Normen unseren eigenen Weg gehen. Manche sehen unsere Normen negativ, weil sie alles blockieren würden. Ich finde Normen aber gerade gut, weil sie für uns eine gute Möglichkeit sind, Alleinstellungsmerkmale zu schaffen. Wir können uns auf diese Weise auf dem Markt abheben und uns von anderen Ländern wie China abgrenzen.


SDG 12

SDG 12

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SDG 12 – Verantwortungsvolle Konsum- und Produktionsweisen

Wie lassen sich die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen erreichen? Die DKE leistet direkt und indirekt, einen bedeutenden Beitrag, diese Ziele mit Normen und Standards, Fachleuten und Fachgremien, Positionspapieren, Roadmaps sowie Veranstaltungen und Seminaren zu erreichen.

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DKE: Haben Sie denn noch andere Punkte, die Sie in Bezug auf Obsoleszenz für relevant erachten? Sozusagen etwas aus dem Nähkästchen?

Krumme: Es gibt täglich neue Aspekte und es ist ein spannendes, möglicherweise aber auch ein sensibles und riskantes Thema für den Kunden, wenn er nichts hinsichtlich der Prüfung auf Originalität unternimmt. Ich glaube, es gibt viele, die Glück haben und mit einem blauen Auge davonkommen. Aber wenn wirklich mal gefälschte oder manipulierte Teile unerkannt eingesetzt wurden, ist der Schaden riesig. Die Kosten einer Testhaus-Untersuchung im Vorfeld wären im Verhältnis dann vernachlässigbar gewesen.

Dennoch sind viele nicht bereit, das Geld dafür auszugeben. Stattdessen soll hier und da einmal ein Ingenieur aus der Entwicklungsabteilung über die Ware schauen und dafür unterschreiben. Die Konsequenz ist glaube ich vielen noch nicht klar. Wie wir mitbekommen, wird viel Geld für Bauteile ausgegeben, aber die qualifizierte Untersuchung auf Originalität bleibt manchmal auf der Strecke.

DKE: Wir können als Fazit festhalten, dass Normen für Obsoleszenzmanagement von Nutzen sind. Es gibt zwar Stellen, an denen eigene Lösungen effizienter sind und eine individuelle Prüfung so wie Sie es in Ihrem Unternehmen tun durchgeführt werden muss. Normen geben aber relevante Leitlinien und Vorgaben. Diese gilt es lediglich auf spezielle Anwendungsfälle herunterzubrechen.

Krumme: So ist es. Der Anwender, der Verbraucher, der Kunde, der Industriekunde – viele werden neu mit dem Thema konfrontiert. Da sind Normen natürlich sehr wichtig. Letztlich muss auch nicht alles umgesetzt werden. Es ist möglich, sich selbst oder gemeinsam mit einem Partner, der Expertise hat, die passenden Aspekte rauszusuchen, die sinnvollerweise umgesetzt werden sollten.

DKE: Herr Krumme, vielen Dank für das Gespräch!

Wir bedanken uns für dieses Interview bei

Holger Krumme - Portrait

Holger Krumme

Managing Director Technical Operations, HTV Halbleiter-Test & Vertriebs-GmbH.

HTV ist das Hochleistungszentrum für elektronische Komponenten.

Tests und Prüfungen zur Analyse der Qualität und Authentizität von elektronischen Bauteilen, Langzeitkonservierung sowie Forschungprojekte und Seminare zählen unter anderem zu dem umfassenden Dienstleistungsportfolio des Unternehmens.

Holger Krumme - Portrait

Managing Director Technical Operations, HTV Halbleiter-Test & Vertriebs-GmbH.

HTV ist das Hochleistungszentrum für elektronische Komponenten.

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Dieser Artikel ist Teil unserer Interview-Reihe


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