Fishbowl-Diskussion moderiert durch Andrea Thilo
Sieben Stühle, einer bleibt frei. Personen aus dem Publikum können auf die Bühne treten und ihr Statement abgeben. Ein stetiger Wechsel von Expert*innen, die an diesem Nachmittag zu einer lebendigen Diskussion geführt haben.
Andrea Thilo: Wie stehen Sie zur Vision von Karl-Heinz Land?
Sebastian Kriegsmann (DIN): Ich finde Karl-Heinz' Vision inspirierend und stimme vielem zu, aber nicht allem. Die größte Herausforderung liegt in den Menschen und Organisationen, die wir befähigen müssen mitzugehen. Digitalisierung ist zu 50 Prozent Mindset, 25 Prozent Skills und 25 Prozent Tools. Wir sind noch nicht so weit, dass jede Organisation ihr eigenes System aufbauen kann.
Andrea Thilo: Wie sehen Sie die Zukunft der Normung und welche Bedeutung hat dabei die KI?
Jens Gayko (DKE): KI könnte als Werkzeug zu mehr Wohlstand und Wertschöpfung führen und die tägliche Normungsarbeit unterstützen. Die Rolle der Normung steht vor Veränderungen. Mit KI könnte Schnelligkeit eingebracht werden, wobei die Normung weiterhin für Stabilität sorgt, etwa bei Daten und Schnittstellen. Dies könnte Europas Position in der internationalen Normung stärken. Ein kritisches Problem ist der drohende Wissensverlust. Expert*innen mit jahrelanger Erfahrung gehen in Rente, und ihr Wissen verschwindet oft mit ihnen. Die Digitalisierung schreitet voran, aber zu langsam und zu wenig kollaborativ. Es braucht eine hundertfache Steigerung in beiden Bereichen. Gleichzeitig fehlt es an Nachwuchs in der Branche.
Carolin Anderson (acatech): Mit unserer Mission KI verfolgen wir das Ziel, Tempo für „KI Made in Germany“ zu machen und Deutschlands digitale Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Wir entwickeln freiwillige KI-Qualitäts- und Prüfstandards, die wir direkt in der Praxis erproben wollen. Es ist wichtig, schnell in die Umsetzung zu kommen, statt lange über theoretische Grundlagen zu diskutieren. Unser Ansatz ist es, möglichst schnell ins „Doing“ zu kommen.
Dr. Ralf Bohrer (Siemens AG): Ein wesentlicher Aspekt für mich ist die Frage der Entscheidungshoheit: Wer behält die Kontrolle und trifft die endgültigen Entscheidungen? Meiner Meinung nach sollten wir vorsichtig sein, diese Kontrolle vollständig an ein System abzugeben, dessen Funktionsweise wir möglicherweise nicht mehr vollständig überblicken können. Ich sehe die Zukunft so, dass letztendlich immer noch wir Menschen diejenigen sind, die die Umsetzung bestimmen. Daran müssen wir in Unternehmen, in der Gesellschaft und auch in der Normung arbeiten. Bei den SMART Standards geht es darum, vorhandene Inhalte zu digitalisieren und für die KI-basierte Wissensgenerierung nutzbar zu machen.
Andrea Thilo: Was muss sich in der Normung ändern?
Andreas Dörflinger (ZVEI): Wir müssen das Problem der Medienbrüche angehen. Viele Systeme können nicht miteinander kommunizieren, weil wir keine einheitliche Schnittstelle haben. Statt eine gemeinsame Sprache zu entwickeln, bauen wir lieber Gateways. Als Vertreter des Zentralverbands des Elektrohandwerks finde ich es schwierig, Ergebnisse von Konfiguratoren medienbruchfrei in die Prozesse eines Handwerkers zu integrieren. Zum Thema Smart Metering: Deutschland hinkt im europäischen Vergleich hinterher. Wie können wir da schneller werden? Das hängt von vielen Faktoren ab, wie Dienstleistungen, Produktion, Rollout, Transport und Installation. Ich sehe Digitalisierung als Mannschaftssport.
Carsten Knoll (TU Dresden): Wir müssen das heterogene Wissen im Ingenieurbereich maschinenverarbeitbar machen. Die Lösung für viele Probleme steht in PDFs, die niemand liest. Wir müssen ehrlich über Interessen und Ziele sprechen. Für eine gute Digitalisierung müssen wir offen über die Risiken sprechen. Wir haben bei Cambridge Analytica gesehen, welches Schindluder getrieben werden kann – und das war noch vor der KI-Revolution. Die exponentielle Kurve des Energieverbrauchs ist kritisch zu sehen. Wenn wir diese Entwicklung 50 Jahre in die Zukunft denken, hat das dramatische Auswirkungen auf die planetaren Grenzen. Exponentielles Wachstum ist der Prototyp von Instabilität und inkompatibel mit Nachhaltigkeit. Diese Ehrlichkeit müssen wir anerkennen. Wir müssen schauen, wie wir innerhalb der planetaren Grenzen ein gutes Leben für möglichst alle Menschen erreichen können.
Andrea Thilo: Wie können wir schneller werden?
Jürgen Geisel (Hitachi Energy): Wir müssen offensiv über Digitalisierung reden. In Deutschland wird nicht alles digitalisiert, was digitalisiert werden kann. Wir sollten eine Digitalisierungspriorität einführen: Jeder neue Prozess sollte grundsätzlich digitalisiert werden, außer es gibt harte Gegenargumente. Unser soziales Problem ist, dass wir oft die Langsamsten schützen und die Schnellen ausbremsen. Das sehen wir beispielsweise im Bildungsbereich während der Pandemie. Solange wir diese Mentalität beibehalten, werden wir nicht schneller. Wir haben kein Geldproblem in Deutschland, sondern ein Kulturproblem.
Rudolf Brandner (DKE): Was uns in Deutschland fehlt, ist vor allem eines: Geld. Schauen wir auf die Chinesen – sie sind so erfolgreich, weil sie einfach eine Menge Geld in die Entwicklung stecken. Bei uns in Deutschland, besonders in der IT-Branche, sind wir budgetgebunden. Wir können nicht beliebig Sandkästen bauen und experimentieren. Das ist unser Hauptproblem. Wir brauchen dringend mehr Unterstützung, nicht nur von der Industrie, sondern auch von der Regierung. KI ist eine disruptive Technologie, vergleichbar mit der Dampfmaschine. Sie erfordert ein Umdenken in der Art, wie wir Probleme angehen.
Damian Czarny (DKE): Bei IDIS (Initiative Digitale Standards) untersuchen wir, in welche Systeme wir das einbringen können und wie Applikationen aussehen, die solche Daten verarbeiten. Diese Entwicklungen fließen bereits in erste Produkte ein, wodurch wir der Zukunft einen Schritt näherkommen. Das Thema Collaborative KI ist für uns besonders wichtig. Bei der Digitalisierung der Normung bringen wir alle Stakeholder zusammen, um die Entwicklungen zu beschleunigen.
Klaus-Wolfgang Klingner (Hager Group): Die Leute wollen keine tausend Seiten PDFs lesen, sondern Antworten auf ihre Fragen und Lösungen für ihre Probleme. Wir brauchen also eine Art KI-System, dem man Fragen stellen kann, die sich auf Probleme beziehen, deren Lösungen irgendwo in den Tiefen der Normen verborgen sind. Viele Normen sind heute mehrere hundert Seiten lang. Kein Mensch kennt sie mehr im Detail. Die Expert*innen kennen häufig nur ihre speziellen Bereiche. Deshalb brauchen wir dringend eine Lösung, um diese Informationen zugänglicher zu machen.
Andrea Thilo: Wie sieht es mit der Fortbildung im Handwerk aus?
Christine Rösinger (Projekt WärmewendeNordwest): Im Projekt WärmewendeNordwest entwickeln wir Digitalisierungslösungen und Fortbildungen für Handwerker. Viele Handwerker, besonders Gas-Wasser-Installateure, kennen sich mit Themen wie Wärmepumpen nicht aus. Es ist wichtig, bestehende Handwerker fortzubilden und neue zu gewinnen.
Andrea Thilo: Was halten Sie von KI und Nachhaltigkeit?
Karl-Heinz Land: KI und technologischer Fortschritt sind der Hebel und Garant für mehr Nachhaltigkeit. Wenn wir durch KI und Sharing-Konzepte weniger Autos produzieren müssen, spart das enorme Ressourcen. Wir haben kein Energieproblem, sondern ein Nutzungsproblem. Das Mindset ist das eigentliche Problem. Wir müssen das Wissen der älteren Generation sichern und in KI-Systeme überführen. Es gibt genug Privatvermögen, wir müssen nur in Start-ups und Innovation investieren.