Interview mit Thomas Timke zur Batterieverordnung

Interview mit Thomas Timke zur Batterieverordnung

| malp / stock.adobe.com & Yaruniv-Studio / stock.adobe.com
20.03.2023 Fachinformation

Experteninterview zur Batterieverordnung

Thomas Timke ist Normungsexperte und spricht im dritten Teil dieses Interviews mit uns über die Arbeiten auf europäischer Ebene, die Expertise der deutschen Batterieindustrie und die Vorteile einer aktiven Mitarbeit in der Normung für Unternehmen.

Kontakt
Dr. Kerstin Sann-Ferro
Zuständiges Gremium
Verwandte VDE Themen

Thomas Timke im Gespräch zur Batterieverordnung – Teil 3

DKE: Wir haben bereits über die Herausforderungen für die Industrie gesprochen. Was sind denn die wesentlichen Herausforderungen für die Normung, speziell für das Gremium DKE/K 371?

Timke: Die für das Gremium DKE/K 371 relevanten Normen, also alle Batterienormen mit Ausnahme derer für Elektrostraßenfahrzeuge, werden bei CENELEC in den Working Groups von CLC/TC 21X geschrieben. Dort ist aber bisher nur die Working Group 5 aktiv, „Light means of transport“, weil die Normen zu Batterien vereinbarungsgemäß bisher überwiegend bei der IEC erstellt wurden.

Alle anderen CENELEC-Working-Groups unter TC 21X werden gerade aktiv oder müssen noch gegründet werden – je nach Thema. Wir führen momentan auch viele persönliche Gespräche, um die Arbeitsgruppen zu besetzen, würden uns aber auch freuen, wenn wir mehr positive Rückmeldungen auf unsere Call for Experts erhalten.

Im Gremium DKE/K 371 ist die Aufteilung wie folgt:

  • DKE/K 371 für die Querschnittsthemen wie Batterieverordnung, Definitionen, Kennzeichnung und Batteriepass
  • DKE/UK 371.1 für alle Lithium-Ionen-Batterien
  • DKE/UK 371.2 für alle anderen Batteriechemien
  • DKE/K 372 für alle Primärzellen und-batterien

In diesem Gespann werden wir die Inhalte so gut wie möglich vorbereiten. Auf europäischer Ebene in den Working Groups von CLC/TC 21X werden diese Inhalte dann argumentiert, angepasst, korrigiert und kommentiert. Aktuell haben wir noch das Problem, dass wir für die vielen zu erstellenden Normen nicht genügend aktive Expertinnen und Experten haben, die sich nicht nur in ihrem Bereich auskennen, sondern die den gesamten Prozess der Inverkehrbringung von Batterien verstehen.

Unvorteilhaft ist es außerdem, wenn Länder, die über keine nennenswerte Batterieindustrie verfügen, „Fachleute“ senden, die mangels praktischer Erfahrung einem produktiven Prozess im Weg stehen. Und wenn uns das auf CENELEC-Ebene passiert, haben wir nicht nur die Arbeit, die tatsächlich zu erledigen ist, sondern auch noch Diskussionen über eigentlich längst geklärte Themen. Vor allem im Normungsumfeld, in dem es wirklich um etwas geht und daher qualifiziertes, validiertes Wissen benötigt wird, sollten wir solche Punkte nicht mehr im nennenswerten Umfang besprechen müssen.

In den letzten Jahren waren Sicherheit und Performance die Themen für die Gremien. Entsprechend sind diese besetzt. Für neue Themen, wie Life-Cycle-Assesment und Reparatur, werden zusätzliche Expertinnen und Experten benötigt – als feste Besetzung oder punktuell, weil das eigenständige Fachgebiete sind, bei denen die Anwendung auf Batterien bearbeitet werden muss.

Ähnlich lief es vor Jahren bei der funktionalen Sicherheit, bei der die Anwendung auf Lithium-Ionen-Batterien: FuSi-Fachleute kamen mit Expertinnen und Experten für Batterien zusammen. Es gab Förderprojekte und die Ergebnisse wurden beispielsweise in der Anwendungsregel VDE-AR-E 2510-50 (Stationäre Energiespeichersysteme mit Lithium-Batterien) technologiespezifisch eingearbeitet. Ähnlich sollte es bei den neuen Batteriethemen auch laufen.


Batterie Energiespeicher
frank peters / Fotolia

Normungsgremium DKE/K 371 Akkumulatoren

Aufgabenbereich des DKE/K 371 ist die Erarbeitung von Normen für die Sicherheitsanforderungen von wieder aufladbaren (sekundären) Batterien, Batteriezellen und Batteriesystemen beteiligt.

Zudem ist das Komitee für Produktnormen aller Anwendungsbereiche zuständig, wie beispielsweise stationäre Speicher, Starterbatterien, Traktionsbatterien, Flugzeugbatterien, aber auch für Batterien in Elektrostraßenfahrzeugen, Pedelecs und portablen Anwendungen.

Zum Normungsgremium DKE/K 371

Auf europäischer Ebene brauchen wir mehr aktive Mitarbeit von anderen EU-Ländern 

DKE: Das klingt, als würde die Arbeit auf CENELEC-Ebene in erster Linie durch Expertinnen und Experten aus Deutschland getrieben werden. Woran liegt das?

Timke: Das ist tatsächlich so, speziell bei Lithium-Ionen-Batterien. Wir haben noch einige französische Fachleute, mit denen wir gerne arbeiten, sehr vereinzelt auch aus anderen Ländern. Aber aus den meisten anderen EU-Ländern war bislang für Batterien im Scope von CLC/TC 21X, also Industrie-, Portable und LMT-Batterien, kaum relevante Mitarbeit zu erkennen. Bei der Kommentierung von Normentwürfen, einer wichtigen Phase vor deren Fertigstellung, sieht das etwas besser aus. Vor allem die skandinavischen Länder kommentierten Normentwürfe im Vergleich bisher etwas aktiver.

Nach dem, was ich von Gremienkolleg*innen höre, scheint die Arbeitslast bei Bleibatterien besser verteilt zu sein. Am Ende ist es in den Working Groups aber auch wichtig, dass jemand da ist, der Texte schreibt und sich die Fachleute untereinander abstimmen. Und die wenigen Expertinnen und Experten verteilen sich aktuell auf die unterschiedlichen Batterie-Chemien wie Lithium-Ionen und Blei oder Anwendungen wie stationäre Speicher, tragbare Batterien und Traktion.

In der Normung lernen wir durch den gemeinsamen Austausch voneinander und miteinander

DKE: Gibt es einen Zusammenhang zwischen Kompetenz und Aktivität? Ist Deutschland so stark bei Batterien?

Timke: Ja, die fachliche Kompetenz ist hierzulande sehr stark ausgeprägt, weil Deutschland unter allen EU-Mitgliedsstaaten die größte Batterieindustrie und auch einen engagierten Mittelstand hat. Umso erstaunlicher finde ich es, dass Expertinnen und Experten aus dem K371-Bereich – trotz nachgewiesener Erfolge über viele Jahre, z. B. in Form veröffentlichter Normen und maßgeblicher Mitarbeit in den internationalen IEC-Gremien – nicht hinreichend bei der Erarbeitung der Batterieverordnung eingebunden wurden. Ich hätte mir dieses riesige Potential bei der Erstellung der Entwürfe zur Batterieverordnung nicht entgehen lassen.

Das heißt nicht, dass es in anderen Ländern keine Batterieindustrie und Expertise gibt. Aus Polen könnte beispielsweise auch mehr Input für die Working Groups kommen, weil es dort einige etablierte Unternehmen mit passendem Know-how gibt. Frankreich ist bereits aktiv. In anderen Ländern sind im Vergleich deutlich weniger Batteriehersteller angesiedelt – aber abstimmen tun diese Länder dennoch, leider oft auch mit „Ja“, bei Dokumenten, die abgelehnt werden sollten. Aber das ist eine Folge der Regeln, weil man nur eine Ablehnung begründen muss und dafür dann auch die Expertise bräuchte. Sowas wirft uns in der Batterie-Normung immer mal wieder ein Stück zurück oder unterminiert die gut geschriebenen Normen. Ich sage das einmal deutlich: Was wir in der Normung nicht brauchen, sind Zaungäste, also Leute, die in Gremien nur zuhören aber nicht aktiv werden.

Zuhören ist zu Beginn vollkommen in Ordnung, wenn man neu dabei ist, sich anfangs orientiert und die Prozesse kennenlernt. Es ist aber nicht in Ordnung, wenn jemand etwas beitragen könnte und das dennoch nicht macht. Nicht nur, dass damit Beiträge fehlen, es frustriert zum Teil auch die langjährigen Aktiven und ist insbesondere ihnen gegenüber nicht fair.

Es kommt auch vor, dass jemand bestimmte Normen im Detail inklusive der begleitenden Diskussionen kennenlernen möchte und glaubt, dies in der Normung geboten zu bekommen. Das ist aber nicht die primäre Aufgabe der Gremien und Working Groups. Natürlich lernen wir alle miteinander und voneinander durch den Austausch. Aber eine Art „Beratungsleistung“ bucht man besser bei einem Prüfinstitut, mit dem man dann auch die spezifischen Aspekte des eigenen Produkts bei Anwendung der jeweiligen Normen besprechen kann. Das ist aus meiner Sicht eine der besten Methoden für solche Fälle.


DKE Innovation Campus 2023

Diskussionsrunde

| Milton Arias

DKE Innovation Campus 2023 – Speichertechnologien

Speichertechnologien haben für die Elektrifizierung von Gebäuden, Industrie, Verkehr und Gesellschaft eine große Bedeutung. Und genau deshalb standen die verschiedenen Energiespeichertechnologien im Mittelpunkt der Veranstaltung. #Zuhören, #Mitreden, #Mitgestalten und #Respekt – das Credo nicht für diesen einen Tag. Für die Normung. Für uns als Gesellschaft. Für die Vision der All Electric Society.

Mehr erfahren

Wir müssen die starke Expertise der deutschen Batterieindustrie in die Normung bringen

DKE: Von Ihnen kommt also der Aufruf an alle Batterie-Fachleute in Deutschland, ihre Expertise in die Normung einzubringen?

Timke: Absolut! Neue Gesichter sind überaus willkommen. Es ist auch kein Problem, wenn man noch nicht viel über Normung weiß oder die Prozesse kennt. Für uns ist es wichtig, neue Expertinnen und Experten zu gewinnen, die bewährtes Wissen und Erfahrung einbringen möchten, und natürlich auch die Vorteile verstehen, die ihre Organisation und sie selbst davon haben. Man versteht Normen deutlich besser, wenn man daran mitgewirkt hat. Und früh zu wissen, was an neuen und geänderten Normen kommt, hat große Vorteile.

Es gibt Workshops, um sich einzuarbeiten. Wir stehen mit Rat und Tat zur Seite, helfen jederzeit und bringen Geduld mit – von niemandem wird erwartet, von Anfang an den vollen Durchblick in der Normung zu haben. Und niemand muss erst alle Unterlagen durchgelesen haben, bevor die Mitarbeit aktiv beginnen kann.

Wir brauchen Menschen, die aus der Praxis kommen, und wissen, wie das Inverkehrbringen läuft, wie Sicherheitstests funktionieren, wie Batterien konstruiert werden und wie die jeweilige Batteriechemie zu berücksichtigen ist. Kommt man in der nationalen Normung gut zurecht, ist man auch für die europäische bzw. internationale Ebene bei CENELEC und IEC geeignet. Die Arbeit läuft dort zwar etwas anders und es stehen unter Umständen auch mehr Reisen an, aber auch das lohnt sich.

Es wäre super, wenn wir die Menge an Fachleuten hätten, die angemessen ist zur Größe der deutschen Batterieindustrie – momentan haben wir da ein starkes Missverhältnis. Die Expertise ist vorhanden, wir müssen sie nur noch in die Normung bringen.


Werden Sie Normungsexperte
kasto / stock.adobe.com

Mitgestalten und mitentscheiden

Verfügen Sie über eine technische Expertise und möchten Sie diese einbringen, um die elektrische Sicherheit und Interoperabilität auf Ihrem Fachgebiet weiter voranzubringen und Innovationen zu fördern? Ausgezeichnet, wir freuen uns auf Sie und Ihr Engagement in der Normung!

Ich möchte Normung aktiv mitgestalten

Unternehmen können durch Mitarbeit in der Normung grundlegende und teure Fehler vermeiden

DKE: An dieser Stelle können wir die Brücke zum Anfang unseres Gesprächs schlagen: Die Erkenntnisse aus der Normung können direkt und frühzeitig in die Produktenwicklung des eigenen Unternehmens einfließen.

Timke: Vollkommen richtig – und diesen Wert an Informationen sollten Unternehmen in keinem Fall unterschätzen. Auch ist es bei der Anwendung von Normen hilfreich, an deren Erstellung mitgewirkt zu haben und das im eigenen Unternehmen vermitteln zu können. Ein auch nicht zu unterschätzender Aspekt ist, dass möglichst alle Topologien und Fälle abgedeckt werden sollten. Das geht am besten, wenn alle eingebracht werden.

Ich habe in den letzten Jahren viele Fälle mitbekommen, bei denen detailliertes Wissen über Normen und Normung geholfen hat, grundlegende und damit teure Fehler zu vermeiden und letztendliche gute Wege zu finden.

DKE: Herzlichen Dank für das Gespräch!

Hat Ihnen der dritte Teil dieses Interviews gefallen?

Wir bedanken uns für dieses Interview bei

Portraitfoto Thomas Timke

Thomas Timke

Senior Battery Expert, Solarwatt GmbH

Experte in den Normungsgremien DKE/K 371 und DKE/UK 371.1

Portraitfoto Thomas Timke

Senior Battery Expert, Solarwatt GmbH

Experte in den Normungsgremien DKE/K 371 und DKE/UK 371.1

Weitere Aktivitäten:

  • Experte in den Normungsgremien IEC/TC 21/WG 8, IEC/TC 21/SC 21A/WG 5 und IEC/TC 21/SC 21A/WG 6
  • Experte in den Normungsgremien CLC/TC 21X und den Working Groups darunter

Interessiert an weiteren Inhalten zu Components & Technologies?

Fokusbild Components & Technologies

Components & Technologies konzentriert sich auf Bauteile, Komponenten und Materialien, die in unterschiedlichsten Endprodukten verbaut werden und dort zur Anwendung kommen. Qualität und Eigenschaften der fertigen Produkte werden durch die eingesetzten Komponenten und Materialien entscheidend beeinflusst. Weitere Inhalte zu diesem Fachgebiet finden Sie im

DKE Arbeitsfeld Components & Technologies

Relevante News und Hinweise zu Normen