- Der Bedarf an erneuerbaren Energien
- Die Herausforderungen liegen in den Netzen
- Energiespeicher und Smart Grids als Lösungen
- Normungsarbeit ist essenziell für die Umsetzung
Sind die Netze bereit für die All Electric und Connected Society?
Der weltweite Strombedarf wird infolge des Umstiegs auf Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen für private Haushalte sowie des umfassenden digitalen Wandels der Gesellschaft rasant steigen. Im Zuge ihrer Industrialisierung und der Erleichterung des Zugangs zu Energie für ihre Bevölkerung werden Schwellenländer voraussichtlich ebenfalls einen zunehmenden Strombedarf haben.
Diese breite Umstellung auf Strom wird die weltweiten Treibhausgasemissionen aller Voraussicht nach deutlich reduzieren und zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen, doch die Sorge wächst, dass die Stromnetze nicht in der Lage sind, dem steigenden Bedarf gerecht zu werden.
Die Alarmglocken läuten
Die Internationale Energieagentur (IEA) läutet in einem von ihr im Jahr 2023 veröffentlichten Bericht die Alarmglocken. Dem Bericht zufolge müssen weltweit ca. 80 Millionen km Hochspannungsleitungen bis 2040 neu gebaut bzw. ersetzt werden. Das entspricht sämtlichen heute weltweit vorhandenen Stromnetzen, um nationale Klimaziele zu erfüllen und die Energiesicherheit zu gewährleisten. Der Bericht nennt eine lange und wachsende Liste an Projekten zu erneuerbaren Energien, die darauf warten, grünes Licht für den Anschluss an das Netz zu bekommen. Bei den Projekten, die sich in einem fortgeschrittenen Entwicklungsstadium befinden, geht es um eine Leistung von 1.500 Gigawatt (GW). Das ist fünfmal mehr als die Menge an Solar-Photovoltaik- und Windkapazität, die 2022 weltweit hinzukam.
Fatih Birol, Executive Director der IEA, erklärt: „Die Fortschritte im Hinblick auf saubere Energie, die wir in den letzten Jahren in vielen Ländern gesehen haben, sind beeindruckend und stimmen optimistisch, aber sie könnten gefährdet werden, wenn Regierungen und Wirtschaft sich nicht zusammentun, um sicherzustellen, dass die weltweiten Stromnetze für die neue globale Energiewirtschaft, die sich rapide entwickelt, gerüstet sind. Der Bericht zeigt, was auf dem Spiel steht und was zu tun ist. Wenn wir heute nicht in die Netze investieren, werden wir morgen ein großes Problem haben.“
Auch das Weltwirtschaftsforum drängt die Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik zum Handeln. In einem vor kurzem veröffentlichten Artikel von Matthias Rebellius, Mitglied des Vorstands des Weltwirtschaftsforums und Experte im Bereich Smart Infrastructure, der bei einem der größten europäischen Hersteller von elektrischen und elektronischen Geräten tätig ist, schreibt dieser: „Die Erzeugung sauberer Energie ist wichtig, aber auch die Digitalisierung und der Ausbau der Stromnetze sind unerlässlich für den ökologischen Wandel. Nur mit intelligenteren, digitalisierten und weiter ausgebauten Stromnetzen können wir ein dekarbonisiertes, widerstandsfähiges und sicheres Stromnetz für eine Zukunft ohne CO2-Emissionen errichten.“
Er weist darauf hin, dass die Erhöhung der Menge des erzeugten Stroms zur Befriedigung des wachsenden Bedarfs nicht das Problem sei, sondern dass das Hauptproblem darin bestehe, dass das Netz in der Lage sein müsse, mit einer größeren Menge an Strom umzugehen. „Schwache Netzinfrastrukturen, Altlasten und ein veraltetes System können den ökologischen Wandel bremsen, ungeachtet der neuesten schwimmenden Windanlagen oder riesigen Solaranlagen“, erklärt er.
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Aufzeigen von Lösungen
Netze sind das schwache Glied beim Energiewandel. Rebellius verweist auf mehrere technologische Lösungen, die dazu beitragen könnten, diese Schwachstelle zu beheben, wie beispielsweise digitale Zwillinge oder die Nutzung von Niederspannungsnetzen.
Weitere Optionen sind der massive Ausbau der Energiespeicherkapazitäten und der zunehmende Einsatz intelligenter Netztechnologien auf globaler Ebene. Das von der IEC herausgegebene elektrotechnische Wörterbuch (en: International Electrotechnical Vocabulary; IEV) definiert Smart Grid als ein intelligentes Elektrizitätsversorgungssystem, das den Austausch von Informationen, Steuer- und Regeltechnik, verteiltes Rechnen sowie zugehörige Sensoren und Stellglieder nutzt, um das Verhalten und die Aktionen der Nutzer des Versorgungsnetzes und anderer Akteure zu berücksichtigen und eine nachhaltige, wirtschaftliche und sichere Elektrizitätsversorgung effizient sicherzustellen.
Im Vergleich zum Ausbau bzw. der Umrüstung alter Stromnetze, was hohe Investitionen erfordern würde, wird der Einsatz von Smart-Grid-Technologien von vielen Fachleuten als die kostengünstigere Lösung für Energieversorgungsunternehmen gesehen.
Mehr Energiespeicher sind eine wichtige Voraussetzung
Wenn der Strombedarf hoch ist, muss zusätzliche elektrische Kapazität unverzüglich zur Verfügung stehen, damit es nicht zu einem Netzausfall kommt. Eine Möglichkeit zur Sicherstellung eines kontinuierlichen und ausreichenden Zugangs zu Strom ist, Energie zu speichern, wenn mehr erzeugt als verbraucht wird, und sie ins Netz einzuspeisen, wenn es einen erhöhten Strombedarf gibt. Energieversorgungsunternehmen weltweit haben ihre Speicherkapazitäten durch die Nutzung von riesigen Lithium-Ionen-Batterien, riesigen Batterieblöcken, die 100 bis 800 Megawatt (MW) Energie speichern können, deutlich erhöht. Mit einer Gesamtkapazität von 750 MW ist die in Kalifornien ansässige Energiespeicheranlage Moss Landing Berichten zufolge die weltweit größte Anlage dieser Art. Es wird erwartet, dass es im Zuge des rasant steigenden Strombedarfs mehr dieser riesigen Batteriespeicheranlagen geben wird.
Pumpspeicherkraftwerke, die aktuell mehr als 90 Prozent der weltweiten Energiespeicher mit hoher Speicherkapazität ausmachen, sind eine weitere zuverlässige Energiespeicherlösung. In Zeiten geringen Energiebedarfs wird Strom genutzt, um Wasser in höher gelegene Wasserreservoirs zu leiten. Wenn die Nachfrage sehr hoch ist, wird das Wasser durch tiefer gelegene Turbinen geleitet und wieder zurück in Strom umgewandelt. Pumpspeicher ermöglichen es, Spannungsniveaus zu steuern und die Stromqualität im Netz aufrechtzuerhalten.
Eine weitere Option, die viel diskutiert wird, ist die Nutzung von Elektrofahrzeugen als Energiequelle, um das Netz mit Strom zu versorgen. Frances Cleveland, Leiterin des Bereichs Leitlinien zu Cybersecurity und Resilienz im Systemkomitee Smart Energy (IEC SyC Smart Energy) erklärt: „Es gibt viele Forschungs- und Pilotprojekte weltweit, die eine Form von bidirektionalem Energiefluss (Laden und Entladen) entweder in Form von Vehicle-to-Grid (V2G), d. h. Elektrofahrzeuge als mobile Stromspeicher für das öffentliche Netz, oder in Form von Vehicle-to-Home (V2H), d. h. Anbindung des Elektrofahrzeugs an das Hausnetz, nutzen. Elektrofahrzeuge sind dabei in der Lage, Strom an das Hauptnetz zu verkaufen und sogar das Energiemanagement von Mikronetzen zu unterstützen. Die Idee hinter diesen Projekten ist, eine Möglichkeit zu schaffen, um Energie aus verschiedenen erneuerbaren Energiequellen, wie Solar- und Windenergie, in Elektrofahrzeugen zu speichern, um diese zu einem späteren Zeitpunkt zu nutzen. Das impliziert, dass Elektrofahrzeuge als eine Art dezentrale Energiequelle (en: distributed energy resource, DER) betrachtet werden.“
Elektrofahrzeuge können aufgeladen werden, wenn die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen wie Wind oder Sonne hoch ist oder wenn der Strombedarf gering ist, zum Beispiel wenn die Menschen schlafen. Wenn der Bedarf hoch ist oder weniger Energie durch Wind oder Sonne erzeugt wird, kann die in den Batterien von Elektrofahrzeugen gespeicherte Energie genutzt werden.
Die wichtigsten Speichertechnologien für die All Electric Society
Energiespeicher gleichen die höchst volatile Produktion der Erneuerbaren Energien zum Teil aus. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag zur lokalen Versorgungssicherheit, Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit von Strom und Wärme – und sind deshalb auch entscheidend für die Vision der All Electric Society.
Aktueller Stand bezüglich Smart Grids
Ein von der IEA veröffentlichter Bericht, in dem die Fortschritte im Hinblick auf Smart Grids weltweit dargestellt werden, zeigt, dass in vielen Ländern weltweit hohe Investitionen in Smart-Grid-Technologien gemacht wurden, auch wenn noch viel mehr getan werden muss. Es werden verschiedene Beispiele genannt, darunter der EU-Aktionsplan für die Digitalisierung des Energiesystems. Die Europäische Kommission geht davon aus, dass 584 Mrd. EUR (633 Mrd. USD) bis 2030 in das europäische Stromnetz investiert werden, wovon 170 Mrd. EUR (184 Mrd. USD) in die Digitalisierung (Smart Meter, automatisiertes Netzmanagement, digitale Messtechnologien und Verbesserung des Betriebs) investiert werden.
Eine weitere Informationsquelle zum Rollout der Smart-Grid-Technologie ist der Smart Grid Index, der von einem führenden Energieversorgungsunternehmen aus dem asiatisch-pazifischen Raum bereitgestellt und von vielen Fachleuten genutzt wird. Peter Jensen, Vorsitzender des technischen Komitees IEC/TC 13, das Normen für Smart Meter erarbeitet, erklärt: „Der Index gibt Aufschluss darüber, wie weit Netzbetreiber in verschiedenen Regionen der Welt mit dem Ausbau der Stromnetze sind. Er misst die Netzmodernisierungsbemühungen anhand von sieben Dimensionen“ (mehr zu IEC TC 13 finden Sie im Interview mit Peter Jensen in e-tech).
IEC-Normen leisten wichtigen Beitrag
IEC-Normen tragen dazu bei, dass Energiespeichersysteme mit dem Netz verbunden werden können und interoperabel sind. Außerdem ebnen sie den Weg dafür, dass Smart-Grid-Technologien sicher und effizient genutzt werden können. Das technische Komitee IEC/TC 4, das Normen für Wasserturbinen erarbeitet, hat die Norm IEC 60193 veröffentlicht, die Anforderungen an Pumpspeicherkraftwerke festlegt.
IEC/TC 120 wurde eingerichtet, um Normen zu ins Netz integrierten elektrischen Energiespeichersystemen (EES) zu veröffentlichen, die die Netzanforderungen unterstützen sollen. IEC/TC 69 erstellt Normen zu Strom-/Energieübertragungssystemen für elektrisch angetriebene Straßenfahrzeuge, die ihren Strom aus einem wiederaufladbaren Energiespeichersystem beziehen. IEC/TC 57 ist das IEC-Komitee, das grundlegende Normen für das Smart Grid erarbeitet, insbesondere die Normenreihe IEC 61850. Sie befassen sich mit der Automatisierung von Unterwerken, Informationsaustausch in beide Richtungen, globale Steuerungsfunktionen, Integration erneuerbarer Energien und Cybersecurity, um nur ein paar Beispiele zu nennen. IEC/TC 13 erstellt wesentliche Normen im Bereich der Messung und Steuerung elektrischer Energie und für Smart-Meter-Geräte und -Systeme, die Bestandteil von Smart Grids sind.
Ein Subkomitee von IEC/TC 8 erarbeitet Normen zur Integration von erneuerbaren Energiesystemen ins Netz. IECRE, eines der vier IEC-Konformitätsbewertungssysteme, ist ein international anerkanntes Konformitätsbewertungssystem für alle Kraftwerke, die Energie aus Solar-PV-, Wind- und verschiedenen Formen der Meeresenergie erzeugen, speichern oder umwandeln.
Das Systemkomitee IEC SyC Smart Energy trägt dazu bei, die verschiedenen Anstrengungen der einzelnen technischen Komitees der IEC zu koordinieren. So arbeitet es beispielsweise an einem Dokument, IEC 63460, das die Architektur und Anwendungsfälle für Elektrofahrzeuge beschreibt, die dem Netz Energie zur Verfügung stellen. Der Großteil der Norm beschäftigt sich mit der Identifizierung realistischer Lade- und Entladekonfigurationen für Elektrofahrzeuge und der Kommunikation und Steuerung zwischen den verschiedenen Akteuren, Netzanlagenbetreibern, Aggregatoren, Gebäudeenergiemanagement und Ladesystemen für Elektrofahrzeuge. Die Ergebnisse des Dokuments sollen anderen Technischen Komitees der IEC helfen, bei der Entwicklung ihrer eigenen Normen die Fähigkeiten von Elektrofahrzeugen im Hinblick auf die Einspeisung von Energie in die Netze zu berücksichtigen.
Die Hoffnung ist, dass rechtzeitig genug getan wird, um sicherzustellen, dass das Licht an bleibt, während wir uns zu einer All Electric und Connected Society entwickeln. Sicher ist jedenfalls, dass die Normen und Konformitätsbewertung der IEC eine zunehmend wichtige Rolle dabei spielen werden, dass wir dieses Ziel erreichen.
Redaktioneller Hinweis:
Der englischsprachige Originalartikel von Catherine Bischofberger erschien erstmals auf etech.iec.ch in der Ausgabe 03/2024 unter:
https://etech.iec.ch/issue/2024-03/are-grids-ready-for-the-all-electric-and-connected-society
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